AUGSBURG. Lehramtsstudierende werden immer häufiger als Vertretungslehrkräfte eingesetzt – teilweise sogar mit umfangreichen Verantwortlichkeiten, die eigentlich ausgebildeten Lehrkräften vorbehalten sind. Der Augsburger Schulpädagoge Prof. Klaus Zierer schlägt nun Alarm: Der massive Einsatz von Studierenden in Schulen gefährde nicht nur die Unterrichtsqualität, sondern zunehmend auch den Erfolg des Lehramtsstudiums. Eine aktuelle Studie aus Österreich bestätigt den Befund.
Zierer beobachtet bei seinen Studierenden „immer häufiger schlechte Noten und Belastungen durch Überarbeitung wegen ihres Einsatzes an Schulen“. Scharf kritisiert er mit Blick auf die Situation in Bayern: „Es ist grotesk, dass das Kultusministerium die Qualität des Lehramtsstudiums aufs Spiel setzt, um ihre Statistiken beim Unterrichtsausfall und den selbst verschuldeten Lehrermangel zu beschönigen.“ Im Freistaat können Studierende ihm zufolge an allen Schularten als Vertretungslehrkräfte eingesetzt werden – und sie tragen dabei längst Verantwortung, die weit über klassische Aushilfstätigkeiten hinausgeht.
Nach Angaben Zierers arbeiten manche Studierende „bis zur Hälfte der Unterrichtspflichtzeit oder darüber hinaus“. Teilweise würden sie sogar als Klassenleitungen eingesetzt. Sie müssten Noten vergeben, über das Vorrücken mitentscheiden, Erziehungs- und Ordnungsmaßnahmen verhängen, Aufsicht führen und hätten Stimmrecht in der Lehrerkonferenz. Zierer beschreibt die Lage als klare Überforderung: Die jungen Menschen würden „ins kalte Wasser geschmissen und allein gelassen werden, weil ein Großteil der Schulleitungen in Anbetracht der Vielzahl an Aufgaben eine Betreuung on top oder nebenbei nicht leisten können“.
„Man würde niemals Medizinstudierende eigenverantwortlich Operationen durchführen lassen.“
In einer Stellungnahme zieht er Vergleiche: „Man würde niemals Medizinstudierende eigenverantwortlich Operationen durchführen, Jurastudenten Gerichtsurteile schreiben oder Architekturstudenten Pläne für Brücken oder Hochhäuser entwerfen lassen, ohne dass dies ein ausgebildeter Arzt, Richter oder Architekt noch einmal überprüft.“ Und er betont: „Es ist unverantwortlich gegenüber unseren Kindern und Jugendlichen, wenn sie von unerfahrenen und noch nicht qualifizierten Laien erzogen und unterrichtet werden.“
Zierer kritisiert außerdem, dass Studierenden jegliches schulrechtliche Fundament fehle – ein Risiko gerade in schwierigen pädagogischen Situationen. Nach seinen Worten ist ein Vollzeitstudium so anspruchsvoll, dass „ohne eine systematische, curriculare und professionalisierte Begleitung“ die parallele Tätigkeit als Aushilfslehrkraft schlicht nicht zu bewältigen sei. Die Folgen: „Wir haben die ersten Studenten, die Studienleistungen nicht schaffen, weil ihnen dafür wegen ihres Aushilfsjobs an Schulen Zeit und Kraft fehlt.“
Zierer stellt die Frage nach der staatlichen Verantwortung: „Es ist höchst zweifelhaft, wenn der Staat selbst das Wohl junger Menschen gefährdet, für die er eine besondere Fürsorgepflicht hat.“ Die darüber hinausgehende unbegleitete Schulpraxis im erheblichen Umfang stehe einer qualifizierten Ausbildung grundsätzlich entgegen, betont er.
Der Professor fordert daher deutliche politische Korrekturen. Aus seiner Sicht darf künftig ohne umfassende Betreuung nur noch ein sehr begrenzter Einsatz möglich sein. Bedingungen: maximal vier Unterrichtsstunden pro Woche, eine benannte, begleitende Lehrkraft, eine curriculare Begleitung während der Praxis sowie ein verbindliches Blockseminar mit schulpädagogischem Basiswissen.
Eine Ausweitung solle nur dann erfolgen, wenn das Studium nicht leide und die Professionalität systematisch gesichert sei – etwa durch Modelle wie Campus.Schule.Werk. Parallel dazu hat Zierer mit seinem Team eine Studie gestartet, die „das ganze Ausmaß der falschen bildungspolitischen Weichenstellungen sichtbar machen“ soll.
„Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Studierenden insgesamt von eher hoher emotionaler Erschöpfung und vielfältigen Anforderungen berichteten“
Eine aktuelle Untersuchung aus Österreich zeigt bereits, dass die Doppelrolle von Lehramtsstudierenden, die parallel zum Studium bereits im Schuldienst arbeiten, hochgradig belastend ist. Die explorative Studie von Christoph Helm, Universität Linz, und Gerda Hagenauer, Universität Salzburg, kommt zu dem Ergebnis, dass Studierende im Schuldienst vielfältige Anforderungen erleben Die Studierenden berichten von hohem Zeitdruck, fachfremdem Unterricht und Konflikten mit Schülern oder Eltern, gleichzeitig aber auch von einem hohen Motivationsniveau und einem starken beruflichen Enthusiasmus.
Zentral ist der Befund der emotionalen Erschöpfung: 60 Prozent fühlen sich durch das Studium „ausgebrannt“, während nur 17 Prozent dies für den Schuldienst angeben. Die Autorinnen und Autoren halten fest: „Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Studierenden insgesamt von eher hoher emotionaler Erschöpfung und vielfältigen Anforderungen berichteten, wobei die Anforderungen im Studium als deutlich belastender wahrgenommen wurden als jene des Schuldienstes. Die Ergebnisse legen nahe, dass Studierende zwar hoch motiviert und mit ausgeprägtem Enthusiasmus ihrer Tätigkeit als Lehrperson nachgehen, sie sich aber gleichzeitig auch stark belastet und durch die zu erfüllende Doppelrolle überfordert fühlen.“
Den Hochschulen gelingt es weder, den wachsenden Druck der Doppelrolle abzufedern, noch Studierende systematisch in ihrer Gesundheits- und Professionalisierungsentwicklung zu unterstützen. Die Autorinnen und Autoren verweisen auf die Gefahr langfristiger gesundheitlicher Schäden und betonen – ganz im Sinne Zierers –, dass ein Berufseinstieg ohne systematische Begleitung, Mentorierung und klare Belastungsgrenzen strukturell riskant sei. News4teachers
