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Warum die Schulpolitik für Rot-Grün zum Desaster wurde – eine Analyse

Eine Analyse von News4teachers-Herausgeber Andrej Priboschek.

DÜSSELDORF. Eine Regierung kann mit dem Thema Bildung Wahlen nicht gewinnen, nur verlieren. Diese gängige These scheinen die aktuellen Landtagswahlen zu bestätigen. Im Saarland spielte die Schulpolitik im Parteienstreit kaum eine Rolle, was der amtierenden Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) in die Karten spielte – sie gewann. In Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen hingegen war die Bildung jeweils zentrales Wahlkampfthema – und die bisherigen Regierungschefs Torsten Albig und Hannelore Kraft (beide SPD) wurden von den Wählern brutal abgestraft.

News4teachers-Herausgeber Andrej Priboschek. Foto: Tina Umlauf

Ist also eine bildungspolitische Debatte tatsächlich der sprichwörtliche Stimmungstöter für jede Landesregierung? Richtig ist: Kaum ein anderes Thema ist emotional derart aufgeladen, bei kaum einem anderen mischen so viele organisierte Interessengruppen mit  –  und Experten sind sowieso alle, die schon mal eine Schule von innen gesehen haben (also jeder). Allerdings haben die Landesregierungen in Kiel und Düsseldorf auch gravierende Fehler gemacht, und die haben sich für sie bitter gerächt.

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Noch im vergangenen November war die Welt von Schleswig-Holsteins Kultusministerin Britta Ernst (SPD) in Ordnung. Die Schüler aus Deutschlands hohem Norden verzeichneten beim IQB-Vergleich die höchsten Leistungszuwächse; die Neuntklässler in Schleswig-Holstein gehören nach klaren Verbesserungen in Englisch und Deutsch jetzt zu den besten in Deutschland. Die Kritik der oppositionellen CDU, die Küstenkoalition habe die Leistungsschraube in den Schulen nach unten gedreht, schien damit zu verpuffen.

Beispielhafter Schulkonsens

Auch Sylvia Löhrmann (Grüne), Schulministerin von Nordrhein-Westfalen, hatte mal einen guten Lauf – zu Beginn ihrer Amtszeit. Sie fädelte 2011 einen bundesweit beispielhaften Schulkonsens zwischen der rot-grünen Regierungskoalition und der CDU-Opposition ein, der einen 40-jährigen fruchtlosen Streit um die Schulstruktur beendete. Beide Seiten akzeptierten endlich ein Nebeneinander von gegliedertem Schulsystem und integrierten Schulformen. Ein verheißungsvoller Start für Löhrmann.

Die G8-Debatte erwischte sie dann jedoch auf dem falschen Fuß. Löhrmann glaubte, die wachsende Unzufriedenheit der gymnasialen Klientel nach Manier des Schulkonsenses an einem Runden Tisch wegmoderieren zu können. Ein Trugschluss. Spätestens als die mächtige Landeselternschaft der Gymnasien, die früher das Turbo-Abitur vehement befürwortet hatte, einen radikalen Schwenk vollzog und mit fliegenden Fahnen auf die Seite der Gegner wechselte, stand Löhrmann im Abseits. Auch Britta Ernst wurde von einer plötzlich aufkommenden G8-Diskussion in Schleswig-Holstein überrascht.

Das Problem: Löhrmann und Ernst hatten es versäumt, hinreichend deutlich zu machen, warum sie an der verkürzten Schulzeit am Gymnasium festhielten. Und: Welche positiven Ziele sie überhaupt mit der (gymnasialen) Bildung verbinden. So ließe sich zum Beispiel postulieren, dass ein frühes Abitur mehr Möglichkeiten bietet, eine duale Ausbildung und ein Studium zu verbinden – und so jungen Menschen zu hervorragenden Berufseinstiegschancen verhelfen kann. Tatsächlich aber verblieb die Argumentation der beiden Ministerinnen in der Defensive; man wolle nicht schon wieder Unruhe in die Schulen tragen, hieß es. Löhrmann versuchte dann noch, mit der Idee einer individuellen Schulzeit zu punkten. Das war aber zu wenig, um viele Wähler überzeugen zu können.

Wir brauchen jetzt eine breite Debatte über die Inklusion – sonst droht ihr das Schicksal von G8

Ähnlich lief es mit der Inklusion: Warum ist das Förderschulwesen, wie es jahrzehntelang in Deutschland bestand, denn plötzlich ein Auslaufmodell? Was soll der gemeinsame Unterricht von behinderten und nicht-behinderten Kindern in allen Schulen denn überhaupt bringen? Der Verweis auf die 2009 vom Bundestag ratifizierte UN-Behindertenrechtskonvention, der dann stets kommt, ist ein formaler – und als solcher wenig geeignet, Interesse oder sogar Begeisterung zu wecken. Hier hätte es frühzeitig deutlicher Worte und anschaulicher Beispiele bedurft, um breiten Bevölkerungsschichten die Notwendigkeit der Inklusion so anschaulich zu machen, dass sie womöglich auch über Anlaufschwierigkeiten hinweg gesehen hätten. So aber wirken die Probleme, die in der Praxis mittlerweile ja massiv auftreten, bei den betroffenen Lehrkräften und Eltern als schier endloses Gewürge. Und wofür? Die Vision fehlt.

Der Slogan “Kein Kind zurücklassen”, mit dem Kraft die Bildungspolitik der von ihr geführten Koalition auf den Punkt bringen wollte, konnte das nicht übertünchen. Wie beliebig und einfallslos die rot-grüne Schulpolitik damit wirkte, lässt sich daran ablesen, dass mit den gleichen Worten auch schon Löhrmanns Amtsvorgängerin Barbara Sommer (CDU) das Ziel ihrer Arbeit überschrieben hatte. Sommer wiederum hatte den Spruch von US-Präsident George W. Bush abgekupfert (“no child left behind”) – Werbebotschaft reloaded.

Glaubhaft kommunizieren!

„Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen“, meinte weiland Helmut Schmidt. So pointiert und lustig der Spruch auch sein mag – als Richtschnur für die Schulpolitik taugt er nur bedingt. Pragmatismus ist wichtig, klar, und nichts ist schädlicher in der Bildung als blinde Ideologie. Wer aber Eltern überzeugen will und Lehrkräften große Belastungen zumutet,  der muss sich schon die Mühe machen, ihnen zu erklären, wohin die Reise konkret gehen soll, welche Schritte bis zum Ziel vorgesehen sind und mit welchen Problemen auf dem Weg zu rechnen ist. Wem das gelingt, der kann auch mit der Schulpolitik Wahlen gewinnen. Glaubhafte Kommunikation ist das Zauberwort.

Wie die aussehen kann, hat der schleswig-holsteinische CDU-Spitzenkandidat Daniel Günther vorgemacht. Vier Wochen vor der Wahl im März landete er einen Coup: Günther kündigte an, G8 abschaffen und zum neunjährigen Gymnasium zurückkehren zu wollen – obwohl die CDU früher selbst das Turbo-Abi favorisiert hatte. Der Christdemokrat räumte jedoch selbstkritisch ein, seine Partei habe einen Fehler gemacht – und er beteuerte, sie habe daraus gelernt. Klares Ziel sei es nun, dass Schüler, Eltern und Lehrer einfach wieder mehr Zeit bekämen. Das zog. Agentur für Bildungsjournalismus

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