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Gebauer legt neue Standards für Inklusion vor – Förderschulen sollen erhalten bleiben (und wo das nicht geht, sollen Förderklassen kommen)

DÜSSELDORF. Neue Standards für den gemeinsamen Unterricht von Schülern mit und ohne Behinderung, geringere Mindestgrößen für Förderschulen: Die nordrhein-westfälische Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) hat die neuen Eckpunkte zur schulischen Inklusion vorgestellt. Sie betreffen vor allem weiterführende Regelschulen, die auch Kinder mit Förderbedarf unterrichten – Grundschulen bleiben dabei praktisch außen vor. Die Neuerungen, die ab dem Schuljahr 2019/20 gelten, sorgten für teils heftige Kritik von Verbänden und Opposition. Ein Überblick.

Hat einen Rahmen für die Inklusion vorgelegt: NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer. Foto: Martin Kraft (photo.martinkraft.com) CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons

Neue Qualitätsstandards: Künftig müssen weiterführende Schulen ein pädagogisches Inklusionskonzept sowie genug Räume haben, um gemeinsames Lernen anzubieten. Zudem müssen dort Sonderpädagogen arbeiten. Lehrer müssen an entsprechenden Fortbildungen teilnehmen.

Neu ist die etwas sperrige Inklusionsformel «25 – 3 – 1,5»: Demnach müssen in allen Eingangsklassen von 25 Schülern im Schnitt drei Schüler sonderpädagogischen Förderbedarf haben. Für jede dieser Klassen erhält die Schule neben dem bisherigen Lehrer eine halbe zusätzliche Stelle. Die Bezirksregierungen dürfen erst dann neue Schulen des Gemeinsamen Lernens einrichten, wenn die drei Förderschüler pro Eingangsklasse erreicht sind. Derzeit gibt es rund 1000 solcher Schulen in NRW. Im Schnitt werden in den Eingangsklassen momentan aber weniger als drei Kinder mit Förderbedarf unterrichtet.

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Sonderfälle: An Gymnasien müssen im gesamten Eingangsjahrgang insgesamt nur sechs Schüler mit Förderbedarf sitzen. In der Regel soll ihre Förderung zum Abitur führen. An anderen weiterführenden Schulen wird meist zieldifferent unterrichtet, das heißt ein anderer Abschluss für die Förderbedarfskinder angestrebt. Grundschulen sollen ab dem Schuljahr 2019/20 noch einmal knapp 560 Sozialpädagogen-Stellen bekommen.

Förderschulen: Inzwischen lernen in NRW über 42 Prozent der rund 140.000 Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf an Regelschulen. Schwarz-Gelb will aber weiterhin ein flächendeckendes Angebot an Förderschulen erhalten, um Eltern die Schulwahl zu lassen. Dazu werden die Mindestgrößen aller Förderschulen deutlich reduziert. Außerdem will Gebauer Förderschulgruppen der Sekundarstufe I unter dem Dach von Regelschulen ermöglichen – in Regionen, in denen es weder Förderschulen noch Schulen des Gemeinsamen Lernens gibt.

Zeitplan: Die Eckpunkte wurden bereits vom Kabinett abgesegnet, sie sollen in einem Erlass geregelt werden und ab dem Schuljahr 2019/20 gelten. Die neuen Standards beginnen dann in den fünften Klassen. Im Jahr 2024/25 soll die Sekundarstufe I komplett umgestellt sein. Das kommende Schuljahr gilt als Übergangsjahr. Für die neue Mindestgrößenverordnung für Förderschulen gibt es eine mehrjährige Übergangsfrist.

Ressourcen: Bis 2025 will die neue Landesregierung den weiterführenden Schulen knapp 5800 zusätzliche Stellen für Inklusion zur Verfügung stellen. Das Schulministerium geht bis 2025 für diese Stellen von zusätzlichen Kosten von insgesamt knapp 1,4 Milliarden Euro aus. Die zusätzlichen Stellen für die Grundschulen werden sich demnach noch einmal auf gut 480 Millionen Euro belaufen.

Kritik: Interessenvertreter und Opposition kritisieren die Neuerungen teils als ungenügend und enttäuschend. Mehrere von ihnen stören sich am Erhalt der Förderschulen. Dringend notwendige, zusätzliche Ressourcen kämen erst ab 2019/20 – und dann nur für die Jahrgänge ab der fünften Klasse, sagte etwa die bildungspolitische Sprecherin der Grünen-Landtagsfraktion, Sigrid Beer. «Das sind keine Eckpunkte zur Förderung der Inklusion, das ist Politik zur Stärkung der Förderschulen.» «Die geplanten Förderschulgruppen an allgemeinbildenden Schulen fördern nicht die Inklusion, sondern die Ausgrenzung», sagte der bildungspolitische Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, Jochen Ott.

Der VBE befand, Grundschulen seien nur unzureichend in den Blick genommen worden – auch sie benötigten vergleichbare Qualitätsstandards. Überhaupt: “Inklusive Klassen benötigen eine feste Doppelbesetzung aus Lehrkraft und Sonderpädagoge. Eine zusätzliche halbe Stelle für eine inklusive Klasse reicht nicht. Alles steht und fällt mit der ausreichenden Lehrerversorgung. Für ein solch ambitioniertes Projekt ist es dringend angezeigt, Maßnahmen gegen Lehrermangel stärker voranzubringen“, erklärte Landeschef Stefan Behlau. Angesichts der angekündigten Förderklassen zeigte er sich skeptisch: “Hier liegt eine große Gefahr der Stigmatisierung einer Kleingruppe innerhalb eines Schulzentrums.“

Positiv äußerte sich der Verband “lehrer nrw”. Die Eckpunkte seien ein «solides konzeptionelles Fundament» für den Inklusionsprozess, hieß es etwa beim Verband “lehrer nrw” – er sprach gar von einem “Wendepunkt in der schulischen Inklusion”. “Positiv ist vor allem, dass die langjährige Forderung von lehrer nrw nach multiprofessionellen Teams nun umgesetzt werden soll”, erklärte Verbandschefin Brigitte Balbach.Darüber hinaus begrüßte sie, “dass Förderschulen wieder eine Perspektive und Eltern wieder eine echte Wahlmöglichkeit haben. Denn entgegen der rot-grünen Inklusions-Ideologie verlangt die UN Behindertenrechtskonvention mitnichten die Zerschlagung des Förderschulsystems”. News4teachers / mit Material der dpa

Auch auf der Facebook-Seite von News4teachers wird das Thema diskutiert.

Scharfe Kritik von der GEW

Die GEW zeigt sich enttäuscht über die von NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer vorgelegten Eckpunkte zur Neugestaltung der schulischen Inklusion. Das Papier werde dem im Koalitionsvertrag formulierten Anspruch, im Bereich des Gemeinsamen Lernens eine spürbare Qualitätssteigerung der inklusiven Angebote an allgemeinen Schulen zu erreichen, nicht gerecht. Die GEW befürchtet im Ergebnis vielmehr “eine Verwaltung des eklatanten Mangels an den Schulen des Gemeinsamen Lernens”. Von einer besseren Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention könne nicht die Rede sein, heißt es.

“Statt klare Perspektiven für die Weiterentwicklung des Gemeinsamen Lernens zu beschreiben und den Prozess mit den erforderlichen Personal- und Sachressourcen und besserer Ausstattung zu unterfüttern, werden die Schulen, die sich auf den Weg des gemeinsamen Lernens von Kindern mit und ohne sonderpädagogischen Förderbedarf gemacht haben, zu Schwerpunktschulen gemacht, andere werden mit der Inklusion nur noch auslaufend zu tun haben“, empörte sich GEW-Landesvorsitzende Dorothea Schäfer bereits im Anschluss an die Sitzung des “Fachbeirats für inklusive schulische Bildung” in der vergangenen Woche Düsseldorf.

Die dringend erforderliche Unterstützung der Schulen des Gemeinsamen Lernens stehe künftig unter einem jährlichen Haushaltsvorbehalt und sei von der Zustimmung des Finanzministers abhängig. Für das kommende Schuljahr seien keine Besserungen zu erwarten; das Schuljahr 2018/19 soll ein Übergangsschuljahr werden – mit anderer Schülerzuweisung, aber ohne geänderte Personalausstattung. Schäfer: „Das bedeutet Inklusion nach Kassenlage. Das Recht auf inklusive Bildung für Kinder mit sonderpädagogischen Förderbedarf wird somit untergraben.“

Die versprochenen Qualitätsstandards beschränkten sich auf die Feststellung, ob es pädagogische Konzepte gibt, Sonderpädagogen, Fortbildung und eine passende räumliche Ausstattung. “Die knappen Ressourcen sollen jetzt an wenigen Schulen gebündelt werden. Nur diese Schulen werden den Eltern als Förderort für ihre Kinder angeboten”, monierte Schäfer. „Eine Perspektive, wie es in den nächsten Jahren weitergehen soll, gibt es nicht.“ Für die Landesregierung, so die kritische Bilanz der GEW, habe die Weiterentwicklung der Inklusion offenbar nicht die erforderliche Priorität. Fazit der Landesvorsitzenden: “Während bei der Einführung von G9 an den Gymnasien alles unternommen wurde, um das Schulgesetz noch in diesem Schuljahr zu ändern und dafür auch alle Finanzierungsfragen geregelt wurden, diktiert der Landeshaushalt die Bedingungen für die schulische Inklusion.”

News4teachers-Dossier – gratis herunterladbar: „Das Inklusions-Chaos”

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