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Brandbrief von Oberstufen-Lehrern: Ansturm aufs Abitur bringt immer mehr ungeeignete Schüler zu uns

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BERLIN. In Berlin – wie andernorts in Deutschland – gibt es einen Abi-Boom. Immer mehr Jugendliche wollen die Hochschulreife erlangen. In der Bundeshauptstadt legen mittlerweile 40 Prozent eines Jahrgangs das Abitur ab, rund zehn Prozent mehr als vor zehn Jahren. Nun kursiert ein Brandbrief von Berliner Lehrern, der die dunkle Kehrseite des Ansturms beleuchtet: Immer mehr Schüler scheitern in der Oberstufe. Dies berichtet die „Berliner Zeitung“, der das Schreiben vorliegt.

Immer mehr Jugendliche möchten das Abitur machen (das Foto zeigt die Besucher eines Rockkonzerts). Foto: Tom Cochrane / flickr (CC BY-NC-SA 2.0)

Betroffen sind offenbar vor allem die Oberstufenzentren  der beruflichen Gymnasien, die mit der Berliner Schulreform vor sechs Jahren an Bedeutung gewonnen hätten. Denn der Zugang sei damals deutlich erleichtert worden. Nun müssten Schüler nur noch in zwei der Fächer Deutsch, Mathe und 1. Fremdsprache eine mindestens befriedigende Leistung vollbracht haben, um die Oberstufenreife zu erhalten. „Das heißt, man erhält auch mit einer Fünf in einem dieser Fächer die Berechtigung für den Übergang in die gymnasiale Oberstufe“, so erklären die Lehrer, die an einem solchen Oberstufenzentrum unterrichten, in ihrem anonymen Brief.  Eine Drei minus als Gesamtnotenschnitt reiche seither – an den früheren Gesamtschulen seien zwei Notenpunkte mehr nötig gewesen. In Berlin gibt es 36 solcher Oberstufenzentren.

Und diesen Niveauverlust bekämen sie nun immer stärker zu spüren, meinen die Brandbrief-Autoren.  „Das Absenken der Zulassungsbedingungen lässt für viele Schüler, für die eher eine Ausbildung passend wäre, das Abitur in scheinbar greifbare Nähe rücken“, heißt es laut „Berliner Zeitung“ in dem Schreiben. Die Folge: 2013 hätten an ihrem Oberstufenzentrum immerhin noch 48 Prozent einer 11. Klasse nach drei Jahren auch tatsächlich das Abitur abgelegt, derzeit seien es nur noch 31 Prozent. „Das bereitet uns schlaflose Nächte“,  schreiben die Lehrer.

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Eltern sind beratungsresistent

Und ein Ende des Trends sei nicht erkennbar. Für viele Eltern zähle nur noch das Abitur. „Berufliche Beratung und Orientierung, so sie denn überhaupt stattgefunden hat, wird ignoriert.“ Zudem würde an vielen Sekundarschulen ohne gymnasiale Oberstufe nur wenig qualitativer Unterricht stattfinden, heißt es laut Bericht weiter. Schüler, denen dort die Eignung für die gymnasiale Oberstufe attestiert wurde, würden sich tatsächlich oft nur auf dem Niveau der 8. Klasse bewegen. „Die Schüler erhalten zwar die nötigen Noten, nicht aber die nötigen Grundlagen“, schreiben die Lehrer des Oberstufenzentrums und fragen: „Wo landen diese Kinder, denen man viel versprochen hat? Im Frust, im gesellschaftlichen Abseits, bei Hartz IV, eventuell im Extremismus.“

Fazit der Sek-II-Pädagogen: „Derzeit produziert das Berliner Schulsystem zahlreiche funktionale Analphabeten, weil nicht genug in die Qualitätssicherung der Grundschulen und der weiterführenden Schulen investiert wird.“ Und: . „Das lässt einen schon schlucken.“

Die Berliner Bildungsverwaltung wirbt derweil unverdrossen für die breiten Zugänge zum Abitur in der Bundeshauptstadt. „Auch außerhalb des Gymnasiums hat man im Land Berlin eine Vielzahl von Möglichkeiten, einen Abschluss zu erreichen, der zum Studium befähigt“, heißt es auf der Seite www.oberstufenzentrum.de.  Und: „An den Gymnasialen Oberstufen am Oberstufenzentrum (auch “Berufliches Gymnasium”)  können Sie das Abitur, also die allgemeine Hochschulreife, mit berufsfeldbezogenen fachlichen Schwerpunkten erwerben. Die Verbindung von studienbezogener und berufsfeldbezogener Profilierung bringt für Sie wichtige Vorzüge mit sich. Als Absolvent/in eines Beruflichen Gymnasiums haben Sie Vorteile, wenn Sie mit dem Studium eines Faches beginnen, das dem gewählten Berufsfeld entspricht oder verwandt ist.“

Von Scheitern ist nicht die Rede. Agentur für Bildungsjournalismus

Hier geht es zum Bericht der “Berliner Zeitung”.

 

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