Ein Kommentar von News4teachers-Herausgeber Andrej Priboschek.
Zehn Jahre, so sagen Bildungsforscher, dauert es, bis ein marodes Schulsystem auf Vordermann gebracht werden kann. Wie schnell es umgekehrt geht, eine auch im internationalen Maßstab gut funktionierende Schulform herabzuwirtschaften, wissen wir jetzt: vier Jahre – oder sogar weniger. Vier Jahre sind seit dem letzten Grundschulvergleich TIMSS vergangen, und Deutschland ist in dieser Zeit von einem Platz in der erweiterten Spitze ins graue Mittelmaß abgestürzt. Verwundern darf das niemanden, der mit Bildung zu tun hat. Ärgern schon.
Denn die Probleme sind zu einem guten Teil hausgemacht. Klar, die vielen Flüchtlingskinder, die 2015 in die Grundschulen kamen, machen sich natürlich bemerkbar – und verzerren das Bild etwas. Die wenigsten von ihnen dürften kurz nach ihrer Ankunft in Deutschland sprachlich schon so fit gewesen sein, dass sie einen Test mit gutem Ergebnis hätten bestehen können. Aber in dem Resultat von TIMSS spiegelt sich auch die völlig vermurkste Inklusion, die bislang vor allem eben auf die Grundschulen ungebremst zugerollt ist, während sich weiterführende Schulen – vor allem Gymnasien – zum Teil vornehm zurückhalten. Mehr als die Hälfte der Kinder mit besonderem Förderbedarf im Alter zwischen sechs und zehn Jahren geht bereits auf eine Regel-Grundschule. Tendenz: stark steigend.
Dass diese Inklusion als Sparmodell in die Politik gebracht wurde, lässt sich nachweisen. News4teachers hat die Verwaltungsvorlage für die Bundestags-Entscheidung zur Ratifizierung der Behindertenrechtskonvention eingesehen. „Kosten: keine“, so steht darin zu lesen (nur die damals oppositionelle FDP mochte das nicht glauben).
Tatsächlich wollte beispielsweise das Land Baden-Württemberg trotz beschlossener Inklusion mehr als 20.000 Lehrerstellen streichen, bis der Ministerpräsident (Kretschmann) kurz vor der Landtagswahl das Konfliktpotenzial dieser Maßnahme erkannte und dann doch sogar mehr Stellen einrichten ließ. Nur: Die jahrelang rot leuchtenden Signale in Sachen Grundschul-Einstellungen haben längst Wirkung gezeitigt. Es gibt nämlich kaum mehr Einsteiger ins Grundschul-Lehramt, jedenfalls viel weniger, als benötigt werden. Deshalb kann die Politik derzeit Stellen in der Primarstufe schaffen, so viel sie will: Sie werden sich kaum besetzen lassen. In manchen Bundesländern übertrifft bei den Neuanstellungen für die Grundschulen die Zahl der Seiteneinsteiger bereits diejenigen mit Lehramtsstudium. Ob das zukünftig zu besseren TIMSS-Ergebnissen führt? Zweifel sind erlaubt.
Hiermit sind wir auch bei der Anerkennung von Grundschullehrkräften angelangt. Immer noch gilt in Deutschland das Prinzip: kleine Kinder, kleines Geld. Was historisch in einer Geringschätzung pädagogischer Expertise (und wohl auch von Frauenarbeit) gegenüber (früher fast ausschließlich von Männern vermitteltem) Fachwissen begründet liegt, hat heute – im Zeitalter sich angleichender Studienzeiten – keine Berechtigung mehr. Die Arbeit von Pädagogen jeder Schulform und -stufe ist gleichwertig. Wenn so mancher Gymnasiallehrer das anders sieht, kann er ja mal versuchen, Kindern ohne mathematisches Grundverständnis (das in der Grundschule gelegt wird), den Satz des Pythagoras zu vermitteln. Und diese Gleichwertigkeit muss sich natürlich auch bei der Bezahlung ausdrücken: A13 für alle! Daran geht über kurz oder lang kein Weg vorbei. Erste ermutigende Signale (Angleichung in Berlin, Aufstockung von Grundschulleitern in NRW) gibt es ja schon.
Was hingegen eher entmutigt, das sind Initiativen wie die gestern vom Bundesbildungsministerium und von der KMK vorgestellten Maßnahmen zur Förderung von Spitzenschülern und zur Bekämpfung des Analphabetismus in Deutschland. Nicht falsch verstehen: Es ist nichts dagegen einzuwenden, Hochbegabte besonders zu fördern und Analphabeten das Lesen und Schreiben beizubringen. Es ist allerdings ein Herumdoktern an Symptomen, wenn dies punktuell und in besonderen Modellprojekten geschieht – statt schlicht und einfach die Grundschulen in der Fläche besser personell auszustatten. Lesen und Schreiben lernen Menschen nämlich in der Regel dort; und in Sachen individueller Förderung muss man den deutschen Grundschulen auch nichts vormachen – das haben die Erfolge bei den früheren Grundschulstudien TIMSS und IGLU bewiesen.