POTSDAM. Die Inklusion, das ambitionierteste bildungspolitische Projekt der vergangenen Jahrzehnte, verliert an Schwung. Eine aktuelle Studie aus Brandenburg kommt zu dem ernüchternden Ergebnis, dass der gemeinsame Unterricht von behinderten und nicht-behinderten Kindern zu Defiziten in der Wissensvermittlung führt. Schüler mit Lernschwierigkeiten fühlten sich zum Teil in den Regelschulen ausgegrenzt, heißt es in einem Bericht der „Märkischen Oderzeitung“ (MOZ). In Nordrhein-Westfalen übten Lehrerverbände in einer Landtagsanhörung massive Kritik an der Umsetzung des inklusiven Unterrichts. Und eine wachsende Zahl von Eltern stimmt mit den Füßen ab: Offenbar gibt es immer mehr Kinder, die von der Regelschule zurück auf die Förderschule wechseln.
Im Schuljahr 2012/13 wurde an 84 Grundschulen in Brandenburg die Inklusion als Pilotprojekt gestartet, berichtet die MOZ. Zusätzliche Lehrkräfte hätten dafür sorgen sollen, dass der Lernerfolg unter der Umstellung nicht leidet. Eine wissenschaftliche Begleitung von 61 Klassen über zwei Jahre durch die Universität Potsdam habe jedoch ergeben, dass die Schüler ohne Förderbedarf leicht niedrigere Kompetenzen im Lesen, Schreiben und Rechnen aufwiesen als Kinder aus bundesdeutschen Vergleichsklassen. Schlimmer noch: Die Ergebnisse der Schüler mit Förderbedarf hätten sogar deutlich unter den Vergleichswerten gelegen, wobei die Abstände zu ihren Mitschülern eher zu- als abnahmen. „Diese Schüler fanden sich auch weniger von den Lehrern angenommen. Das Gefühl ausgegrenzt zu sein, nahm im Laufe der Zeit zu. Sie schätzten das Klassenklima weniger gut ein als ihre Mitschüler“, so heißt es.
Für den Unterricht von Förderkindern an Regelschulen forderten Verbände bei einer Anhörung des Landtags in Düsseldorf in der vergangenen Woche mehr Lehrkräfte und Fortbildungen sowie eine bessere Ausstattung. Fehlendes Personal mache besonders die notwendige Besetzung mit zwei Lehrern pro Klasse oft unmöglich. Der VBE erklärte einem Bericht der „Rheinischen Post“ zufolge, 40 Prozent der Grundschulen seien nicht mit den notwendigen Sonderpädagogen besetzt. Gerade im Förderbereich emotionale Entwicklung, in der es auf eine feste Beziehung zwischen Pädagogen und Schüler ankomme, sei eine durchgängige Doppelbesetzung erforderlich. Die maximale Klassengröße müsse von 30 auf 24 Schüler gesenkt werden.
Auch die GEW befand, die derzeitigen Bedingungen gefährdeten den Erfolg der Inklusion. Notwendig sei neben mehr Stellen und Fortbildungen auch ein besseres Raumangebot. Der Elternverein “Gemeinsam leben, gemeinsam lernen” forderte die Politik auf, die Probleme der Inklusion mit einer besseren personellen Ausstattung anzugehen. Der gemeinsame Unterricht dürfe nicht an der Begründung scheitern, “dass doch alles verführt, überstürzt, unzureichend ausgestattet und unzumutbar sei”.
Aus dem rheinischen Kreis Neuss wurde unterdessen bekannt, dass dort zunehmend Rückkehrer aus dem gemeinsamen Unterricht an Regelschulen verzeichnet werden. Für eine Reihe von Kindern und Jugendlichen mit besonderem Förderbedarf seien die Hürden des gemeinsamen Lernens zu hoch, so heißt es in einem Bericht der „Neuss-Grevenbroicher Zeitung“. Aus einem Bericht der Kreisverwaltung ergebe sich folgendes Bild: Während im Schuljahr 2013/2014 insgesamt 13 Schüler vom gemeinsamen Lernen der Klasse 4 in eine Klasse 5 der Förderschule gewechselt sind, erhöhte sich diese Zahl auf 23 Schüler im laufenden Schuljahr allein bis zum Dezember 2015.
Im bergischen Remscheid wurde eine ähnliche Entwicklung bekannt: Im vergangenen Schuljahr seien fünf, im laufenden Schuljahr bereits 14 Schüler aus dem gemeinsamen Unterricht an die Förderschule gewechselt. Als ein Scheitern der Inklusion sollten solche Wechsel zwar nicht interpretiert werden, sagte die örtliche Schulrätin gegenüber der „Rheinischen Post“. Sie sei aber froh, „dass wir die Förderschulen erhalten haben“. Die Nachfrage auf Elternseite sei nach wie vor vorhanden.
Bereits im Herbst hatte die GEW die Ergebnisse einer Schulleiterbefragung in Nordrhein-Westfalen vorgestellt – und gravierende Mängel beklagt. Es fehlten in großem Umfang Sonderpädagogen, Räume, Lernmaterial und Stellen sowie Zeit für Beratung und Absprachen, hieß es seinerzeit. Vier von fünf Förderschulen im Land verzeichneten Abbrecher, Förderschüler also, die aus Regelschulen zurückkehrten – im Schnitt der Schuljahre 2014/2015 und 2015/2016 pro Förderschule drei. Insgesamt seien 2.000 Kinder betroffen, vor allem Grundschüler, hieß es. News4teachers
