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Der Brexit macht deutlich: Ohne Bildung funktioniert die Demokratie nicht

Bundeskanzlerin Angela Merkel hofft auf weitere Wissenschafts-Kooperationen nach dem Brexit, und fordert entsprechende Bekenntnisse der britischen Regierung. Foto: George Hodan / publicDomainPictures (CC0)

Den Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union bekommen auch Schulen zu spüren. Foto: George Hodan / publicDomainPictures (CC0)

Eine Analyse von ANDREJ PRIBOSCHEK.

DÜSSELDORF. Wie sollen Bürger politisch mitbestimmen, wenn sie die Politik und ihre Folgen gar nicht verstehen? Schlimmer noch – wenn sie Wissenschaftlern und Experten nicht mehr glauben und sich vermeintliche Wahrheiten lieber selbst zusammenreimen? Das Referendum in Großbritannien um den Brexit hält eine wichtige Erkenntnis parat: Ohne Bildung funktioniert die Demokratie nicht.  

Über den Wolken … Wusste eine Mehrheit der Briten gar nicht, worüber sie abstimmen sollte? Foto: portal gda / flickr (CC BY-NC-SA 2.0)

„Mir war nicht klar, dass diese Art von politischen Widerstandsbewegungen in der Lage ist, Parteien zu übernehmen. Dass sie ein ganzes Land übernehmen können. Aber dieses Referendum zeigt, dass sie dazu fähig sind“ – sagt kein Geringerer als Tony Blair, der britische Ex-Premier. Er bezeichnet den Brexit als „Protestvotum“. Als eine Abstimmung über das Thema Einwanderung sowie gegen die aktuelle Regierung. Also in erster Linie gar nicht über die Zugehörigkeit der EU. Wusste eine Mehrheit der Briten demnach gar nicht, worüber sie abstimmen sollte? Die entsetzen und ratlosen Reaktionen nach dem Referendum, nicht nur von Blair, legen den Eindruck nahe.

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Tatsächlich spielten überprüfbare Fakten im Wahlkampf zuvor kaum eine Rolle – im Gegenteil: Zentrale Argumente insbesondere der „Leave“-Kampagne waren nachweislich falsch. Die EU-Gegner wiederholten zum Beispiel täglich, dass Großbritannien 350 Millionen Pfund pro Woche an Brüssel überweise und dass die Türkei in absehbarer Zukunft der EU beitreten werde. Beides stimmt nicht. Trotzdem glaubten jeweils klare Mehrheiten der Bürger den Fehlinformationen, wie Umfragen ergaben.

Angesprochen auf die vielen Expertenstimmen, die vor einem Austritt Großbritanniens warnten, antwortete Brexit-Kampagnenchef Michael Gove, die Bürger hätten genug von Experten: „Ich sage, die Leute sollen sich selbst vertrauen.” Sich selbst vertrauen? Wenn es um komplexe Fragestellungen wie die ökonomischen Folgen eines EU-Austritts Großbritanniens geht? Oder auch nur um die relativ schlichte Frage, wie viel Großbritannien tatsächlich pro Woche an die EU überweist? Es sind in Wahrheit 110 Millionen Pfund.

Parallele zu Deutschland

Hier gibt es eine interessante Parallele zu Deutschland. Im Entwurf für ihr Parteiprogramm leugnet die AfD den durch Menschen verursachten Klimawandel schlichtweg. In den letzten zwei Jahrzehnten habe es keinen Temperaturanstieg gegeben, so ist in dem Papier zu lesen. Tatsächlich ist wissenschaftlich längst belegt, dass 15 der 16 wärmsten Jahre seit Beginn der Klimaaufzeichnungen im ja erst rund 17 Jahre alten 21. Jahrhundert liegen. Die AfD sei zu einer Partei geworden, „die sich gegen die Wissenschaft wendet“, so schreibt die „Zeit“. „Die AfD argumentiert entlang der Linie Wahrheit oder Lüge. Und was wahr ist, entscheidet sie.“

Wieso aber lässt es die Anhänger solcher Bewegungen so merkwürdig kalt, wenn diese eindeutig der Falschinformation überführt werden? Die Antwort ist banal: Sie glauben den Belegen nicht (halten die Lügen also weiterhin für Wahrheiten), weil sie bei komplexeren Fragestellungen Erkenntnisse von Behauptungen ohnehin nicht unterscheiden können. Es fehlt – an Bildung.

Untere soziale Schichten

Umfragen im Vorfeld des britischen Referendums zeigen auf, dass die Anhänger des Brexit-Lagers vor allem bei Menschen gepunktet haben, die zu den unteren sozialen Schichten gehören – gering oder gar nicht ausgebildete Arbeiter, Geringverdiener, Rentner und Personen, die auf Unterstützung des Staates angewiesen sind. 63 Prozent dieser Gruppe wollten laut Yougov für den Brexit stimmen. Dass es einen deutlichen Zusammenhang zwischen Bildung und der Zustimmung zum Brexit gibt, zeigt auch eine andere Kategorie: 68 Prozent der Personen, deren höchster Abschluss der GCSE ist (der in etwa dem deutschen Realschulabschluss entspricht), wollten die EU nicht mehr. Auf der Seite der EU-Befürworter fanden sich dagegen vor allem Personen mit Hochschulabschluss (70 Prozent) oder Abitur (58 Prozent).

Auch hierzu gibt es eine interessante Parallele zu Deutschland: In der aktuellen „Mitte“-Studie der Uni Leipzig, bei der autoritäre und rechtsextreme Positionen von Deutschen untersucht wurden, schauten die Forscher auf den Bildungsgrad von Pegida-Anhängern – und kamen zu einem klaren Befund: „Am niedrigsten ist die Zustimmung zu den Zielen von Pegida unter denen, die Abitur haben, und denen, die ein Studium abgeschlossen haben. Mit niedrigerem Bildungsabschluss steigt die Wahrscheinlichkeit der Zustimmung (…).“

Ein Muster, das sich offenbar verallgemeinern lässt: Schlechte Schulbildung macht anfällig für populistische Parolen. Das gilt derzeit in den USA, wo Umfrage-Institute ermittelt haben, dass die Neigung, dem rabaukenhaft auftretenden republikanischen Präsidentschaftsbewerber Donald Trump die Stimme zu geben, mit steigender Bildung sinkt. Das gilt langfristig für ganz Europa, wie eine Studie der Bundeszentrale für politische Bildung ergeben hat, die populistische Bewegungen in fünf europäischen Ländern untersucht hat. Ergebnis: „Idealtypisch gesprochen sind es eher jüngere Männer mit geringer oder mittlerer Schulbildung, die rechtspopulistische Parteien wählen. Von ihrem Beruf her sind sie Facharbeiter oder sonstige, unqualifizierte Arbeiter, seltener Meister oder Vorarbeiter. Arbeitslose und der alte Mittelstand aus Ladenbesitzern und Handwerkern sind ebenfalls überrepräsentiert.“

Folgen für die Debatte

Die Bildungsferne hat Folgen für die politische Debatte. Komplexe Probleme werden auf Schlagworte verkürzt, um vom Publikum überhaupt verstanden zu werden. Die Simplifizierung wiederum führt dazu, dass sich das Publikum zu allem und jedem ein Urteil erlaubt. „Völlig unabhängig vom Schwierigkeitsgrad politischer Probleme, ob Eurokrise oder Nahost-Konflikt, scheint jedermann jederzeit bereit zu sein, Position zu beziehen. Es ist Ausdruck einer Zeit, in der man erwartet, mit ‘Gefällt-mir-Klicks’ ernst genommen zu werden“, so schreibt der Autor Laszlo Trankovits in einem Essay für die Bundeszentrale für politische Bildung.

Er erklärt: „Die populäre Forderung nach mehr Partizipation geht kaum einher mit einem Pflichtgefühl, sich intensiv bilden, informieren und engagieren zu müssen. Es wächst die Sucht danach, ‘abgeholt zu werden’. Hintergrund ist ein Missverständnis dessen, was Gleichheit der Menschen und der Respekt vor dem Bürger wirklich bedeuten – auch in einer Demokratie haben Kompetenz, Bildung und Ernsthaftigkeit einen hohen Stellenwert.“  Besser: sollten einen hohen Stellenwert haben. Haben sie aber leider immer seltener.

Kurz: Demokratie kann ohne eine gute und breite Volksbildung nicht funktionieren. Im Umkehrschluss: Wer in Schulen investiert, schützt die Bürger und damit das Land vor falschen Propheten.

Zum Kommentar: Was wir jetzt brauchen: Eine Bildungs-Offensive gegen die Hass-Kultur!

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