Sozial benachteiligte Schüler, darunter viele Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund, haben offenbar heute in Deutschland deutlich bessere Bildungschancen als noch vor zwölf Jahren. Dies ergab unlängst eine Sonderauswertung von PISA-Daten. Der Anteil der gut abschneidenden Schüler mit schwieriger sozialer, wirtschaftlicher Ausgangslage sei so stark gewachsen wie in kaum einem anderen Land der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), stellte PISA-Direktor Andreas Schleicher bei der Präsentation der Studie fest. Positiv hätten mehr Ganztagsschulen gewirkt, die Zusammenführung von Haupt- und Realschulen und somit eine bessere soziale Mischung, mehr frühkindliche Bildung an Kitas und eine stärkere Förderung von Schülern mit Migrationshintergrund. „Diesen Weg müssen wir weitergehen“, forderte Schleicher.
Höheres Abbruchrisiko
Dennoch bleibt viel zu tun. Denn Deutschland liegt bei der Chancengleichheit nach wie vor unter dem OECD-Schnitt. Schleicher: „Der soziale Hintergrund ist immer noch eine Barriere.“ Das belegt auch der Chancen-Spiegel, eine jährliche Bildungsstudie im Auftrag der Bertelsmann Stiftung. Für ausländische Schüler war danach das Risiko eines Schulabbruchs ebenso wie für deutsche Schüler lange Zeit gesunken. Seit 2011 jedoch haben sich die Entwicklungen entkoppelt: Während der Anteil der deutschen Schüler ohne Abschluss weiter abgenommen hat, ist der der Ausländer aktuell wieder (leicht) auf 12,9 Prozent angestiegen. Die Wahrscheinlichkeit, dass einer der 150.000 Schulabbrecher ohne Ausbildung später arbeitslos werde, sei bei Ausländern drei- bis viermal höher als bei Schülern mit deutschem Pass, hieß es.
Auch an weiteren Punkten im Schulsystem lassen sich Unterschiede zwischen Schülern mit und ohne Migrationshintergrund ausmachen, wie Prof. Haci Halil Uslucan, Professor für Moderne Türkeistudien und Integrationsforschung der Universität Duisburg-Essen, auf dem Deutschen Schulleiterkongress in Düsseldorf feststellte:
- Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund sind in Sonder- und Förderschulen deutlich überrepräsentiert.
- Selbst wenn Schüler mit Migrationshintergrund einen Abschluss erlangen: Er fällt im Schnitt niedriger aus als der von deutschstämmigen Absolventen.
- Dreimal so viele deutschstämmige Kinder schaffen den Übergang von der Grundschule auf das Gymnasium im Vergleich zu Kindern mit Migrationshintergrund.
- Je nach Bundesland ist die Sitzenbleiber-Quote bei Kindern mit Migrationshintergrund doppelt bis viermal so hoch wie bei Kindern ohne.
Vorbehalte von Lehrern spielen Lehrer spielen dabei womöglich eine Rolle. Forscher des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration äußerten den Verdacht, dass Lehrer Kindern aus türkischstämmigen Familien weniger zutrauen – auch dann wenn sich deren Leistungen faktisch nicht von denen der anderen unterscheiden. Schülern, an die sie geringere Erwartungen hätten, schenkten Lehrer weniger Aufmerksamkeit und riefen sie seltener auf, hieß es. „Verzerrte Lehrererwartungen beeinflussen die Kompetenzentwicklung von Kindern“, so resümierten die Wissenschaftler.
Bildungsforscher der Uni Mannheim stoßen in dieselbe Kerbe. Sie veröffentlichten den Befund, dass Gymnasiallehrer in Mathematik Schüler mit Migrationshintergrund schlechter benoteten als Kinder ohne – bei gleicher Sprachfertigkeit, ähnlicher sozialer Herkunft und obwohl die Kinder in standardisierten Tests gleich gut abschnitten. „Dass Schüler und Schülerinnen mit Migrationshintergrund im Vergleich zu Kindern ohne Migrationshintergrund deutlich seltener eine Gymnasialempfehlung erhalten, war bekannt“, erklärte Studienleiterin Meike Bonefeld. „Dass aber solche Unterschiede auch noch auf dem Gymnasium weiter existieren, haben wir so nicht erwartet. Wir deuten diese als einen Hinweis auf systematische Benachteiligungsprozesse im deutschen Bildungssystem auch nach dem bedeutsamen Übergang in die Sekundarstufe.“
Und trotzdem: In der Gesamtschau ist das Bildungsniveau von Migranten in Deutschland kaum schlechter als das der Deutschstämmigen – in der Spitze jedenfalls nicht. Zwar ist laut Destatis der Anteil von Menschen ohne Schulabschluss unter Migranten mit 9 und 14 Prozent viereinhalb (bei 25 – 34-jährigen) bis siebenmal (bei 45 – 54-jährigen ) so hoch wie unter Deutschstämmigen (jeweils 2 Prozent). Aber: Der Anteil der Abiturienten ist mit knapp der Hälfte (bei 25 – 34-jährigen) bzw. rund einem Drittel (bei 45 – 54-jährigen) fast identisch. bibo / Agentur für Bildungsjournalismus

