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Grundschule schreibt Brandbrief (schon wieder!): Fast nur noch lernbehinderte oder verhaltensaufällige Kinder – und immer weniger gesunde Lehrer

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BERLIN. Und schon wieder ein Brandbrief … und erneut von einer Berliner Grundschule … In einem Schreiben an Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) hat ein Kollegium aus dem Stadtteil Neukölln mitgeteilt, dass es seinem Bildungsauftrag „nur noch nebenher“ nachkommen könne. Die Inklusion und die besonders schwierige Schülerschaft eines sozialen Brennpunktes auf der einen Seite, gravierender Lehremangel auf der anderen, machten einen normalen Schulbetrieb praktisch unmöglich, so heißt es in dem Brief, der dem „Tagesspiegel“ vorliegt. Bereits im März hatten Brandbriefe einer Grundschule aus Berlin-Schöneberg an die Bildungsverwaltung für Wirbel gesorgt.

Die Grundschule schlägt Alarm: Sie sieht sich kaum mehr in der Lage, ihren Bildungsauftrag zu erfüllen. Foto: Annie Roi / flickr (CC BY 2.0)

An der Schule gebe es eine große Zahl verhaltensauffälliger und lernbehinderter Kinder, so teilen die Lehrerinnen und Lehrer in dem Schreiben mit. Eine „unbegrenzte und alternativlose Inklusion“, wie sie den Schulen in Berlin abverlangt würden, könne unter diesen Bedingungen nicht gelingen. Die Eltern fielen als Partner praktisch aus. Oftmals gebe es im Hinblick auf Sprache und Sozialverhalten in einer ganzen Klasse nur noch ein einziges positives Vorbild für die Kinder – nämlich den Lehrer oder den Erzieher. Die für die Inklusion versprochenen zusätzlichen personellen und materiellen Hilfen kämen dagegen im Schulalltag praktisch nicht an – und wenn doch, dann müssten sie zur Kompensation des Krankenstandes verwendet werden. Und der sei extrem hoch: Zurzeit seien von knapp 30 Lehrern acht nicht verfügbar, also etwa jeder vierte. Meist wegen Dauerkrankheit, berichtet die Rektorin dem „Tagesspiegel“ zufolge.

Krank seien aber nicht nur ältere Lehrer. „Der hohe Krankenstand auch unter den jungen Kollegen lässt vermuten, dass auch an ihnen die extreme Arbeitsbelastung nicht spurlos vorbeigeht“, so heißt es laut Bericht in dem Brandbrief, der von 33 Lehrern und Erziehern unterschrieben wurde.

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Hinzu komme: Im sozialen Brennpunkt Nord-Neukölln mit seiner Vielzahl an problembeladenen Kindern würden viel weniger von den zuständigen Instanzen eine besondere Förderung oder Therapie bewilligt bekommen als in einem sozial gemischten Stadtteil. „Die Latte hängt einfach höher”, stellt das Kollegium fest. Bevor hier eine Sprachstörung oder Entwicklungsverzögerung als solche anerkannt werde, müsse das jeweilige Kind „schon sehr aus der Masse der kaum weniger gefährdeten Kinder herausragen“. Und wenigstens diesen „extrem von Gewalt, Missbrauch, Vernachlässigung, Lernstörung, Schulversagen bedrohten Kindern beizustehen“, müsse ein Berg von bürokratischen Formalitäten bewältigt werden, der „nichts mit unserem Lehrauftrag zu tun hat“, erklären die Lehrkräfte.

Entlastung gefordert

Angesichts der Probleme fordern die Unterzeichner eine deutliche Reduzierung der Unterrichtsverpflichtung von 28 auf 20 Stunden sowie mehr Entlastung für die Aufgaben als Klassenlehrer und als Betreuer von Quereinsteigern. Denn die Neulinge im Lehrerberuf seien auch noch in der Brennpunkt-Schule anzulernen – wo sie häufig völlig überfordert seien, wie die „Berliner Zeitung“ berichtet, der das Schreiben ebenfalls vorliegt. „Wir halten es für fahrlässig, angehende Lehrkräfte an so belasteten Schulen wie der unseren auszubilden – es ist weder in ihrem noch in unserem Interesse.“ Das Kollegium fordert deshalb mehr Unterstützung bei der Inklusion, eine maximale Klassenstärke von 20 Kindern – sowie eine Reduzierung der Pflichtstundenzahl von derzeit 28 auf 20.

Der Fall erinnert an die Spreewald-Grundschule in Berlin-Schöneberg, die seit Kurzem einen privaten Sicherheitsdienst für die Pausenaufsicht beschäftigt. Zunächst hieß es, es handele sich dabei nur um eine Präventionsmaßnahme. Wie Medien dann aber berichteten, steckt doch deutlich mehr dahinter: So hat die Schulleitung gleich mehrfach Hilferufe an die Schulaufsicht, an den Bezirk und ans Jugendamt gerichtet, weil sie der Gewalt auf dem Schulhof nicht mehr Herr wird. Die Situation erinnere an die Situation der Rütli-Schule vor zwölf Jahren, die damals bundesweit Schlagzeilen machte, als das Kollegium vor brutalen Schülern kapituliert hatte, so kommentierte der „Tagsspiegel“.

Der VBE zeigte sich angesichts der Entwicklung in Sorge. Die „Schlagzeilen, in denen von Resignation und Ohnmacht der Schulen die Rede ist, weil immer mehr Schüler durch ihr Verhalten schon im Grundschulbereich massiv andere Kinder vom Lernen abhalten“, nehmen zu, stellte unlängst der Landesverband Baden-Württemberg fest. „Dieser tägliche Spagat zwischen dem eigenen hohen Anspruch an sich selbst, an einen effektiven Unterricht, und der vorgefundenen Realität ist Stress pur und macht den Pädagogen das Leben unnötig schwer und sie letztendlich krank“, hieß es. Agentur für Bildungsjournalismus

Selbst Grundschüler schon außer Rand und Band: Was läuft schief in der Erziehung? VBE schlägt Alarm

 

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