Der Fall, über den der „Südkurier“ ausführlich berichtet, ereignete sich im März des vergangenen Jahres auf einem Schulausflug nahe dem Bodensee. Die beiden Lehrer waren laut Bericht mit sechs Schülern in einem Kleinbus unterwegs, als der Zwölfjährige – der fast 100 Kilogramm wiegen soll – anfing zu randalieren. Der Junge habe es verweigert, sich anzuschnallen, habe von hinten am Sicherheitsgurt eines anderen Schülers gezogen und gegen eine Wasserflasche getreten, aus der dieser trinken wollte, so heißt es. Nachdem der Kleinbus zum Stehen gekommen war, zogen die beiden Pädagogen den Schüler aus dem Wagen und „fixierten“ ihn, hielten ihn also am Oberkörper und an den Beinen fest. Das sei an ihrer Schule – offenbar eine Förderschule – durchaus üblich, um Gefahren von Schülern und Lehrern abzuwenden.
Allerdings konnte sich der Schüler aus der Umklammerung befreien. Er soll einen faustgroßen Stein gegriffen haben, um ihn auf einen der Lehrer zu werfen – als die beiden Pädagogen sich erneut auf ihn stürzten. Dabei kam es zu einem Handgemenge und zu einem Faustschlag ins Gesicht des Jungen. Zeugenaussagen belasteten die Lehrer dem “Südkurier” zufolge schwer. Die beiden hätten mit einer Brutalität, „die ich noch nie gesehen habe, auf das Kind eingetreten“, gab beispielsweise ein Autofahrer vor Gericht zu Protokoll. „Das ging so weit, dass ich ehrlich Angst hatte, dass sie ihn totschlagen.“
Tränen vor Gericht
Obwohl noch zwei weitere Zeugen Ähnliches aussagten, folgte das Gericht der Darstellung nicht. Ein ärztliches Attest, das im Krankenhaus kurz nach dem Geschehen erstellt wurde, stellte laut Bericht lediglich leichte Verletzungen fest. Eine übermäßige Gewaltanwendung könne deshalb nicht festgestellt werden; die angeblichen Tritte habe es nicht gegeben. Das Handeln der Pädagogen sei vom Notwehrparagrafen gedeckt, stellte der Richter abschließend fest – Freispruch. Die Staatsanwaltschaft hatte Geldstrafen von jeweils 7000 Euro gefordert. Einer der Lehrer brach bei dem Urteil dem Bericht zufolge in Tränen aus.
Im Verlauf der Verhandlung hatten die beiden Lehrer Einblicke in die Situation des Jungen gegeben – der sei mit sehr viel Gewalt seitens seines Vaters aufgewachsen. Das Verhalten des Schülers sei unberechenbar, mal sehr freundlich, plötzlich aggressiv. Tatsächlich hatte der Zwölfjährige einem anderen Lehrer aus dem Kollegium schon mal einen Stein an den Kopf geworden, sodass dieser blutete. Der Pädagoge sagte vor Gericht entsprechend aus – und äußerte Verständnis für das Kind: „Es war ein Zeichen für die Not, in der er steckte.“
Mit dem Urteil hat das Gericht die Position von Lehrkräften in Extremsituationen gestärkt. Mehrere solcher Urteile hat es in jüngster Zeit gegeben:
- Im Februar war ein Lehrer aus dem baden-württembergischen Balingen freigesprochen wurde, der vor Gericht gelandet war, weil er eine Schülerin rassistisch beleidigt haben soll. Der Vorwurf, der von Eltern erhoben wurde, war an den Haaren herbeigezogen, so stellte sich im Verlauf der Verhandlung heraus.
- Vor einem halben Jahr musste sich ein Pädagoge einer Berliner Schule vor dem Verwaltungsgericht der Bundeshauptstadt verantworten. Er hatte einem Schüler ein störendes Handy weggenommen und über das Wochenende einbehalten – rechtmäßig, wie der Richter entschied. Es wies damit eine Klage des Schülers und seiner Eltern ab. Bizarr wirkt die Begründung der Erziehungsberechtigten für den Gang zum Gericht: Die Maßnahme habe ihren Sohn “in seiner Ehre verletzt und gedemütigt”.
- Vor einem Jahr machte der Fall eines Musiklehrers bundesweit Schlagzeilen, der einer Klasse eine Stillarbeit aufgegeben hatte – und am Ende der Stunde nur Schüler aus dem Klassenraum ließ, die die Arbeit erledigt hatten. Um das kontrollieren zu können, hatte sich der Pädagoge mit seinem Stuhl quer vor die Klassentür gesetzt. Ein Schüler rief per Handy die Polizei. Der Lehrer wurde wegen Freiheitsberaubung zunächst verurteilt. Erst in zweiter Instanz gab’s einen Freispruch – und einen passenden Kommentar des Richters: „Es ist doch fraglich, ob es Sinn macht, so etwas zu verfolgen.“ bibo / Agentur für Bildungsjournalismus
