Wie eine Empörungswoge unter Eltern einen Lehrer vor Gericht bringt – völlig unberechtigt, so lautet das Urteil

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BALINGEN. Immer öfter drohen Eltern Lehrern mit dem Anwalt, immer schneller dreht sich bei Konflikten in der Schule die Eskalationsspirale nach oben. Jüngstes Beispiel: der Fall eines Lehrers aus dem baden-württembergischen Balingen, der vor Gericht landete, weil er eine Schülerin rassistisch beleidigt haben soll. Das Urteil lautete: Freispruch. Der Vorwurf war an den Haaren herbeigezogen, so stellte sich im Verlauf der Verhandlung heraus. Ungeklärt blieb allerdings, warum sich die Justiz mit solchen Bagatellen aus dem Lehreralltag, die (eigentlich) durch ein klärendes Gespräch aus der Welt zu schaffen wären, herumschlagen muss.

Nicht immer ist eine fristlose Kündigung rechtens. Foto: Florentine / pixelio.de
Immer öfter landen Lehrer wegen offensichtlicher Bagatellen vor Gericht. Foto: Florentine / pixelio.de

Die Geschichte nimmt, wie der „Schwarzwälder Bote“ berichtet, ihren Anfang im vergangenen Jahr, als ein bereits pensionierter Sonderschullehrer sich in die Pflicht nehmen lässt, eine erkrankte Kollegin zu vertreten. In einer Sportstunde, so der Vorwurf, soll der 68-Jährige an einer Schülerin gerochen und ihr gesagt haben, sie „rieche nach Türke“. Seine Beteuerungen, „ich habe nie etwas zum Geruch oder zur nationalen Herkunft dieser Schülerin gesagt“, bleiben ungehört – immer mehr Eltern mischen sich ein, und die angebliche Beleidigung mündet in einer Empörungswoge. In abendlichen Telefonaten von Vätern und Müttern dreht der vermeintliche Fall von schulischem Alltagsrassismus immer weitere Pirouetten. Schließlich wird behauptet, der Lehrer soll in die Umkleidekabinen der Schülerinnen gestürmt sein und gebrüllt haben: „Alle Türken sind Nazis.“ Dazu soll er die Elfjährige als hässliche Türkin mit dunkler Haut beschimpft haben.

„Unglückliche Bemerkung“

Vor Gericht kam jetzt heraus: Nichts davon ist wahr. „Ich habe mich einmal zu diesem Mädchen runtergebeugt und gesagt, ihre Mutter soll das Loch in ihrer Gymnastikhose stopfen“, so erklärte der Pädagoge dem Zeitungsbericht zufolge vor Gericht. Diese Äußerung hat die Elfjährige offenbar falsch verstanden – und mit einer anderen „unglücklichen Bemerkung“ des Lehrers (wie er selbst einräumt) verknüpft. Dabei hatte er offenbar versucht, sich gegen eine rassistische Bemerkung eines Schülers zu wenden. Als der Junge sich nämlich abfällig gegenüber Türken äußerte, erklärte ihm der Lehrer im Beisein der Mitschüler: „Das geht gar nicht. Du kannst sie nicht beleidigen. Lass die Türken in Ruhe, sie haben genug Probleme. Sonst gibt’s noch einen Krieg wie bei Hitler.“ Das wurde offenbar missverstanden. Kein Wunder: Viele Schüler der Schule sprechen nur schlecht Deutsch.

Die Geschichte kam auch der Klassenlehrerin zu Ohren. „Die Schüler waren an diesem Tag alle durcheinander. Sie sagten, der Sportlehrer habe die Türken beleidigt“, so berichtet sie nun vor Gericht. Sie befragte einzelne Schüler und stellte fest: Jedes Kind hatte die Aussage anders verstanden. „Das Sprachniveau dieser Kinder ist extrem niedrig, der Wortschatz ist begrenzt“, erklärt die Klassenlehrerin dem Richter. Doch die Eltern ließen sich nicht mehr beruhigen. Die Wogen schlugen hoch, es kamen immer mehr Vorwürfe dazu. Die Klassenlehrerin spricht von „fürchterlichen Beschuldigungen“, die den Lehrer schließlich vor Gericht bringen.

Selbst für die Staatsanwaltschaft ist die Sache klar: Sie plädiert wie die Verteidigung auf Freispruch. „Diese Bemerkung, um die es heute geht, diese angebliche Beleidigung, die gab es nicht“, sagt die Staatsanwältin dem „Schwarzwälder Boten“ zufolge. „Es wurde etwas zusammengereimt, was einen heute fassungslos macht.“ Für den betroffenen Lehrer wirkt die Geschichte trotz des Freispruchs nach. Er fühle sich nach wie vor „sehr belastet“, so gibt er zu Protokoll.

Der Fall reiht sich ein in eine Reihe von juristischen Auseinandersetzungen, in die Lehrer in jüngster Zeit gezogen wurden:

  • Ein aktueller Fall aus München:  Ein Zehnjähriger nässt sich in der Klasse ein. Weil der Lehrer ihm jedoch zuvor verboten haben soll, auf die Toilette zu gehen, liegt nun gegen den Pädagogen eine Anzeige „wegen Körperverletzung im Amt und Nötigung“ vor. Mehr noch: Die Eltern wandten sich an die Boulevardpresse, die daraus eine Sensationsgeschichte machte. Hier steht das Verfahren aus.
  • Vor einem halben Jahr musste sich ein Pädagoge einer Berliner Schule vor dem Verwaltungsgericht der Bundeshauptstadt verantworten. Er hatte einem Schüler ein störendes Handy weggenommen und über das Wochenende einbehalten – rechtmäßig, wie der Richter entschied. Es wies damit eine Klage des Schülers und seiner Eltern ab. Bizarr wirkt die Begründung der Erziehungsberechtigten für den Gang zum Gericht: Die Maßnahme habe ihren Sohn “in seiner Ehre verletzt und gedemütigt”.
  • Vor einem Jahr machte der Fall eines Musiklehrers bundesweit Schlagzeilen, der einer Klasse eine Stillarbeit aufgegeben hatte – und am Ende der Stunde nur Schüler aus dem Klassenraum ließ, die die Arbeit erledigt hatten. Um das kontrollieren zu können, hatte sich der Pädagoge mit seinem Stuhl quer vor die Klassentür gesetzt. Ein Schüler rief per Handy die Polizei. Der Lehrer wurde wegen Freiheitsberaubung zunächst verurteilt. Erst in zweiter Instanz gab’s einen Freispruch – und einen passenden Kommentar des Richters: „Es ist doch fraglich, ob es Sinn macht, so etwas zu verfolgen.“

Immer öfter werden Lehrer von Eltern juristisch unter Druck gesetzt. Selbst Banalitäten wie der Sitzplatz des Kindes in der Klasse sind für manche Väter und Mütter mittlerweile Anlass, mit dem Anwalt zu drohen. Die Rechtsabteilung des größten bayerischen Lehrerverbandes – BLLV – mit 60.000 Mitgliedern weiß hiervon ein Lied zu singen. „Genügten vor 20 Jahren ein bis zwei Rechtsvertreter, um die schulischen Rechtsprobleme von Lehrern zu lösen, so ist diese Abteilung heute die größte Abteilung des Lehrerverbandes und mit 17 Personen besetzt, davon sechs Volljuristen“, so berichtet Hans-Peter Etter, der Leiter der BLLV-Rechtsabteilung. „Die meisten einlaufenden Rechtsfälle sind durch Eltern initiiert, seien es Elternbeschwerden, Dienstaufsichtsbeschwerden, Strafanzeigen, Widersprüche und Klagen gegen Lehrer.“ bibo / Agentur für Bildungsjournalismus

Der “Pinkel-Skandal” von München – oder: Warum Lehrer heutzutage allen Ernstes mit Klagen überzogen werden

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Küstenfuchs
6 Jahre zuvor

Ich finde das Verhalten der Staatsanwalötschaft unglaublich! Wie kann man in so einem Fall Anklage erheben? Wenn der Staatsanwalt mal seinen Job machen würde (wenn er dazu Willens oder in der Lage ist), würde so ein Verfahren nicht passieren. Ich hoffe, der Kollege zeigt noch ein paar der Eltern wegen Verleumdung an!

xxx
6 Jahre zuvor
Antwortet  Küstenfuchs

Die Bemerkung des Lehrers war in der Tat unglücklich, weil die Kinder in erster Linie die Worte „Türke“, „Krieg“ und „Hitler“ verstanden haben. Weder sie noch die Eltern wussten sicherlich, dass Hitler für die Muslime viel übrig hatte, zumindest wenn der Historiker David Motadel Recht hat:

https://www.focus.de/wissen/mensch/geschichte/nationalsozialismus/hitlers-muselmanen-fuhrer_id_7908751.html

Insgesamt ist es aber eine Frechheit, dass viele Eltern wegen Nickligkeiten gleich mit dem Anwalt drohen. Solche Angelegenheiten sollten von den Rechtsschutzversicherungen und den Beratungsscheinen nicht mehr übernommen werden.

Thorsten Schröder
6 Jahre zuvor
Antwortet  Küstenfuchs

Zeigt der Fall nicht auch, wie sehr die Hysterie und Verleumdungslust bezüglich Rassismus und Fremdenhass zugenommen hat?!
Jeder möchte als Saubermann oder die Sauberfrau wahrgenommen werden, was nicht selten zu gefährlichem Übereifer und Rufmord führt.
Lehrer scheinen immer mehr mit einem Bein vor Gericht zu stehen, wenn Schüler über sie zu Hause dummes Zeug erzählen und Eltern gierig nach jedem Brocken zur Empörung schnappen.
Solche Motzklötze erlebe ich als Vater ständig auf Elternabenden. Glücklicherweise greifen andere Eltern oft ein und nehmen die Lehrer in Schutz. Was, wenn sie es nicht täten und durch Schweigen Zustimmung signalisierten?

bolle
6 Jahre zuvor

Wer durch des Argwohns Brille schaut, sieht Raupen selbst im Sauerkraut.
(Wilhelm Busch)

sofawolf
6 Jahre zuvor

Die genannten Fälle sind typisch für den Lehrerberuf heute. Das sind Dinge, die abschrecken, um Lehrer zu werden.

Nervig ist, dass etwas, wie im Falle des Musiklehrers P. laut Schulgesetzt erlaubt ist, aber laut „Zivilrecht“ (?) nicht erlaubt ist. Dann tue ich etwas nach bestem Wissen und Gewissen und vermeintlicher Rechtsgrundlage und kann doch deswegen angeklagt werden.

Nervig ist auch, dass etwas in dem einen Bundesland erlaubt ist und in dem anderen nicht; dass Urteile nur für einen bestimmten Fall gelten und für einen anderen ggf. wieder nicht und dass Richter sich nicht danach richten müssen, was andere Richter in gleichen Fällen entschieden haben.

So entsteht jedenfalls keine R e c h t s s i c h e r h e i t !

sofawolf
6 Jahre zuvor
Antwortet  sofawolf

Und weil das alles so kompliziert ist, fühlt sich auch kein Lehrer sicher und weil sich kein Lehrer sicher fühlt, kann er schlecht Paroli bieten und „Beißeltern“ jeglicher Art von vornherein Einhalt gebieten.

(Natürlich gibt es auch Dinge, an die Lehrer sich halten müssen.)

xxx
6 Jahre zuvor
Antwortet  sofawolf

Dazu kommt, dass sich der Dienstherr (Schulleitung bzw. Dezernat) im Zweifel nicht hinter den Lehrer stellen, sondern für solche Angelegenheiten den Lehrer verantwortlich machen. Ist einfacher und kostengünstiger, weil die Rechtsschutzversicherung des Lehrers die Kosten übernimmt (oder der Lehrer halt selbst).

Ignaz Wrobel
6 Jahre zuvor
Antwortet  xxx

Ist die deutsche Sprache einem nicht gewogen,
wird einfach drauf los gelogen,
und die Wahrheit sehr verbogen,
so sie nun zu Gerichte zogen.
Aus derlei drei Worten ,
entstanden bald danach,
wovon dieser Lehrer gar nicht sprach.
Dummheiten in den häuslichen Orten.
Und man war sich nicht zu dumm,
telefonierte in der Welt herum.
Nun ging`s dem Lehrer an den Kragen,
konnte er auch nichts mehr dagegen sagen.
Allein es folgten nun die Klagen,
und man stellte ihm die böse Fragen.
Auf es ging zu Gericht,
Dort sah man es in einem anderen Licht.
Und so können wir nur hoffen,
das man in der Zukunft dann,
daraus Lehren ziehen kann,
wenn man all zu offen ,
kleine Probleme hat angesprochen,
die ihm dann fast das Genick gebrochen.

Küstenfuchs
6 Jahre zuvor
Antwortet  xxx

@xxx: Die Haltung der Schulleitung und des Ministeriums ist in dem Fall doch fast egal! Die Staatsanwaltschaft hat zu prüfen, ob aus ihrer Sicht eine Straftat vorliegt. Und wenn es wie in diesem Fall offensichtlich nicht der Fall ist, braucht sie auch keine Anklage zu erheben. Dass sie es hier doch getan hat, ist völliges Versagen eines Staatsanwalts und hat mit der Schulleitung eher wenig zu tun.

xxx
6 Jahre zuvor
Antwortet  Küstenfuchs

Die Schulleitung und die Dezernate haben aber auch die Aufgabe, ihre Mitarbeiter zu schützen. Staatsanwälte oder Staatsanwaltinnen, die so etwas zur Anklage bringen, wollen wohl eher ihre eigenen schlechten Erfahrungen mit der Institution Schule kompensieren.

Ignaz Wrobel
6 Jahre zuvor

Haltet die Lehrer in Ehren,
allein sie wollen euch was lehren,
wie man kann lesen, rechnen schreiben,
damit wir nicht gar Dumme bleiben.

Und machen wir uns auch mal Sorgen,
so wissen wir, die Kinder sind geborgen.
Doch Lehrer müssen viel ertragen,
denn vieles liegt heute sehr im Argen.

Von Heterogenität, bis Pubertät,
von Inklusion und bis Division,
von Lesen bis zum Verkehrswesen,
vom Schwimmen bis zum Lieder stimmen.
Ernährung bis zu des Streites Klärung.

Ja, für alles sind die Lehrer da,
na, man es so im Ministerium sah.
Von da man gebar so mache Reform,
davon waren viele nicht in guter Form,
im Ministerium war man sehr vermessen,
man hatte valide Studien ganz vergessen.
Allein es zählte die Idee,
was kam dazu, oh jemine !