DÜSSELDORF. Die Frage ist berechtigt: Warum kämpfen so viele Eltern in Nordrhein-Westfalen eigentlich so leidenschaftlich gegen G8, wenn sie ihre Kinder doch auch auf eine Gesamtschule schicken können – wo nach wie vor das Abitur nach neun Jahren abgelegt wird? Die undiplomatische Antwort des Vorsitzenden der Landeselternschaft der Gymnasien in einer der populärsten Radiosendungen des Landes sorgt jetzt für Ärger – er sagt dort sinngemäß, dass das Gesamtschul-Abitur eben nicht so viel Wert sei. Die Leiter von Gesamtschulen bringt das auf die Palme.
Die Szene ist kurz, aber deutlich. Im Morgenmagazin auf WDR 2 wird über die Umfrage berichtet, die den G8/G9-Streit in Nordrhein-Westfalen wieder befeuert hat. Redakteur Helmut Rehmsen interviewt dazu den Initiator der Erhebung, den Vorsitzenden der Landeselternschaft der Gymnasien, Ulrich Czygan. Rehmsen: „Aber ich meine, jede Schülerin, jeder Schüler hat ja eigentlich die Wahl, kann auf einer Gesamtschule ein G9-Abi nach 13 Schuljahren machen. Es gibt diese Wahlmöglichkeit doch.“ Czygan: „Ja, bei Abitur auf der Gesamtschule und gymnasialem Abitur sind schon Unterschiede – und wer das bestreitet, läuft auch mit der Augenbinde rum. Und wenn ich die Ergebnisse der Umfrage nehme: 90 Prozent aller Eltern schließen kategorisch aus, wenn sie die Wahl haben, dass ihr Kind eben halt die Möglichkeit hat, aufs Gymnasium zu gehen, es auf eine Gesamtschule zu schicken.“
Ist das Gesamtschulabitur wirklich ein anderes, „billigeres“, als das Gymnasialabitur? Nein, meint Mario Vallana, Leiter einer Gesamtschule in Siegen und Sprecher der Schulleitungsvereinigung der Gesamtschulen in Nordrhein-Westfalen. Er spricht von einem „Rückfall in schulpolitische Ideologien des vorherigen Jahrhunderts“. In Nordrhein-Westfalen gibt es 203 Gesamtschulen, und an denen werde das gleiche Zentralabitur abgelegt wie an den 622 Gymnasien des Landes. Die Durchschnittsnote an den Gesamtschulen habe 2015 bei 2,68 gelegen – zwar eine Drittelnote unter der der Gymnasien (2,42). Aber, so Vallana: „Wir sind stolz auf dieses seit Jahren zu verzeichnende Ergebnis, vor allem weil unter unseren Abiturientinnen und Abiturienten zahlreiche junge Menschen sind, die mit einer Haupt- oder Realschulempfehlung in die 5. Klassen unserer Schulen gekommen sind. Nach einer Befragung hatten gar 70 Prozent unserer Abiturienten keine reine Gymnasialempfehlung, als sie in unsere Schulform übergingen.“
Tatsächlich profitierten die Gesamtschulen durchaus von der Angst vieler Eltern vor G8. „Unsere Schulen berichten von vielen Anmeldegesprächen mit Eltern von Kindern mit Gymnasialempfehlung, die ganz bewusst Gesamtschulen wählen, auch wenn sie die Möglichkeiten hätten, ihr Kind auf ein Gymnasium zu schicken. Die Gründe für diese Eltern sind vielfältig, genannt werden etwa: das gute Schulklima, das besondere Profil, das Engagement der Lehrerinnen und Lehrer, aber auch die größere Muße durch G9“, sagt Vallana.
Er betont: Die früher ideologisch geführte Diskussion um die Vergleichbarkeit des Abiturs am Gymnasium und an den Gesamtschulen sei spätestens mit dem Schulfrieden in Nordrhein-Westfalen obsolet geworden. 2011 hatten sich SPD, CDU und Grüne darauf geeinigt, das gegliederte Schulsystem samt Gesamt- und Gemeinschaftsschulen zu akzeptieren. Das Fass im Zuge der wieder aufflammenden G8/G9-Diskussion wieder aufzumachen, sei – so Vallana – „Stammtischniveau“. News4teachers
Zum Kommentar: Warum wir jetzt (auch mal wieder) über die Vorteile von G8 sprechen müssen