STUTTGART. Wohin entwickelt sich die baden-württembergische Gemeinschaftsschule? Das wohl größte Projekt der ehemaligen rot-grünen Regierung wird fünf Jahre alt. Der Festakt in Stuttgart zeigt erneut die unterschiedlichen Positionen der Parteien. Für Ministerpräsident Kretschmann sind die rund 300 Gemeinschaftsschulen im Land Vorreiter bei vielen wichtigen Themen. Kultusministerin Eisenmann (CDU) sieht die von vielen ihrer Parteifreunde ungeliebten Schulform „am Erwachsen-Werden“.
Ministerpräsident Winfried Kretschmann sieht die Gemeinschaftsschule fünf Jahre nach ihrem Start als Pionier auf vielen Gebieten. «Gemeinschaftsschulen sind leistungsstarke Schulen», betonte der Grünen-Politiker bei der Feier. «Dabei bin ich immer wieder erstaunt, wie positiv sich diese Schulen in so kurzer Zeit entwickelt haben.» Sie seien Vorreiter bei Themen wie digitalem Lernen, der Integration oder der Inklusion, wo behinderte und nicht-behinderte Kinder zusammen lernen.
Den Angaben zufolge gibt es im Land inzwischen 300 dieser «Schulen für alle», in denen mehr als 50 000 junge Leute mit Haupt-/Werkrealschul-, Real- und Gymnasialempfehlung und Schüler mit Behinderung gemeinsam lernen.
Die Gemeinschaftsschulen verzeichneten für 2017/18 im Land jedoch erstmals rückläufige Anmeldungen. Rund 800 Grundschulabgänger weniger entschieden sich dafür. «Sie sollten sich von solchen Wasserstandsmeldungen nicht verrückt machen lassen», sagte Kretschmann zu den Gästen. «So etwas ist nach einem so großen Aufwuchs völlig normal. Da muss sich das natürlich zurechtruckeln.»
Zentrale Klassenarbeiten und Qualitätskontrollen: CDU erhöht Druck auf Lehrer
Zuvor hatte es von der Opposition Kritik gegeben. Die SPD im Landtag verlangte von den Grünen unter anderem mehr Einsatz im Parlament, wenn es darum gehe, die Interessen der Schulart zu vertreten. Die FDP dagegen sieht sie noch immer skeptisch und fordert, Privilegien abzuschaffen, die sie im Vergleich zu anderen Schularten habe.
Der SPD-Bildungsexperte Stefan Fulst-Blei monierte, der ehemalige Partner der SPD in der damaligen grün-roten Koalition überlasse die Gemeinschaftsschule ihrem Schicksal im CDU-geführten Kultusministerium. Die Folgen seien fatal. Als Beispiele nannte er unzureichende Versorgung mit Lehrkräften und Unterrichtsausfall. «Es gibt mehr als 700 Gymnasiallehrkräfte, die gerne an Gemeinschaftsschulen arbeiten würden, aber keine Stelle bekommen – da muss von den Grünen doch mehr kommen als nur Schulterzucken.»
Dauerstreitobjekt Gemeinschaftsschule – SPD wirft Eisenmann bewusste Täuschung vor
Der FDP-Bildungsexperte Timm Kern sah das anders: «Nach wie vor ist die Gemeinschaftsschule mit erheblichen Privilegien gegenüber den anderen Schularten ausgestattet, beispielsweise bei Lehrpersonal, beim Ganztagsausbau oder bei der Bezuschussung des Schulbaus.» Die beiden grünen-geführten Regierungen hätten sich nicht durchgerungen, im Sinne eines Schulfriedens alle Schularten fair auszustatten.
«Durch individuelles Lernen tragen Gemeinschaftsschulen zu mehr Bildungsgerechtigkeit und damit zu größerem Bildungserfolg bei», betonte hingegen Grünen-Fraktionschef Andreas Schwarz. «Sie fördern jedes Kind individuell – unabhängig von seiner sozialen Herkunft.»
Die Gemeinschaftsschule führt die Klassen fünf bis zehn, kann aber auch die Grundschule und/oder eine dreijährige Oberstufe umfassen. Wenn mindestens 60 Schüler zusammenkommen, kann auch eine gymnasiale Oberstufe eingerichtet werden. In Konstanz und Tübingen wurde das bereits genehmigt. Gemeinschaftsschulen sind Ganztagsschulen, in denen Phasen der Anspannung und Entspannung abwechseln.
Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) betonte am Samstag ihr «klares Bekenntnis zum pädagogischen Konzept, so wie es jetzt vorliegt». Um die Zukunft dieser Schulart mache sie sich keine Sorgen. «Die Gemeinschaftsschulen sind jetzt am Erwachsen-Werden.» (dpa)
Befürworter sehen in der Gemeinschaftsschule eine Möglichkeit, allen Kindern und Jugendlichen dieselben Bildungschancen einzuräumen. Sie besteht aus den Klassen fünf bis zehn, kann aber auch die Grundschule und/oder eine dreijährige Oberstufe umfassen. Zudem sollte sie der zunächst rückläufigen Schülerzahl Rechnung tragen und insbesondere im ländlichen Raum eine Vielfalt der Abschlüsse ermöglichen.
Es können der Hauptschulabschluss und der mittlere Abschluss abgelegt werden. Wenn mindestens 60 Schüler zusammenkommen, kann auch eine gymnasiale Oberstufe eingerichtet werden. An zwei Schulen – in Konstanz und Tübingen – wurde das bereits genehmigt.
Sitzenbleiben gibt es nicht mehr, die Leistungen werden in der Regel nicht mehr mit Noten gemessen. An die Stelle des Zeugnisses tritt ein sogenannter Lernentwicklungsbericht. Die Klingel nach 45 Minuten gibt es nicht mehr. Die rund 300 Gemeinschaftsschulen im Südwesten sind immer auch Ganztagsschulen und Inklusionsschulen. (dpa)
Eltern sorgen sich um Zukunft der Gemeinschaftsschulen – Brief an CDU