Die Geschichte nimmt, wie der „Schwarzwälder Bote“ berichtet, ihren Anfang im vergangenen Jahr, als ein bereits pensionierter Sonderschullehrer sich in die Pflicht nehmen lässt, eine erkrankte Kollegin zu vertreten. In einer Sportstunde, so der Vorwurf, soll der 68-Jährige an einer Schülerin gerochen und ihr gesagt haben, sie „rieche nach Türke“. Seine Beteuerungen, „ich habe nie etwas zum Geruch oder zur nationalen Herkunft dieser Schülerin gesagt“, bleiben ungehört – immer mehr Eltern mischen sich ein, und die angebliche Beleidigung mündet in einer Empörungswoge. In abendlichen Telefonaten von Vätern und Müttern dreht der vermeintliche Fall von schulischem Alltagsrassismus immer weitere Pirouetten. Schließlich wird behauptet, der Lehrer soll in die Umkleidekabinen der Schülerinnen gestürmt sein und gebrüllt haben: „Alle Türken sind Nazis.“ Dazu soll er die Elfjährige als hässliche Türkin mit dunkler Haut beschimpft haben.
“Unglückliche Bemerkung”
Vor Gericht kam jetzt heraus: Nichts davon ist wahr. „Ich habe mich einmal zu diesem Mädchen runtergebeugt und gesagt, ihre Mutter soll das Loch in ihrer Gymnastikhose stopfen“, so erklärte der Pädagoge dem Zeitungsbericht zufolge vor Gericht. Diese Äußerung hat die Elfjährige offenbar falsch verstanden – und mit einer anderen „unglücklichen Bemerkung“ des Lehrers (wie er selbst einräumt) verknüpft. Dabei hatte er offenbar versucht, sich gegen eine rassistische Bemerkung eines Schülers zu wenden. Als der Junge sich nämlich abfällig gegenüber Türken äußerte, erklärte ihm der Lehrer im Beisein der Mitschüler: „Das geht gar nicht. Du kannst sie nicht beleidigen. Lass die Türken in Ruhe, sie haben genug Probleme. Sonst gibt’s noch einen Krieg wie bei Hitler.“ Das wurde offenbar missverstanden. Kein Wunder: Viele Schüler der Schule sprechen nur schlecht Deutsch.
Die Geschichte kam auch der Klassenlehrerin zu Ohren. „Die Schüler waren an diesem Tag alle durcheinander. Sie sagten, der Sportlehrer habe die Türken beleidigt“, so berichtet sie nun vor Gericht. Sie befragte einzelne Schüler und stellte fest: Jedes Kind hatte die Aussage anders verstanden. „Das Sprachniveau dieser Kinder ist extrem niedrig, der Wortschatz ist begrenzt“, erklärt die Klassenlehrerin dem Richter. Doch die Eltern ließen sich nicht mehr beruhigen. Die Wogen schlugen hoch, es kamen immer mehr Vorwürfe dazu. Die Klassenlehrerin spricht von “fürchterlichen Beschuldigungen”, die den Lehrer schließlich vor Gericht bringen.
Selbst für die Staatsanwaltschaft ist die Sache klar: Sie plädiert wie die Verteidigung auf Freispruch. “Diese Bemerkung, um die es heute geht, diese angebliche Beleidigung, die gab es nicht”, sagt die Staatsanwältin dem „Schwarzwälder Boten“ zufolge. „Es wurde etwas zusammengereimt, was einen heute fassungslos macht.“ Für den betroffenen Lehrer wirkt die Geschichte trotz des Freispruchs nach. Er fühle sich nach wie vor „sehr belastet“, so gibt er zu Protokoll.
Der Fall reiht sich ein in eine Reihe von juristischen Auseinandersetzungen, in die Lehrer in jüngster Zeit gezogen wurden:
- Ein aktueller Fall aus München: Ein Zehnjähriger nässt sich in der Klasse ein. Weil der Lehrer ihm jedoch zuvor verboten haben soll, auf die Toilette zu gehen, liegt nun gegen den Pädagogen eine Anzeige „wegen Körperverletzung im Amt und Nötigung“ vor. Mehr noch: Die Eltern wandten sich an die Boulevardpresse, die daraus eine Sensationsgeschichte machte. Hier steht das Verfahren aus.
- Vor einem halben Jahr musste sich ein Pädagoge einer Berliner Schule vor dem Verwaltungsgericht der Bundeshauptstadt verantworten. Er hatte einem Schüler ein störendes Handy weggenommen und über das Wochenende einbehalten – rechtmäßig, wie der Richter entschied. Es wies damit eine Klage des Schülers und seiner Eltern ab. Bizarr wirkt die Begründung der Erziehungsberechtigten für den Gang zum Gericht: Die Maßnahme habe ihren Sohn “in seiner Ehre verletzt und gedemütigt”.
- Vor einem Jahr machte der Fall eines Musiklehrers bundesweit Schlagzeilen, der einer Klasse eine Stillarbeit aufgegeben hatte – und am Ende der Stunde nur Schüler aus dem Klassenraum ließ, die die Arbeit erledigt hatten. Um das kontrollieren zu können, hatte sich der Pädagoge mit seinem Stuhl quer vor die Klassentür gesetzt. Ein Schüler rief per Handy die Polizei. Der Lehrer wurde wegen Freiheitsberaubung zunächst verurteilt. Erst in zweiter Instanz gab’s einen Freispruch – und einen passenden Kommentar des Richters: „Es ist doch fraglich, ob es Sinn macht, so etwas zu verfolgen.“
Immer öfter werden Lehrer von Eltern juristisch unter Druck gesetzt. Selbst Banalitäten wie der Sitzplatz des Kindes in der Klasse sind für manche Väter und Mütter mittlerweile Anlass, mit dem Anwalt zu drohen. Die Rechtsabteilung des größten bayerischen Lehrerverbandes – BLLV – mit 60.000 Mitgliedern weiß hiervon ein Lied zu singen. „Genügten vor 20 Jahren ein bis zwei Rechtsvertreter, um die schulischen Rechtsprobleme von Lehrern zu lösen, so ist diese Abteilung heute die größte Abteilung des Lehrerverbandes und mit 17 Personen besetzt, davon sechs Volljuristen“, so berichtet Hans-Peter Etter, der Leiter der BLLV-Rechtsabteilung. „Die meisten einlaufenden Rechtsfälle sind durch Eltern initiiert, seien es Elternbeschwerden, Dienstaufsichtsbeschwerden, Strafanzeigen, Widersprüche und Klagen gegen Lehrer.“ bibo / Agentur für Bildungsjournalismus
