KASSEL. In der kommenden Woche beginnt der Ramadan – und bereits jetzt gibt es Streit darum: Ein berufliches Gymnasium im hessischen Kassel hat mit der Einladung zu seiner Abiturfeier Empörung in rechten Kreisen ausgelöst. In dem Schreiben heißt es, das Buffet werde wegen des Fastenmonats erst nach Sonnenuntergang um 21 Uhr geöffnet. Damit versuchten die Organisatoren aus der Schülerschaft, ihren Mitschülern „muslimische Bräuche und Verhaltensweisen aufzuzwingen“, so behauptet die AfD – was von der Schule entschieden zurückgewiesen wird. Tatsache allerdings ist, dass der Ramadan in diesem Monat in eine entscheidende Phase des Schuljahres fällt. Das dürfte für Probleme sorgen. Denn immer mehr Schüler in Deutschland beteiligen sich offenbar am rituellen Fasten.

So viele muslimische Schüler fasten im Ramadan, dass sich bereits im vergangenen Jahr Schulen genötigt sahen, mit Briefen an die Eltern vor Auswüchsen zu warnen. „Es ist sicherlich wünschenswert, dass sich Kinder mit religiösen Traditionen auseinandersetzen und verständlich, dass gerade jüngere Kinder stolz darauf sind, an diesen Traditionen teilzuhaben“, so hieß es beispielsweise in dem Schreiben eines Kölner Gymnasiums, aus dem der „Kölner Stadt-Anzeiger“ zitierte. „Sie, liebe Eltern, sollten sich aber darüber im Klaren sein, dass Ihre Kinder in der Schule sehr beansprucht werden und Kraft und Konzentration benötigen, um den Leistungsanforderungen gerecht zu werden.“
Der Ramadan, neunter Monat im islamischen Mondkalender, verschiebt sich von Jahr zu Jahr zehn oder elf Tage im Jahresverlauf nach vorne. In diesem Jahr beginnt der Fastenmonat am 16. Mai; er dauert bis zum 14. Juni – und fällt damit, deutlicher noch als in den Vorjahren, größtenteils in eine entscheidende Schuljahresphase. Während des Ramadans dürfen Gläubige von der Morgen- bis zur Abenddämmerung weder essen noch trinken. Derzeit geht in Deutschland die Sonne gegen 5.45 Uhr auf und gegen 21.15 Uhr unter. Das bedeutet in der Praxis, dass fastende Schüler ohne ausreichendes Frühstück und übernächtigt in die Schule kommen (denn das abendliche Essen in den Familien wird zelebriert). Anfragen besorgter Lehrkräfte beim VBE zeigen, dass sogar vermehrt Grundschüler am Fasten teilnehmen. Das heißt, sie trinken und essen während des gesamten Schultags nichts. (News4teachers berichtete.)
Sind Kinder denn nicht vom Fasten ausgenommen? „Die Fastenvorschrift im Monat Ramadan gilt für jeden geistig zurechnungsfähigen Muslim, Mann oder Frau, der die Pubertät erreicht. Die Pubertät kennzeichnet die Mündigkeit im Islam“, so heißt es auf der Seite des Zentralrats der Muslime in Deutschland. Aber: „Kinder, die die Pubertät nicht erreicht haben, werden ermutigt so viele Tage zu fasten wie sie können. So können sie sich nach und nach mit zunehmenden Alter an dieses Gebot gewöhnen.“ Darüber hinaus ist „Pubertät“ ein unter Muslimen durchaus dehnbarer Begriff. „Allgemein beginnt die Pubertät bei Mädchen im Alter von 8 bis 13 Jahren und bei Jungen im Alter von 10 bis 15 Jahren“, so heißt es auf der Website Islamweb. Dass auch schon Grundschüler fasten, widerspricht also der Lehre nicht.
Zurückhaltung bei Moscheevereinen
Die Politik ist alarmiert. „Wenn das Fasten im Ramadan dazu führt, dass es Kindern in der Schule nicht gut geht, sie nicht am Sportunterricht teilnehmen und in Prüfungen schlecht abschneiden, ist das ein Problem“, sagte die heutige Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) im vergangenen Jahr noch als Neuköllner Bezirksbürgermeisterin. Gemeinsam mit der Schulaufsicht wandte sich Giffey deshalb an gut 20 Moscheevereine, um einen an einem Runden Tisch abgestimmten Verhaltenskodex für Schüler und Eltern herauszugeben – den dann allerdings nur zwei Imame unterschrieben. Selbst ein so zurückhaltend formulierter Hinweis wie „Im Islam ist es nicht erwünscht, dass wegen des Fastens die Leistungen in der Schule schlechter werden“ fand offenbar bei den meisten muslimischen Geistlichen keine Zustimmung. Giffey machte keinen Hehl aus ihrer Enttäuschung über so wenig Kooperationsbereitschaft: „Das Ergebnis ist ein Minimalkonsens, für den ich mir noch mehr Unterstützer – auch in den Neuköllner Moscheen – wünsche.“
An dem Kölner Gymnasium, von dem der „Stadt-Anzeiger“ berichtete, habe man in den vergangenen Jahren bereits Fünftklässler erlebt, die auch bei größter Hitze nichts aßen und tranken. „Sie waren nicht in der Lage, dem Unterricht zu folgen, geschweige denn, sich auf Klassenarbeiten vorzubereiten“, so erzählt die stellvertretende Schulleiterin. Eine Lehrerin meint, dass es oft gar nicht die Eltern sind, die von den Kindern das Fasten erwarten. „Bei vielen wird das Gebot lockerer genommen, das gemeinsame Fasten zum Beispiel aufs Wochenende beschränkt.“ Entscheidender sei wohl der Gruppendruck unter Gleichaltrigen – und der Wunsch, sich so abzugrenzen.
Der Satz in der Einladung des Kassler Gymnasiums ist nach Angaben der Schulleitung ein Missverständnis. Gegenüber „EchtJetzt“ widersprach der Direktor der Darstellung, das Buffet sei wegen des Ramadan verschoben worden. Das Buffet werde traditionell immer zwischen 20:30 und 21:15 Uhr eröffnet – und stehe jedem offen: Vegetariern, Nicht-Vegetariern, Veganern, Allergikern und eben (auch) fastenden Muslimen. News4teachers
Kolumne zum Schulrecht: Lehrer sind für die Gesundheit fastender Kinder im Ramadan verantwortlich
