„Wir brauchen strukturelle Maßnahmen zur Zusammenführung von Förder- und allgemeinen Schulen zu einem inklusiven Bildungssystem. Dabei müssen die bestehenden sonderpädagogischen Kompetenzen gesichert werden“, betont Erdsiek-Rave mit Blick auf die UN-Behindertenrechtskonvention, die vor zehn Jahren vom Bundestag ratifiziert wurde. Seinerzeit hat sich Deutschland verpflichtet „ein integratives Bildungssystem auf allen Ebenen“ zu gewährleisten – ein Ziel, von dem die Bundesrepublik nach wie vor weit entfernt ist, wie die Deutsche UNESCO-Kommission feststellt.
„In Deutschland werden segregierende Strukturen im Schulsystem nach wie vor insbesondere durch eine hohe Quote von Beschulungen an Förder- bzw. Sonderschulen dokumentiert“, so heißt es in einem aktuellen Papier, in dem Handlungsempfehlungen aufgelistet werden. Dabei klingt Enttäuschung durch: „ In allen Bundesländern in Deutschland ist zwar – wenngleich in unterschiedlichem Maße – eine Zunahme inklusiver Bildung in allgemeinen Schulen festzustellen. Gleichzeitig nimmt jedoch die Zahl der Schülerinnen und Schüler an Förder- bzw. Sonderschulen kaum ab.“
Bund hält sich heraus
Um endlich Bewegung in die Inklusion zu bekommen, fordert die UNESCO-Kommission zunächst mal „einen langfristigen Planungsrahmen für ein inklusives Bildungssystem“ – denn: Es gibt zwar vage Absichtserklärungen, aber keine festgelegten Schritte, wer was wann zu erledigen hat. Und das betrifft auch den Bund, der sich bislang – mit Verweis auf die Länderhoheit in der Bildung – bei der schulischen Inklusion weitgehend heraushält. „In diesem Zusammenhang sollte ein Leistungskatalog mit Ausstattungs- und Raumstandards entwickelt werden. Für den inklusiven Leistungskatalog ist es sinnvoll, sich über den inklusiven Mehrbedarf an Räumen, Personal und Ausstattung als Grundausstattung jeder Schule für den zusätzlichen Förderbedarf zu verständigen. Eine solche Verständigung kann die Bildungsqualität des gesamten Bildungssystems erheblich verbessern und steigern“, so meint die Kommission.
Überhaupt bedürfe es verlässlicher Qualitätsstandards – auch personell. „Alle aufnehmenden Schulen sollten eine multiprofessionelle pädagogische Grundausstattung für die Bereiche Lernen, Sprache und sozial-emotionale Entwicklung erhalten, orientiert an der Zahl aller Schülerinnen und Schüler der Schule, ggf. modifiziert nach sozialen Mess- und Erfahrungswerten (in anderen Staaten z.B. 20 Prozent über der bisherigen Regelschulausstattung). Diese Grundausstattung sollte verlässlich sein, unabhängig von einer individuellen Vorab-Diagnostik, und sollte allen Kindern präventiv und fördernd zugutekommen“, so fordert das Gremium.
„Das System der Förder- beziehungsweise Sonderschulen sollte schrittweise zu einem System von Förderzentren entwickelt werden, beginnend mit den Förderschwerpunkten Lernen, Sprache und emotional-soziale Entwicklung, gefolgt von den anderen Förderschwerpunkten. Die entstehenden Förderzentren sollten die Funktionen der spezifischen Beratung, Medienpflege, Fortbildung und Kommunikation in bestimmten Förderbereichen übernehmen, die allen Schulen und auch den Kindern und ihren Familien unmittelbar zugutekommen können und eine wohnortnahe, erfolgreiche inklusive Beschulung ermöglichen“, heißt es weiter.
Auch zur Zusammensetzung des pädagogischen Personals gibt es eine konkrete Vorstellung: Multiprofessionalität ist gefordert. „Unterstützendes Personal an der einzelnen Schule sollte zum Kollegium der Einrichtung gehören, in den Entscheidungsgremien vertreten und gleichzeitig eng mit den externen Unterstützungssystemen verzahnt sein.“ Den multiprofessionellen Teams sollten verbindliche Zeiten und Räume für die Zusammenarbeit zur Verfügung stehen. „Für diese unterstützenden Angebote sollten klare Aufgabenprofile als Handlungsorientierung entwickelt werden, in denen die Qualität von Ausbildung, Schulung und Aufgabenbereichen über Träger hinweg vergleichbar definiert ist. Auch die Situation der häufig prekär beschäftigen Inklusionshelfer ist der Deutschen UNESCO-Kommission offenbar ein Dorn im Auge. Sie verlangt: „Die Arbeitsbedingungen sollten auf eine unbefristete Beschäftigung und Kontinuität ausgerichtet sein.“ bibo / Agentur für Bildungsjournalismus
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Studie zur Inklusion: Im gemeinsamen Unterricht herrscht mehr Lärm und weniger Disziplin
