DRESDEN. Der Thüringer AfD-Vorsitzende Björn Höcke, Geschichtslehrer von Beruf, hat mit massiver Kritik am Holocaust-Gedenken der Deutschen – und insbesondere der Schulen in Deutschland – Empörung ausgelöst. Darüber hinaus verglich er die Bundesregierung mit dem Regime der DDR. Höcke ist derzeit als Landtagsabgeordneter vom Schuldienst freigestellt. Er selbst hält sich eine Option auf eine Rückkehr dorthin offen. Seine Äußerungen werfen allerdings einmal mehr die Frage auf: Darf ein Mann, der die Werte des Grundgesetzes in Zweifel zieht und die gewählte Bundesregierung in die Nähe einer Diktatur rückt, Lehrer sein – und das auch noch im Fach Geschichte, in dem die Erinnerungskultur an den Nationalsozialismus und den Judenmord inhaltlich eine zentrale Rolle spielt?
Offensichtlich mit Blick auf das Holocaust-Mahnmal in Berlin sagte Höcke auf einer Veranstaltung der Jungen Alternative am Dienstagabend in Dresden: «Wir Deutschen, also unser Volk, sind das einzige Volk der Welt, das sich ein Denkmal der Schande in das Herz seiner Hauptstadt gepflanzt hat.»
Der AfD-Politiker sagte, bis jetzt sei der deutsche Gemütszustand der «eines brutal besiegten Volkes». «Anstatt die nachwachsende Generation mit den großen Wohltätern, den bekannten, weltbewegenden Philosophen, den Musikern, den genialen Entdeckern und Erfindern in Berührung zu bringen, von denen wir ja so viele haben, …vielleicht mehr als jedes andere Volk auf dieser Welt…, und anstatt unsere Schüler in den Schulen mit dieser Geschichte in Berührung zu bringen, wird die Geschichte, die deutsche Geschichte, mies und lächerlich gemacht», sagte Höcke. Die Regierung Merkel sei «zu einem Regime mutiert». Weder «Habitus noch ihre floskelhafte Phraseologie unterscheidet Angela Merkel von Erich Honecker», sagte Höcke unter «Merkel muss weg»-Rufen der Zuhörer.
Philologenchef Meidinger zweifelt – Darf das Land Lehrer Höcke entlassen?
SPD-Vize Ralf Stegner sprach auf dem Kurznachrichtendienst Twitter von einer «Hetz-Rede» und forderte: «Null Einfluss für das Neonazipack!» Die Grünen-Vorsitzende Simone Peter nannte die Rede des AfD-Politikers «unsäglich». «Die AfD muss sich unmissverständlich davon distanzieren und sich bei unseren jüdischen Freundinnen und Freunden entschuldigen.» In einem Brief an Hessens Kultusminister Alexander Lorz (CDU) haben die Bundestagsabgeordneten Eva Högl (SPD) und Özcan Mutlu (Grüne) sowie die Thüringer Landtagsabgeordnete Katharina König (Linke) und Anwalt Mehmet Daimagüler, der die Angehörigen eines NSU-Opfers im Prozess gegen die mutmaßliche Rechtsterroristin Beate Zschäpe vertritt, beamtenrechtliche Konsequenzen gefordert. «Kein Demokrat kann ernsthaft wollen, dass Höcke seine Hassreden als Lehrer in einer Schule vorträgt», sagte Mutlu zur Begründung des Schreibens.
SPD-Chef und Vizekanzler Sigmar Gabriel schrieb bei Facebook, ihm sei es beim Anschauen der Rede “kalt den Rücken runtergelaufen”. Höcke unterstelle, der Umgang mit unserer Nazi-Vergangenheit mache uns klein. Das Gegenteil sei richtig: Dass wir uns unserer Geschichte gestellt, dass wir aus der Vergangenheit gelernt hätten, sei Voraussetzung dafür, dass Deutschland weltweit respektiert werde.
Höcke war Oberstudienrat für Sport und Geschichte im nordhessischen Bad Sooden-Allendorf. Er unterrichtete dort an einer Gesamtschule. Er ist als Thüringer Landtagsabgeordneter bis 2019 beurlaubt. Wie das „Handelsblatt“ berichtet, hat Kultusminister Lorz ihm jedoch schon im vergangenen Jahr eine Art Schulverweis erteilt (worauf das hessische Kultusministerium heute noch einmal verwies). „Sollte Herr Höcke nach seiner Tätigkeit im Thüringer Landtag wieder in den hessischen Schuldienst zurückkehren wollen, werde ich unter Beachtung bzw. Einhaltung aller rechtlichen Voraussetzungen und im Rahmen meiner Möglichkeiten alles dafür tun, dass Herr Höcke nicht mehr Unterricht an einer unserer Schulen erteilt“, so erklärte Lorz.
Auslöser war damals eine Rede des Partei- und Fraktionschefs der AfD in Thüringen bei einer Veranstaltung im November 2015 in Sachsen-Anhalt. Höcke hatte damals von einem „lebensbejahenden afrikanischen Ausbreitungstyp“ gesprochen – was von Experten als rassistisch gewertet worden war. Ermittlungen wegen Volksverhetzung hat die Staatsanwaltschaft Halle aber eingestellt. Auf seiner Facebook-Seite kritisierte Höcke seinerzeit die Erklärung von Lorz als „Angriff auf Demokratie und Rechtsstaatlichkeit“. Wer das freie Mandat eines Abgeordneten in Frage stelle, befinde sich nicht mehr auf dem Boden des Grundgesetzes. „Ich möchte den hessischen Kultusminister Professor Lorz an seine Fürsorgepflicht erinnern und erwarte, dass er sich unverzüglich hinter seinen Beamten stellt“, so Höcke.
“Grundgesetzliche Werteentscheidung”
Dass die Haltung zum Holocaust allerdings Einfluss darauf haben kann, ob jemand als Lehrer arbeiten darf, stellte unlängst noch einmal das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen (in einem anderen Fall) klar: „Das Grundgesetz setzt sich klar ab vom nationalsozialistischen Unrecht. Und als Beamter bin ich gehalten, auch diese grundgesetzliche Wertentscheidung zu tragen und nach außen zu kommunizieren, insbesondere dann, wenn ich als Lehrer tätig bin“, so erklärte das Gericht. Trotzdem hob es die Suspendierung eines Pädagogen, der den Judenmord öffentlich relativiert hatte, auf.
Denn das Disziplinarverfahren gegen ihn samt Freistellung dauerte ein Jahr lang an – und das sei unverhältnismäßig. Das Gericht: „Eine solche Suspendierung ist eine Eilmaßnahme und soll die Behörde und das Amt schützen, vor Ansehensverlusten oder Gefahren, die durch ein Fehlverhalten eines Beamten entstehen. Wenn sich aber herausstellt, dass dieser Beamte sich zwar fehl verhalten hat, aber dieser Fehler nicht so gravierend ist, dass man ihn deshalb aus dem Dienst entfernen kann, wird diese Suspendierung unverhältnismäßig. Und so war es hier.“ Und so könnte es auch im Fall Höcke sein. Agentur für Bildungsjournalismus / mit Material der dpa
Hat die AfD-Größe Björn Höcke als Lehrer seinen Unterricht zur Indoktrination von Schülern genutzt? Offenbar nicht. Konkrete Vorwürfe wurden bis heute nicht bekannt. Das Magazin „Vice“ hat mit einem ehemaligen Schüler Höckes gesprochen – und dem erscheinen aus heutiger Sicht allerdings einige Themen des Lehrers als zumindest „zwielichtig“.
So habe der Oberstudienrat im Geschichtsunterricht in der neunten Klasse wiederholt auf Gustave Le Bons Abhandlung über die „Psychologie der Massen” von 1895 verwiesen, er sei „regelrecht fasziniert” davon gewesen. Das Hauptwerk des französischen Sozialpsychologen gilt als Standardwerk der Massenpsychologie, das die Nationalsozialisten stark beeinflusste. „Ohne Führer ist die Masse wie eine Herde ohne Hirten“, so schrieb Le Bon. Der Franzose war auch ein Vordenker des Rassismus. Die Schwarzen, so Le Bon, seien durch die „Unterlegenheit ihres Gehirns“ dazu verurteilt, auf immer „in ihrer Barbarei“ zu bleiben.
Charisma, erinnert sich der Schüler, sei ein weiteres wichtiges Thema für Höcke gewesen. Einmal habe er erzählt, dass sein Großvater Adolf Hitler getroffen habe, der „unglaublich blaue Augen” gehabt habe. Höcke habe dies als zentrales Element des Führerkults gewertet, ebenso bei Napoleon. Während andere Lehrer im Geschichtsunterricht ihren Schwerpunkt im Nationalsozialismus gesetzt hätten, habe Höcke sehr ausführlich die Deutsche Revolution 1848 behandelt, „das war ihm das Wichtigste“.
Aus seiner spirituellen Haltung habe Höcke in der Schule keinen Hehl gemacht. Einmal habe er sich als “Anhänger des Deismus” bezeichnet und angegeben, an einen „Naturgeist” zu glauben. Auch seine Begeisterung für die nordische Mythologie war den Schülern angeblich bekannt. Regelmäßig habe er eine Halskette mit einem Thorshammer-Anhänger getragen, erinnert sich der Schüler. Anfang des 20. Jahrhunderts war das Symbol ein Erkennungszeichen der „völkischen Bewegung”. Auch heute noch dient der Thorshammer in der rechtsextremen Szene als Erkennungszeichen.