BAMBERG. Immer weniger Schulen lassen Forschende in ihre Klassenzimmer. Was früher selbstverständlich war – dass Wissenschaftler:innen Datenerhebungen an Schulen durchführen dürfen –, wird heute zunehmend zur Ausnahme. Eine Initiative soll gegensteuern.
Lehrkräftemangel, Überlastung und ein wachsendes Misstrauen gegenüber „externer Forschung“ haben die Bereitschaft, an Studien teilzunehmen, deutlich sinken lassen. Die Gesellschaft für Empirische Bildungsforschung (GEBF) zieht nun Konsequenzen: Sie legt erstmals ein umfassendes Positionspapier vor, das konkrete Leitlinien formuliert, um die Zusammenarbeit zwischen Forschung und Schule zu verbessern. Maßgeblich beteiligt war das Leibniz-Institut für Bildungsverläufe (LIfBi) in Bamberg.
„Viele Schulen sind grundsätzlich offen für Forschung – aber nur, wenn klar ist, worum es geht und welchen konkreten Nutzen sie davon haben“, erklärt Dr. Jutta von Maurice, Leiterin des Zentrums für Studienmanagement am LIfBi und Vorsitzende der GEBF-Arbeitsgruppe, die das Papier erarbeitet hat. „Wenn wir Schulen zur Teilnahme an Studien einladen, dürfen wir nicht nur Daten abholen. Es ist unsere Verantwortung, unsere Forschung auf Augenhöhe zu vermitteln.“ Die Expertise der Schulen könne die Forschung nur bereichern, betont sie.
Tatsächlich zeigt die im Positionspapier dokumentierte Umfrage unter 257 Mitgliedern der GEBF ein deutliches Bild: 95 Prozent der befragten Bildungsforscher:innen empfinden den Zugang zu Schulen derzeit als „schwer“ oder „sehr schwer“. Zwei Drittel berichten, dass die Genehmigungsverfahren in den vergangenen Jahren noch komplizierter geworden seien. Fast ebenso viele haben erlebt, dass Schulen Erhebungen vor allem mit dem Hinweis auf zeitliche Überlastung oder fehlenden Mehrwert ablehnen.
Belastete Schulen und unklare Nutzenversprechen
Die GEBF befragte auch Mitarbeitende aus dem bundesweiten Programm „Schule macht stark“ (SchuMaS), die regelmäßig mit Schulen in sozial herausfordernden Lagen zusammenarbeiten. Deren Rückmeldungen zeichnen ein ähnliches Bild: Viele Schulleitungen sähen wissenschaftliche Projekte als „weitere Zusatzbelastung“, so das Papier. Oft bleibe unklar, wozu eine Erhebung diene und was sie der eigenen Schule bringe. „Die Sinnhaftigkeit der Teilnahme ist für schulische Akteurinnen und Akteure häufig nicht ersichtlich“, heißt es wörtlich. Hinzu komme eine Flut von Anfragen, gerade in der Nähe von Universitäten, sowie „wissenschaftlich überfrachtete Mails und Projektbeschreibungen“, die den Überblick erschwerten.
Ein weiteres Problem: Selbst wenn Schulen Ergebnisse aus Studien zurückgemeldet bekämen, fehle oft die Unterstützung, diese Daten in den Schulentwicklungsprozess einzubinden. So bleibe der Nutzen theoretisch.
Drei Leitlinien für mehr Vertrauen und Effizienz
Das neue GEBF-Positionspapier mit dem Titel „Den Zugang zu Schulen und Daten aus Schulerhebungen für die Empirische Bildungsforschung verbessern“ schlägt daher drei Leitlinien vor – eine Art Selbstverpflichtung der Bildungsforschung für einen neuen Umgang mit Schulen.
Schulen als gleichberechtigte Partnerinnen im Forschungsprozess verstehen. Forschende sollen künftig stärker auf Augenhöhe mit Schulen kooperieren, klare Rückmeldungen geben und transparent kommunizieren, was mit den erhobenen Daten geschieht. Studien sollten so gestaltet werden, dass sie sich in den Schulalltag einfügen und den Lehrkräften eine erkennbare Nützlichkeit bieten. Besonders betont wird der wechselseitige Nutzen: Forschung müsse der Praxis etwas zurückgeben – etwa durch verständliche Ergebnisrückmeldungen, Fortbildungsimpulse oder Beteiligung an Forschungsfragen.
Nutzung vorhandener Daten ausbauen. Weil jede neue Studie die Schulen zusätzlich belastet, fordert die GEBF, stärker auf Sekundärdaten zurückzugreifen. Viele Datensätze – etwa aus NEPS, PISA oder anderen Bildungsstudien – stünden für Nachnutzungen bereit. Besonders bei studentischen Abschlussarbeiten solle künftig auf neue schulische Erhebungen möglichst verzichtet werden. Stattdessen sollten Studierende lernen, mit bestehenden Forschungsdaten zu arbeiten.
Genehmigungsverfahren professioneller gestalten. Schließlich mahnt das Papier an, dass sich Forschungsstellen besser auf die bürokratischen Abläufe in den Kultusministerien einstellen müssen. Oft scheitere Forschung an uneinheitlichen Vorgaben, zu engen Fristen oder unklaren Datenschutzregelungen. Die GEBF ruft zu einem engeren Austausch zwischen Wissenschaft, Datenschutzbeauftragten und Behörden auf, um praxisnahe und rechtssichere Lösungen zu entwickeln.
Ein Appell an beide Seiten
Im Fazit fordert die GEBF einen „Paradigmenwechsel in der Haltung von Forschenden gegenüber Schulen“. Es brauche gegenseitiges Vertrauen, Transparenz und Wertschätzung. Forschung könne Schulen nur dann helfen, wenn diese sich nicht als „Versuchsfelder“, sondern als gleichberechtigte Partnerinnen sehen. Zugleich sei auch die Politik gefordert, den Zugang zu Bildungsdaten zu erleichtern – etwa durch ein nationales Bildungsverlaufsregister, wie es der Rat für Sozial- und Wirtschaftswissenschaften vorgeschlagen hat.
Das Papier versteht sich ausdrücklich als Selbstverpflichtung der empirischen Bildungsforschung und soll zugleich den Austausch mit anderen Fachgesellschaften befördern. Ziel ist eine nachhaltige Brücke zwischen Forschung und Schulpraxis – „um Bildung gemeinsam zu verbessern“, wie es in der Schlussformel heißt. News4teachers
Hier lässt sich das vollständige Positionspapier herunterladen.
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