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Läuft doch super, auch ohne das Digitaldingsda – Von der Illusion, dass alles in Deutschland so bleiben kann wie bisher (auch in Schulen)

DÜSSELDORF. In dieser Woche ging in Düsseldorf der Deutsche IT-Leiter-Kongress zu Ende, der DILK 2018, auf dem sich die Digital-Verantwortlichen aus Unternehmen und Behörden mit prominenten Vertretern der Branche trafen – und mit Vordenkern wie dem Fernsehjournalisten Ranga Yogeshwar, dem Silicon-Valley-Experten Tom Oliver oder dem Kommunikationswissenschaflter und Digital-Blogger Sascha Lobo diskutierten. Dabei wurde deutlich, wie sehr sich die Bildung künftig ändern muss, wenn Deutschland nicht den Anschluss verlieren will. Überraschende Erkenntnis: Mit einem großflächigen Technik-Einsatz in Schulen hat das zunächst gar nicht so viel zu tun.

Der Wissenschaftsjournalist Ranga Yogeshwar warnte davor, die Folgen der Digitalisierung zu unterschätzen. Foto: DILK 2018

Der Wissenschaftsjournalist Ranga Yogeshwar blickte von der Bühne ins Rund des mit über 1.200 Menschen vollbesetzten Plenums im Düsseldorfer Congresszentrum, die meisten davon verantwortlich für die Digitalisierung von Unternehmen und Behörden – und bat um Handzeichen: Wer ist aktuell auf der Suche nach IT-Fachkräften? Geschätzt vier Fünftel der (überwiegend männlichen) Teilnehmer meldeten sich. Und wer hat Schwierigkeiten bei seiner Suche nach diesen Fachkräften? Ebenso viele Hände fuhren nach oben.

Das Bild macht anschaulich, woran es in Deutschland derzeit gravierend hapert – der nach China und den USA aktuell Dritte unter den Exportnationen (noch!) schafft es nicht, auch nur annähernd genügend junge Menschen an die Zukunftsbranche Nummer eins heranzuführen. Die Digitalisierung explodiert zwar geradezu in allen privaten Lebensbereichen. Aber eben nicht im professionellen Zusammenhang. Klar – Digitalisierung sei das Zukunftsding, ohne Computer laufe ökonomisch bald nichts mehr, so klingt es dem Medienjournalisten und Kommunikationswissenschaftler Sascha Lobo zufolge (der mit der Irokesen-Frisur) aus jeder Geschäftsführung. In trauter abendlicher Runde beim Wein aber werde das Thema dann kleingekocht. Seit Jahren wachse man zweistellig, so heißt es dann, auch ohne das Digitaldingsda. Menschlich verständlich, meinte Lobo – aber eben auch brandgefährlich. Der Erfolg der vergangenen Jahrzehnte habe viele Entscheider in der deutschen Wirtschaft satt und unbeweglich gemacht. Der Glaube, der Erfolg werde sich locker weiter einstellen, sei eine Illusion. Ganz schnell könne sich Deutschland auf dem Abstellgleis wiederfinden.

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Es bedürfe massiver Investitionen in eine zukunftssichere IT-Infrastruktur. Wie weit Deutschland davon entfernt ist, belegte eindrucksvoll eine Grafik, aus der sich der Ausbau des Glasfasernetzes ersehen ließ – Deutschland rangiert darauf im internationalen Vergleich weit abgeschlagen. „Es ist uns im vergangenen Jahr gelungen, zu Angola aufzuschließen“, erklärte Lobo ironisch. Um ernst hinzuzufügen: „Das kann nicht sein.“

Der sich vergrößernde Rückstand Deutschlands beim Digitalen zu den führenden Nationen hat auch mit Bildung zu tun – allerdings gar nicht so sehr mit der grottenschlechten Ausstattung der deutschen Schulen mit IT, die wahrscheinlich immer noch hinter der angolanischer Schulen rangiert. Bald, im kommenden Jahr vielleicht, vielleicht auch später, sollen ja fünf Milliarden Euro vom Bund dafür ausgeschüttet werden. Seit der Ankündigung der Mittel sind ja auch erst zwei Jahre vergangen, was nicht so schlimm ist, weil die Konkurrenten Deutschlands auf dem Weltmarkt sicher mit ihren Anstrengungen bei der Digitalen Bildung auf den deutschen Schlafwagen warten. Im Ernst: Es ist ein Trauerspiel (und zwar eins in Slow Motion), was sich Bund und Länder in Sachen Digitalpakt leisten.

Rund 1.200 IT-Verantwortliche hatten sich in Düsseldorf zum Deutschen-IT-Leiter-Kongress versammelt. Foto: DILK 2018

Aber zurück zum eigentlichen Thema, das auf dem DILK eine bemerkenswerte Perspektiverweiterung erfuhr: Es kommt bei der Digitalen Bildung nämlich gar nicht so sehr auf großflächigen Technikeinsatz an, wie man gemeinhin meint. Sondern vielmehr auf einen Kulturwandel. Ranga Yogeshwar erläuterte den am Beispiel der Medienbranche. Früher war ein großer Apparat, ein Verlag, ein Druckhaus oder ein Rundfunksender mit jeweils Hunderten von Mitarbeitern notwendig, um für eine größere Anzahl von Menschen publizieren zu können. Der Informationsweg war eine Einbahnstraße – der Sender sendete, die Empfänger empfingen. „Heute“, so Yogeshwar, „ist jeder ein Sender.“ Und natürlich auch Empfänger. Heißt: Informationen können von jedermann ins Netz eingespeist und abgerufen werden. Das verändere die Branche von Grund auf.

Bildung im Fokus auf dem DILK 2018

Tatsächlich kämpfen mittlerweile viele Medienhäuser mit der Existenz. Traditionsmedien, etwa Lexika, sind bereits hinweggefegt worden. Damit sind wir bei der Bildung: Auch die Rolle von Lehrkräften verändert sich, ob sie’s nun wollen oder nicht – ihr Informationsmonopol verschwindet. Schon heute dürften sich mehr Schüler den Stoff am Nachmittag via Youtube vermitteln lassen, als morgens aufmerksam im Klassenzimmer sitzen. Mit allen Risiken und Nebenwirkungen, die mit ungeprüften Informationen einhergehen. Wer garantiert denn, dass die Kinder und Jugendlichen dabei nicht Fake-Fakten aufsitzen? Tatsächlich tun sie das, wenn man sie auf diesem Weg der Informationsbeschaffung allein lässt.  „Aus dem Produkt wird zunehmend ein Prozess“, so erklärt Ranga Yogeshwar mit Blick auf die Wirtschaft, „und Kommunikation mit dem Kunden ist Teil des Prozesses“. Auf die Bildung übertragen heißt das wohl: Es reicht nicht mehr, Wissen vorzugeben. Der Weg zum (neuen) Wissen sollten Lehrer und Schüler darüber hinaus gemeinsam gehen.

Wie sich Menschen mitnehmen lassen, machen – bei aller berechtigten Kritik an den Auswüchsen – die IT-Giganten vor, wie der amerikanisch-deutsche Unternehmensberater Tom Oliver auf dem DILK anschaulich machte. Der Wirtschaftswissenschaftler, der Muschelkette und goldene Turnschuhe zum Anzug kombiniert, hat nach eigenen Angaben bereits Konzerne wie Google und SAP sowie Institutionen wie die Weltbank, das EU-Parlament und die Vereinten Nationen beraten. Was ihm im Silicon Valley aufgefallen ist, verriet er den versammelten IT-Experten auf dem DILK: Flache Hierarchien – jeder Chef sei von jedem Mitarbeiter ansprechbar. Teamwork rund um die Uhr – niemand sei als Einzelkämpfer unterwegs. Eine ausgeprägte Fehlertoleranz – Scheitern werde als notwendiger Teil letztlich erfolgreicher Prozesse angesehen. Und: Kreativität als Erfolgsmotor – für spielerische Herangehensweisen würden Freiräume geschaffen.

Von dieser Kultur, so Oliver, lasse sich in deutschen Schulen leider wenig finden.

Andrej Priboschek, Agentur für Bildungsjournalismus

Hier gibt es weitere Informationen zum DILK.

IfW-Präsident Snower: Digitalisierung erzwingt neue – kreativere! – Bildung

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