BERLIN. Die Verunsicherung um die neue europäische Datenschutz-Grundverordnung ist groß, auch unter Lehrkräften. So haben 22 Schulen in Mainz gestern ihre Homepage abgeschaltet, weil sie rechtliche Konsequenzen fürchten. Das rheinland-pfälzische Bildungsministerium hat zwar Entwarnung gegeben – und betont, dass Schulen unbesorgt ihre Seiten im Netz lassen könnten (News4teachers berichtete). So einfach ist es allerdings nicht, wie unsere Gastautorin, die Wiesbadener Rechtsanwältin und Expertin für Schulrecht Sibylle Schwarz feststellt. Sie warnt insbesondere vor einer unbedachten Veröffentlichung von Fotos.
Fotos vom Schulfest und der Projektwoche
Macht Ihre Schule es auch? Theater-AG in der Projektwoche, Schüler nehmen an Wettbewerben teil und natürlich Schulfeste. Von der Bühnenaufführung der Theater-AG werden fleißig Fotos gemacht. Dem Sieger/der Siegerin eines Wettbewerbs wird von der Schulleitung gratuliert und eine Urkunde überreicht. Natürlich in einem Foto festgehalten. Und die vielen Fotos von dem Schulfest erst. Alle Fotos landen danach auf der Homepage der Schule.
Das Gesetz betreffend das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste und der Photographie, abgekürzt KunstUrhG, war bisher die Rechtsgrundlage dafür. Das Kunsturhebergesetz von ursprünglich 1907 hat aber ausgedient, denn der Mai 2018 macht alles neu.
Ab dem 25. Mai 2018 gilt die EU-Datenschutzgrundverordnung, abgekürzt EU-DSGVO, englische Abkürzung GDPR. Die Rechtsvorschrift der Europäischen Union kommt im Gewand einer Verordnung gemäß Artikel 288 AEUV daher. Dies bedeutet: Die Verordnung hat allgemeine Geltung. Sie ist in allen ihren Teilen verbindlich und gilt unmittelbar in jedem Mitgliedsstaat. Einer gesetzgeberischen Tätigkeit der nationalen Mitgliedstaaten bedarf es bei einer EU-Verordnung grundsätzlich nicht.
Um die Neuerungen der EU-Datenschutzgrundverordnung, abgekürzt EU-DSGVO, zu verstehen, muss zunächst noch ein Blick in bisherige Regelung im Kunsturhebergesetz geworfen werden.
- 22 KunstUrhG
Bildnisse dürfen nur mit Einwilligung des Abgebildeten verbreitet oder öffentlich zur Schau gestellt werden. Die Einwilligung gilt im Zweifel als erteilt, wenn der Abgebildete dafür, daß er sich abbilden ließ, eine Entlohnung erhielt. Nach dem Tode des Abgebildeten bedarf es bis zum Ablaufe von 10 Jahren der Einwilligung der Angehörigen des Abgebildeten. Angehörige im Sinne dieses Gesetzes sind der überlebende Ehegatte oder Lebenspartner und die Kinder des Abgebildeten und, wenn weder ein Ehegatte oder Lebenspartner noch Kinder vorhanden sind, die Eltern des Abgebildeten.
- 23 KunstUrhG
(1) Ohne die nach § 22 erforderliche Einwilligung dürfen verbreitet und zur Schau gestellt werden:
- Bildnisse aus dem Bereiche der Zeitgeschichte;
- Bilder, auf denen die Personen nur als Beiwerk neben einer Landschaft oder sonstigen Örtlichkeit erscheinen;
- Bilder von Versammlungen, Aufzügen und ähnlichen Vorgängen, an denen die dargestellten Personen teilgenommen haben;
- Bildnisse, die nicht auf Bestellung angefertigt sind, sofern die Verbreitung oder Schaustellung einem höheren Interesse der Kunst dient.
(2) Die Befugnis erstreckt sich jedoch nicht auf eine Verbreitung und Schaustellung, durch die ein berechtigtes Interesse des Abgebildeten oder, falls dieser verstorben ist, seiner Angehörigen verletzt wird.
Bildnisse dürfen nur mit Einwilligung des Abgebildeten verbreitet werden.
Wer einen Veranstaltungsort betrat, der schaute mehr oder weniger aufmerksam auf einen irgendwo angebrachten Zettel mit der Aufschrift „Fotoaufnahmen“. Oder der Fotografierende rief noch schnell, bevor er den Auslöser drückte, dass doch alle mit der Fotoaufnahme einverstanden seien.
Zugegeben, ein wenig vereinfacht. Das KunstUrhG sprach zwar von Einwilligung, aber nicht davon, wie genau diese auszusehen habe.
Und der § 23 kam gleich mit einer Liste von Ausnahmen daher. Ohne Einwilligung dürfen nämlich verbreitet werden: Bilder von Versammlungen, an denen die dargestellten Personen teilgenommen haben.
(Dass sich beispielsweise Caroline von Monaco mit einigen Verlagen um abgedruckte Fotos überwiegend ihrer Kinder stritt, zeigt, dass es auch unter Geltung des KunstUrhG Streitigkeiten um Grenzen der Fotoaufnahmen und der Verbreitung gab.)
Alles anders nun ab Ende Mai mit Geltung der EU-Datenschutzgrundverordnung. Dort ist auch von Einwilligung die Rede. Und sehr genau davon, wie die Einwilligung auszusehen habe.
Artikel 6 Rechtmäßigkeit der Verarbeitung
Die Verarbeitung ist nur rechtmäßig, wenn mindestens eine der nachstehenden Bedingungen erfüllt ist:
- a) Die betroffene Person hat ihre Einwilligung zu der Verarbeitung der sie betreffenden personenbezogenen Daten für einen oder mehrere bestimmte Zwecke gegeben;
Artikel 7 Bedingungen für die Einwilligung
- Beruht die Verarbeitung auf einer Einwilligung, muss der Verantwortliche nachweisen können, dass die betroffene Person in die Verarbeitung ihrer personenbezogenen Daten eingewilligt hat.
Vorweg, die EU-DSGVO ist eigentlich ziemlich einfach: Es ist alles verboten, was nicht erlaubt ist. „Verbot mit Erlaubnisvorbehalt“ heißt das in der Juristensprache.
Die Verordnung beabsichtigt natürliche Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten zu schützen.
„Personenbezogene Daten“ sind alle Informationen, die sich auf eine identifizierte oder identifizierbare natürliche Person (im Folgenden „betroffene Person“) beziehen.
„Verarbeitung“ wird definiert: jeden mit oder ohne Hilfe automatisierter Verfahren ausgeführten Vorgang oder jede solche Vorgangsreihe im Zusammenhang mit personenbezogenen Daten wie das Erheben, das Erfassen, die Organisation, das Ordnen, die Speicherung, die Anpassung oder Veränderung, das Auslesen, das Abfragen, die Verwendung, die Offenlegung durch Übermittlung, Verbreitung oder eine andere Form der Bereitstellung, den Abgleich oder die Verknüpfung, die Einschränkung, das Löschen oder die Vernichtung.
Mit einem Foto kann eine Person identifiziert werden. Das ist klar. Und das im Vorgang Fotografieren ein Erheben liegt, somit eine Verarbeitung, ist auch klar.
Es braucht also eine EU-DSGVO konforme Einwilligung des Abgebildeten. Diese Einwilligung muss nachgewiesen werden können – vom Fotografen, aber hauptsächlich von der Schule, die das Foto auf die eigene Homepage stellt.
Gemeinhin kann man nur schriftliches nachweisen. Deshalb lassen sich schon längst viele Schule eine Art Blankovollmacht für die Verbreitung von Schülerfotos bereits bei Schuleintritt unterschreiben. Können diese Schulen jetzt aufatmen? Nein.
Die EU-DSGVO geht von einer Zweckbindung aus. Personenbezogene Daten müssen für festgelegte, eindeutige und legitime Zwecke erhoben werden und dürfen nicht in einer mit diesen Zwecken nicht zu vereinbarenden Weise weiterverarbeitet werden. Sich von jedem neuen Schüler bzw seinen Eltern einfach einen Zettel „Verbreitung von Fotos erlaubt“ abzeichnen zu lassen, lässt den Zweck vermissen. Für welchen Zweck verwendet die Schule aufgenommene Fotos ihrer Schüler. Für die Homepage etwa, für eine gedruckte Festschrift zum Schuljubiläum oder für Werbematerialien, um neue Schüler zu gewinnen.
Umfangreiche Betroffenenrechte sind zudem in den §§ 12-22 EU-DSGVO enthalten.
Eine Einwilligung kann jederzeit widerrufen werden.
Die betroffene Person hat das Recht,
– von dem Verantwortlichen (Schule) eine Bestätigung darüber zu verlangen, ob sie betreffende personenbezogene Daten verarbeitet werden.
– von dem Verantwortlichen unverzüglich die Berichtigung sie betreffender unrichtiger personenbezogener Daten zu verlangen.
– von dem Verantwortlichen zu verlangen, dass sie betreffende personenbezogene Daten unverzüglich gelöscht werden.
– auf Beschwerde bei einer Aufsichtsbehörde.
Selbst wenn es Eltern zunächst egal gewesen sein möge und sie zum Zeitpunkt des Schuleintritts (in eine begehrte Schule gar) alles unterschrieben haben, was ihnen vorgelegt worden ist, könnte es sich schnell ändern. Nach ersten schlechten Noten für’s Kind etwa. Oder bei einem Schulwechsel weg von Ihrer Schule und hin zu einer vermeintlich noch viel tolleren Schule. Die Einwilligung wird widerrufen. Eltern verlangen Löschung. Eltern beschweren sich bei der Aufsichtsbehörde.
Ein Foto von der Homepage zu nehmen, mag wenig Aufwand sein. Aber was ist mit der längst verteilten Festschrift zum 100-jährigen Schuljubiläum, die mit vielen Fotos von Schülern die Schulgeschichte illustriert?
Überwiegend wird hier von Eltern gesprochen, obwohl auf den Fotos Kind/Schüler abgebildet ist. Deshalb, weil „Die elterliche Sorge umfasst die Vertretung des Kindes. Die Eltern vertreten das (minderjährige) Kind gemeinschaftlich.“, so bestimmt es § 1629 BGB.
Die EU-DSGVO gilt seit dem 25. Mai 2018. Eine brandneue Rechtsvorschrift also. Es bleibt daher abzuwarten, wie das letztinstanzliche Gericht Rechtsbegriffe endgültig auslegen und die Anwendung der Regelungen endgültig sehen wird. Das Kunsturhebergesetz wird durch die EU-DSGVO in der Anwendung verdrängt.
Es ist zwar in der EU-DSGVO eine sog. Öffnungsklausel für den nationalen Gesetzgeber (die Mitgliedstaaten bringen durch Rechtsvorschrift) vorgesehen, um Abweichungen vorzunehmen. Bis heute hat der Bund bzw haben die Bundesländer davon noch keinen Gebrauch gemacht. Es gibt aber Stimmen, die in den bereits erlassenen Vorschriften des KUG eine Nutzung der Öffnungsklausel sehen wollen.
Egal, wie der Vorrang-Streit ausgehen möge, gerade bei der Veröffentlichung von Fotos minderjähriger Schüler durch die Schule rate ich zur Vorsicht. Eine Schule kann ihre Erziehungsarbeit durchaus leisten, ohne Fotos minderjähriger Schüler auf ihrer Website oder an anderer Stelle zu veröffentlichen. Bei einem Zeitungsartikel hingegen, der über eine öffentliche Veranstaltung berichtet, mag die „Erlaubnis“ zur Veröffentlichung eines Fotos dieser Veranstaltung anders gesehen werden.
Sibylle Schwarz ist Rechtsanwälten bei else.schwarz, einer Kanzlei für Beamtenrecht und Bildungsrecht in Wiesbaden. https://else-schwarz.de/
Hier lässt sich die neue Datenschutz-Grundverordnung herunterladen.