BONN. Zwei engagierte Jugendliche stellen Gewohntes in Frage: In der aktuellen Folge des Podcasts „Bildung bitte“ spricht Moderator Andreas Bursche mit Amelie aus München, Bildungsaktivistin, und Ronja aus Jena, Mitglied im Jungen Bürgerrat Bildung und Lernen. Beide Schülerinnen nutzen ihre Stimme, um das Bildungssystem gerechter zu machen. Amelie hat in Bayern mit einer Petition gegen unangekündigte Tests zehntausende Unterschriften gesammelt, Ronja bringt als junge Bürgerrätin Forderungen nach einem faireren, angstfreieren Lernen in die Bildungspolitik ein. Gemeinsam erzählen sie, wie Schüler*innen selbst aktiv werden können – und warum es sich lohnt, laut zu bleiben.

Veränderung beginnt oft dort, wo Menschen nicht länger hinnehmen, was sie stört. Schülerin Amelie beobachtete lange, wie unangekündigte Tests und Abfragen – die sogenannten Exen in Bayern – ihre Mitschüler*innen und sie selbst belasteten. Dann entschied sie sich, die Situation nicht mehr einfach hinzunehmen und initiierte die Petition „Schluss mit Abfragen und Exen!“. Eine Bemühung, die in der bayerischen Politik auf wenig Gegenliebe stieß: Ministerpräsident Markus Söder erteilte dem Vorhaben prompt eine Absage.
„Für uns war es natürlich ein fatales Signal, dass der Ministerpräsident Bayerns, der gerade erst eine Verfassungsviertelstunde eingeführt hat, um die Demokratie an den Schulen zu stärken, jetzt kommt und versucht, unsere demokratischen Bemühungen zunichtezumachen“, erzählt Amelie. Zum Schweigen gebracht habe das Machtwort sie uns ihre Unterstützer*innen aber nicht. „Wir werden dadurch nur umso lauter und entschlossener, etwas zu verändern.“
„Was mir Hoffnung macht, ist die Zustimmung, die man bekommt“
Derweil macht Ronja sich als Mitglied im Bürgerrat Bildung und Lernen für Veränderungen im deutschen Schulwesen stark. Sie tritt nicht nur für die Empfehlungen des Bürgerrats wie „keine Noten bis zur neunten Klasse“ und „Hausaufgaben durch Vertiefungsstunden ersetzen“ ein, sie hat auch an diesen mitgearbeitet. Gemeinsam mit den anderen Kindern und Jugendlichen im Bürgerrat hat sie zudem unter dem Motto „#BesserLernen“ einen offenen Brief mit Forderungen an die Politik verfasst, der bundesweit von mehreren 1000 Kindern unterschrieben wurde. „Was mir Hoffnung macht, ist die Zustimmung, die man bekommt, dass andere der gleichen Meinung sind“, so Ronja. Vor allem im Austausch mit den anderen Schüler*innen im Bürgerrat zeige sich, dass unabhängig von Bundesland und Schulform viele dieselben Probleme wahrnehmen und angehen möchten. „Das motiviert extrem.“
Sowohl Amelie als auch Ronja setzen sowohl auf Veränderungen vor Ort als auch auf politische Entscheidungen. Neben den Schulen, die intern erste Veränderungen im Rahmen ihrer Freiheiten anstoßen könnten, brauche es auch politische Entscheidungen, erklärt Amelie. Mit ihrer landesweiten Petition gegen unangekündigte Tests wolle sie etwa erreichen, dass „keine Schüler*innen mehr, egal wo sie in Bayern leben, ständig unter diesem Druck stehen müssen“.
„Es ist wirklich so, dass viele Schüler*innen unter diesem System leiden.“
Den Einwand etwa des Bayerischen Philologenverbands, dass unangekündigte Leistungsabfragen auf unvorhergesehene Anforderungen im Beruf und Leben vorbereiten würden, lassen die Schülerinnen nicht gelten. „Nein, auf gar keinen Fall. Das erzeugt nur Druck, der überhaupt nicht nötig ist“, erwidert Ronja. Der Vergleich mit dem Berufsleben hält sie zudem für nicht passend. „Später im Beruf machst du deine Arbeit ja freiwillig und meistens auch gern – und wenn etwas Unvorhergesehenes passiert, bekommst du Unterstützung. In der Schule ist das ganz anders.“ Der dadurch erzeugte Stress sei enorm – und manche Schüler*innen fühlte sich durch die spontane Abfrage vor der gesamten Klasse bloßgestellt.
Ähnliche Erfahrungen hat auch Amelie gemacht: „Ich weiß noch, wie das für mich war, gerade in der Unterstufe hatte ich ständig diese Panik, gleich abgefragt zu werden, dass wir einen unangekündigten Test schreiben. Ich bin morgens aufgewacht und mein erster Gedanke war: In welchem Fach könnte es mich heute wieder treffen?“ Sie berichtet von Mitschüler*innen, die sich krank meldeten, weil sie das aktuelle Thema nicht verstanden hatten, oder die vor der Klasse weinten, weil sie sich nach der Abfrage bloßgestellt fühlten.
„Das hört sich für diejenigen, die diese unangekündigten Tests noch nicht erlebt haben, vielleicht übertrieben an, aber es ist wirklich so, dass viele Schüler*innen unter diesem System leiden.“ Diese Beobachtungen seien schließlich auch der Auslöser für sie gewesen, sich für eine Veränderung zu engagieren. Statt dieser Misstrauenskultur, die das Nicht-Können in den Fokus rücke, wünscht sie sich eine Schule, die auf die Stärken schaut und wenn notwendig Unterstützung bietet.
Aufruf: Sucht euch Unterstützung!
Ronja dagegen besucht eine Schule, an der es bereits anders läuft – und sich eine Empfehlung des Bürgerrats schon wiederfindet: Noten gibt es erst ab Klasse 9, verbunden mit Reflexionsgesprächen. „Ich habe erst durch meine Mitarbeit im Bürgerrat mitbekommen, wie schlimm es an anderen Schulen läuft. Da habe ich gemerkt: Nee, das kann so nicht weitergehen“, sagt Ronja.
Anderen Schüler*innen, die sich engagieren wollen, empfiehlt Amelie, sich zu vernetzen: „Sucht euch an eurer Schule Mitschüler*innen und Lehrkräfte, die ebenfalls etwas verändern wollen. Werdet aktiv – und traut euch, auch auf die Politik zuzugehen.“ Sie selbst hätte nie gedacht, dass ihre Petition so viel Zuspruch bekommen würde. Das habe ihr gezeigt, dass es wirklich möglich ist, Dinge zu verändern. „Es braucht natürlich Zeit und Durchhaltevermögen, aber es ist wirklich möglich.“ News4teachers
Der Bürgerrat Bildung und Lernen besteht aus mehr als 700 zufällig ausgelosten Teilnehmer*innen aus ganz Deutschland und wurde 2020 von der Montag Stiftung Denkwerkstatt ins Leben gerufen. Sie hat auch den vorliegenden Podcast bereitgestellt.

Im Sinne einer lebendigen Demokratie diskutieren die Mitglieder des Bürgerrats gemeinsam über gesellschaftliche und bildungspolitische Fragen. Welche Probleme und Herausforderungen müssen im Bildungsbereich dringend bearbeitet werden? Wie könnten bildungspolitische Reformen aussehen, die Probleme lösen und gleichzeitig in der Gesellschaft mehrheitsfähig sind? Und: Wie soll gerechte Bildung in Zukunft aussehen?
Ein umfassendes Papier mit Empfehlungen wurde unlängst erarbeitet (News4teachers berichtete). Leitthema dabei: „Chancengerechtigkeit: Wie viel Freiheit braucht das Lernen?“
Der Bürgerrat Bildung und Lernen ist aktuell der einzige Bürgerrat, der auf Bundesebene aktiv ist und auch Kinder und Jugendliche einbezieht. Die mehr als 250 Schülerinnen und Schüler kommen über sogenannte Schulwerkstätten der Bundesländer dazu und sind vollwertige Mitglieder des Bürgerrats Bildung Lernen. Darüber hinaus haben sie aber auch eigene Empfehlungen entwickelt sowie einen offenen Brief unter dem Titel „Hört und zu!“ geschrieben.
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