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Kinder wollen mitbestimmen, Erwachsene hören nicht zu – Politikverdrossenheit bei Schülern steigt

BERLIN. Das Interesse von Kindern und Jugendlichen, an der Entwicklung ihres Umfeldes mitzuwirken, sinkt. So lautet ein wesentlicher Befund aus dem aktuellen LBS-Kinderbarometer. Eine knappe Mehrheit fühlt sich in Gemeinde oder Stadt nicht ernst genommen. Komplexe Strukturen tun ein Übriges.

„Das Ziel ist eine Gesellschaft, die die junge Generation an allen Entscheidungen beteiligt, die sie betreffen“. Die Jugendstrategie 2015-2018 des Bundesjugendministeriums formuliert unter dem Titel „Handeln für eine jugendgerechte Gesellschaft“ einen hohen Anspruch. Für eine gute Jugendbeteiligung sei dabei die kommunale Ebene besonders interessant, weil sie den Lebenswelten der jungen Menschen am nächsten liege.

Tatsächlich wecken bei Kindern und Jugendlichen die Themen Stadtplanung sowie die Gestaltung von Spiel-, Sport- und Freizeitstätten am meisten Interesse, wie die Hertener Sozialforscher Kathrin Müthing, Judith Razakowski und Maren Gottschling für das LBS-Kinderbarometer herausfanden. Insgesamt befragten die Wissenschaftler im Sommer 2017 rund 10.000 Kinder aus allen Bundesländern.

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Viele Kinder und Jugendliche haben zwar ein Interesse, ihr Umfeld mit zu gestalten, benötigen aber mehr Unterstützung durch Erwachsene. Foto: Ralf Roletschek /Wikimedia Commons (FAL)

Geht es um die Themen Mitbestimmung und Partizipationsmöglichkeiten scheint die ministerielle Strategie bislang noch nicht aufgegangen. Kinder wollen mitbestimmen, die Erwachsenen hörten aber immer weniger zu, ziehen die Studienautoren ein nahezu gegenteiliges Fazit. In Zahlen fasst es Jörg Münning, Vorstandsvorsitzender der LBS-West: „Sechs von zehn Kindern fühlen sich mit ihrer Meinung in der Gemeinde oder Stadt nicht ernst genommen“

Folge sei eine wachsenden Politikverdrossenheit unter Jugendlichen. Wollten sich etwa 2016 noch 57 Prozent der Kinder aktiv in die Gemeindearbeit einbringen, waren es aktuell nur noch 45 Prozent. Die Mitbestimmung scheitere manchmal schon an ganz banalen Dingen: Gut die Hälfte der Kinder wisse nicht, an wen sie sich wenden müssen, wenn sie in der Stadt oder Gemeinde etwas verändern möchten.

Je städtischer die Kinder wohnen, desto eher sind ihnen die jeweiligen Lokalpolitiker unbekannt. In Hamburg und Bremen kennen gerade etwas mehr als ein Viertel der Kinder den richtigen Ansprechpartner. In den Flächenländern Thüringen, Bayern, Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Brandenburg ist es rund die Hälfte. „Wir Erwachsenen sollten viel mehr die Chance ergreifen, die Ideen der jungen Generation anzuhören und aufzugreifen“, appellierte Münning.

Vorgestellt wurde die Studie im Rahmen einer offenen Diskussionsveranstaltung („Barcamp“) mit rund 50 Schülern im Alter von etwa 14 Jahren an einer Gelsenkirchener Gesamtschule. Rund um die Schule nervt die Jugendlichen vor allem der schlechte bauliche Zustand der Gebäude und Klassenräume. Hier wären die Schüler zwar bereit mit Eltern und Lehrern anzupacken, doch benötigten sie dazu fehlten inen dafür Initiatoren und Vorbilder”, so Kinderbarometer-Projektleiter Christian Schröder, Projektleiter des LBS-Kinderbarometers.

Außerdem wurde die oft hoffnungslos veraltete Technik beklagt. “Regelmäßige Programmupdates in den Sommerferien sollten eigentlich Standard sein”, forderte ein Schüler. Stattdessen würden vereinzelt Whiteboards aufgestellt, die mit der restlichen Infrastruktur kaum kommunizieren könnten.

Auch in Bezug auf schulische Fragen wissen die meisten Jugendlichen nicht um die Strukturen innerhalb derer sie Änderungen herbeiführen können. Da helfen auch die neuen Möglichkeiten der Sozialen Medien nicht, so die Meinung der Jugendlichen: Die Kontaktaufnahme sei zwar vordergründig einfacher, die Ernsthaftigkeit, die Begegnung auf Augenhöhe, leide aber unter der Unverbindlichkeit von Facebook und Co.

Hinsichtlich der Freizeitgestaltung fühlen sich speziell die 14-Jährigen zwischen zwei Welten verloren: zu groß für die klassischen Spielplätze mit Wippe und Schaukel, zu klein für viele Orte, wo ein Zugang erst ab 16 Jahren erlaubt ist. “Uns fehlen Plätze, an denen wir uns treffen können”, so die einhellige Meinung der jungen Menschen. Und wo diese vorhanden seien, seien diese verwahrlost oder zu teuer für die regelmäßige Nutzung.

Vereine mit ihren Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung werden nicht immer als Lösung gesehen. Vielfach, so die Diskussion, scheuen die Kinder den Trainingszwang und die festgelegten Zeiten. Oder werden wegen ihres Leistungsniveaus gar nicht erst aufgenommen.

Vorstellen konnten sich die Jugendlichen etwa die Öffnung der Schulturnhallen und Schulhöfe am Nachmittag. Dabei wünschten sie sich ausdrücklich eine Aufsicht. Auch den Einsatz von Schulsozialarbeitern befürworteten sie.

Auch bei der Diskussion wurde deutlich, dass sich die Jugendlichen von den Erwachsenen eher nicht verstanden fühlen. “Erwachsene sehen in uns immer die gelangweilte Handy-Generation“ formuliert etwa ein Teilnehmer „- aber das stimmt nicht, wir brauchen nur einfach für uns passende Angebote für die Freizeitgestaltung.”

Insgesamt beurteilen die Autoren die Lage positiv. Immer noch wolle sich fast die Hälfte der Schüler der Klassen vier bis sieben in ihrer Stadt oder Gemeinde einbringen. Nachdem jedes zehnte Kind grundsätzlich mitbestimmen wolle, aber noch nicht wisse in welchem konkreten Bereich, deuten sich für Schulen gute Unterstützungsmöglichkeiten an. Dennoch scheint es noch ein weiter Weg, das von Manuela Schwesig ausgegebene Ziel zu erreichen: „Nicht die Jugend muss der Politik gerecht werden. Wir müssen mit unserer Politik der Jugend gerecht werden“, hatte die damalige Jugendministerin 2015 bei der Vorstellung der Jugendstrategie geäußert. (zab, ots)

• LBS-Kinderbarometer 2018 (pdf)

Demokratie-Erziehung: Warum gängige Unterrichtsmethoden in der Praxis scheitern – eine Kritik

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