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Wildes Wende-Manöver: von Fans zu Feinden des G8 – die Landeselternschaft der Gymnasien NRW

DÜSSELDORF. Dazuzulernen ist nichts Schlechtes. Auch seine Meinung zu überdenken und nach Erfahrungen zu neuen Einsichten zu gelangen, ist durchaus ehrenwert. Was muss man aber von einer  aber von einer politischen Gruppe halten, die seit Jahrzehnten einflussreich Lobbyismus in eigener Sache betreibt, dann ihre Haltung in einer zentralen Frage um 180 Grad ändert – und plötzlich kompromisslos gegen eine Politik zu Felde zieht, die sie selbst mit verursacht hat?

Die Rede ist von der Landeselternschaft der Gymnasien Nordrhein-Westfalen – einem der wohl größten und schlagkräftigsten Elternverbände in Deutschland. Die Landeselternschaft legt gerade eine atemberaubende Volte hin: vom Interessenverein pro G8 zum erbitterten Gegner des „Turbo-Abiturs“. Heute steht in Düsseldorf ein Runder Tisch über die Zukunft des Gymnasiums in Nordrhein-Westfalen an.

Die Landeselternschaft der Gymnasien NRW hat eine bemerkenswerte Wende vollzogen. Illustration: Wikimedia Commons

Im G8/G9-Streit in Nordrhein-Westfalen wollen die Gegner der auf acht Jahre verkürzten Gymnasialschulzeit nicht nachgeben und auch keine Kompromisslösung. „Für uns gibt es kein ‚G8-Flexi‘ oder ähnliche unsinnige Modelle“, teilte Dieter Cohnen von der Landeselternschaft der Gymnasien vor dem Runden Tisch mit Schulministerin Sylvia Löhrmann (Grüne) am Dienstagnachmittag mit. Mit „unsinnig“ meinte Cohnen offenbar das von Löhrmann ins Gespräch gebrachte flexible Gymnasium mit individuellen Lernzeiten. Die kräftige Wortwahl nennt man wohl Chuzpe: Die Landeselternschaft macht damit keinen Hehl daraus, dass sie eine vollständige Rückkehr zum Abitur nach neun Jahren fordert. Und das schon zum Schuljahr 2017/18. Basta.

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Vor sechs Jahren: “Endlich Ruhe”

Noch vor sechs Jahren klang das komplett anders – obwohl auch damals schon Probleme mit der verkürzten Schulzeit in Nordrhein-Westfalen diskutiert wurden. „Wir möchten endlich Ruhe in der Schulpolitik“, forderte Gabriela Custodis, die damalige Vorsitzende der Landeselternschaft, gegenüber dem „Focus“.

Statt zwischen G8 und G9 hin und her zu wechseln, sollte man sich lieber darauf konzentrieren, das achtjährige Gymnasium zu verbessern, schließlich hätten die Schulen schon sehr viel investiert. Nicht immer lasse sich Stress auf die verkürzte Gymnasialzeit zurückführen, sagte Elternvertreterin Custodis: „Hier muss man ganz individuell gucken, woran es liegt und die Schulprobleme nicht pauschal immer auf das G8 abwälzen.“ Das war 2010, und Custodis hatte allen Grund, sich schützend vor das G8 in bestehender Form zu stellen.

Gemeinsam mit dem Philologenverband NRW, der in Nordrhein-Westfalen noch immer G8 vertritt, und der Direktorenvereinigung NRW war die Landeselternschaft maßgeblich an der Ausgestaltung der Schulzeitverkürzung beteiligt, wie aus einem Schreiben des damaligen Staatssekretärs aus dem Schulministerium, Günter Wienands (CDU), hervorgeht.

Und diese konkrete Ausgestaltung ist es, die bis heute Probleme in den Gymnasien verursacht. NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) stellte unlängst fest, bei der Einführung des Turbo-Abis im Jahr 2005 habe die damals regierende CDU-FDP-Koalition unter Jürgen Rüttgers einen “gravierenden Fehler” gemacht. Was Kraft meint: Schwarz-Gelb hatte damals durchgesetzt, dass die Sekundarstufe I um ein Jahr verkürzt wird. Die drei Jahre Oberstufe hingegen blieben unangetastet. Ausgerechnet bei den Jüngeren führe dies nun zu einer “Verdichtung” des Lernstoffes und zu all den Problemen mit G8, sagte Kraft laut WDR.

Für die Landeselternschaft der Gymnasien NRW ist ihre damalige Beteiligung allerdings kein Grund, heute maßvoller aufzutreten – im Gegenteil: Sie brüskiert lieber Schulministerin Löhrmann und ihre ehemaligen Mitstreiter pro G8, den Philologenverband. Ihre Erwartungshaltung vor dem Runden Tisch sei gering, ließ die Landeselternschaft vorab wissen. News4teachers / mit Material der dpa

Zum Beitrag: Landeselternschaft der Gymnasien schwenkt jetzt um – ab sofort lautet die Forderung: Weg mit G8!

 

Hintergrund: Lobbygruppe Landeselternschaft

Die Landeselternschaft der Gymnasien NRW repräsentiert nach eigenen Angaben „zur Zeit 80 Prozent der Gymnasien im Land NRW“ – das wären mehr als 400.000 Schüler und ihre Eltern, eine in der Tat beachtliche Zahl. Allerdings, so heißt es auf der Homepage der Landeselternschaft: „Aktive Mitglieder unseres Verbandes können satzungsgemäß der Schulpflegschaftsvorsitzende oder ein anderer Erziehungsberechtigter der Schulpflegschaft sein. Diese Mitglieder vertreten die Eltern der jeweiligen Schulen im Verband.“ Dass die übrigen Eltern der Gymnasiasten zwar keine „Mitglieder“ sind, hindert den Verband allerdings nicht, „Mitgliedsbeiträge“ von ihnen einzusammeln (und für sie zu sprechen). Und zwar einen Euro pro Schüler und Jahr – in Form freiwilliger Spenden, wie die Homepage der Landeselternschaft aufklärt.

Wissen aber die Eltern auch, dass sie „freiwillig“ für eine politische Lobbygruppe zahlen? Zweifel sind erlaubt.  Auf der Homepage eines städtischen Gymnasiums in Recklinghausen heißt es beispielsweise: Das Gymnasium (sic!) „ist Mitglied in der Landeselternschaft der Gymnasien“. Der Mitgliedsbeitrag werde für jeden Schüler aus Vereinfachungsgründen in Klasse 6 komplett für seine Schulzeit eingesammelt. Von einer freiwilligen Spende ist dabei keine Rede.

Und in einem Elternbrief eines städtischen Gymnasiums im rheinischen Niederkassel, der an die Eltern der Fünftklässler verteilt wurde, heißt es: „Das (..) Gymnasium ist Mitglied der Landeselternschaft und muss dafür einen Mitgliedsbeitrag entrichten, der sich nach der Schülerzahl richtet.“ Weiter heißt es: „In der ersten Klassenpflegschaftssitzung werden Sie als Eltern gebeten, die Schülerpauschale zu leisten. Diese Schülerpauschale setzt sich zusammen aus: Kopiergeld, Mitgliedsbeitrag Landeselternschaft, Erstattung weiterer anfallender Kosten.“ Wiederum: von freiwilliger Spende keine Rede.

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