„Nach dem Start der Aktion ‚Neutrale Schulen Hamburg‘ sind bei der AfD-Fraktion in den ersten drei Tagen bereits mehr als 1.000 Hinweise und Rückmeldungen eingegangen“, so heißt es in einer Pressemitteilung der AfD vom 25. September. Weiter: „Darunter befinden sich neben ernstzunehmenden Berichten über Neutralitätsverstöße überwiegend positive aber auch negative Rückmeldungen zu der Aktion (bis hin zu Gewaltandrohungen und Hasskommentaren). Eltern und Schüler berichten außerdem über Mobbingvorfälle in den Klassengemeinschaften. Zum Beispiel, wenn Schüler es wagen, sich kritisch zur Massenmigration zu äußern. Manchmal reicht aber auch die Tatsache, als deutscher Schüler einer Klasse mit hohem Migrantenanteil anzugehören. Bestürzende Fälle sind darunter.“ Konkrete Beispiele werden nicht angeführt.
Dafür kritisiert Wolf, dessen Co-Fraktionschef Jörn Kruse erst vor kurzem mit der Begründung eines wachsenden Rechtsextremismus in der AfD von allen Parteiämtern zurückgetreten ist, die Hamburger Schulbehörde. „Die Vorwürfe über einen angeblichen Aufruf zur Denunziation sind infam und gerade von dieser Schulbehörde an Verlogenheit nicht zu übertreffen. Sie hat es mitzuverantworten, dass an den Hamburger Schulen eine einseitig linke Deutung über Sinn und Zweck politischer Bildung vorherrscht.“ Belege für die Behauptung, dass Lehrer im Unterricht „linke“ Positionen vertreten? Wiederum Fehlanzeige.
“Bestürzende Fälle”
Am 8. Oktober dann zieht Wolf eine Zwischenbilanz des „Meldeportals“: „Uns erreichen viele Hinweise zu Einflussnahmen gegen die AfD im Unterricht, im Rahmen von Unterrichtsprojekten oder in Form von Aushängen in den Schulen. Des Weiteren erhalten wir Hinweise zu Vorfällen, die das demonstrative Beten von Muslimen in Hamburger Schulen thematisieren. Hieraus ergeben sich möglicherweise Konflikte zwischen der Wahrung des Schulfriedens und der negativen Bekenntnisfreiheit der übrigen Schülerschaft. Zahlreiche Schüler berichten auch über ein Diskussionsklima im Politikunterricht (Fach PGW), in dem sie sich nicht mehr trauen, die Flüchtlingspolitik Angela Merkels zu kritisieren, weil sie von Mitschülern undifferenziert als ‚Nazis‘ beschimpft würden.“ Beispiele, die die Behauptung stützen würden, dass Lehrer gegen das „Neutralitätsgebot“ verstoßen? Erneut Fehlanzeige.
Am 16. Oktober behauptet Wolf gegenüber der Deutschen Presse Agentur, die AfD-Fraktion habe über das Meldeportal “insgesamt 10.000 Zusendungen” erhalten, darunter viele Beschwerden über Lehrkräfte – er schildert einen Fall: Ein Musiklehrer hat angeblich auf dem Klavier die Töne „A-F-D“ gespielt und dies mit dem Satz „Das ist ja alles braune Soße“ kommentiert. News4teachers-Leser erkennen in der Geschichte eine Pointe der Kabarettistin Sarah Hakenberg.
Mittlerweile haben sich 106 Lehrer einer Hamburger Stadtteilschule in einem offenen Brief an die AfD-Fraktion der Hansestadt gewandt – und erklärt, sich von dem „Meldeportal“ nicht einschüchtern zu lassen. „Wir erarbeiten mit Schüler*innen im Unterricht die in mindestens Teilen der AfD vorherrschende ablehnende Haltung gegenüber Pressefreiheit, Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit.“ Und: „Wir sprechen an, dass wir dieses Prinzip durch eine Partei gefährdet sehen, deren Führungspersonal etwa in Deutschland lebende Türk*innen als ‘Kameltreiber’ bezeichnet und Politikerinnen in Anatolien ‘entsorgen’ möchte.“
Diesen offenen Brief wertet Wolf nun als einen „Angriff auf das Neutralitätsgebot an Schulen und den Beutelsbacher Konsens“. Dass sich Lehrerinnen und Lehrer gegen die AfD-Aktion zur Wehr setzen, ist für den Parteifunktionär „entlarvend“ und „bestätigt die Notwendigkeit des Portals, dass das Neutralitätsgebot allzu oft missachtet wird“.
Die Behauptungen der AfD nochmal zusammengefasst: „Immer wieder setzen Lehrer die politische Bildung einseitig mit dem Kampf gegen Andersdenkende gleich…“, „… in den ersten drei Tagen sind bereits mehr als 1.000 Hinweise und Rückmeldungen eingegangen“, „… uns erreichen viele Hinweise zu Einflussnahmen gegen die AfD im Unterricht“. Und so antwortet Peter Albrecht, Sprecher der Behörde für Schule und Berufsbildung, gestern auf die Anfrage von News4teachers, wie viele konkrete Vorwürfe gegen Lehrer die BSB bereits erreicht haben: „Bis dato sind bei uns keinerlei Meldungen aus dem AfD-Portal eingegangen.“ News4teachers
Das “Meldeportal” der Hamburger AfD-Fraktion war das bundesweit erste, das mittels eines Kontaktformulars anonyme Meldungen über vermeintliche Verstöße von Lehrern ermöglichte. Im Mai wurde es angekündigt, im September gestartet. Mittlerweile wurden ähnliche Portale in neun weiteren Bundesländern angekündigt beziehungsweise eröffnet. Lehrerverbände üben massive Kritik an der Kampagne. “Denunziantentum und Gesinnungstreue haben keinen Platz in einer demokratischen Schule“, meint etwa VBE-Vorsitzender Udo Beckmann.
In Baden-Württemberg brach die Seite kurz nach dem Start zusammen – laut AfD als Folge eines Hackerangriffs. Allerdings erklärte die Piratenpartei, dass eine Aktion, an der sich Zehntausende von Bürgern aktiv beteiligt hätten, ursächlich war: Die Piraten hatten auf einer eigens eingerichteten Seite “#meinabgeordneterhetzt” eine Maske angeboten, über die Nutzer “Hetzzitate von AfD-Funktionäre” auswählen konnten, die dann automatisch an das “Meldeportal” der AfD weitergereicht wurden. Auch in Hamburg läuft der Betrieb der AfD-Seite offenbar nicht so, wie die Partei sich das vorstellt: Hunderte von Lehrern haben über das Formular satirische Beiträge verschickt und diese auf Facebook dokumentiert.
Der Beitrag wird auch auf der Facebook-Seite von News4teachers diskutiert.
Hunderte Lehrer nutzen das “Meldeportal” der AfD – aber anders, als sich die Partei das vorstellt…
