HANNOVER. Mit starken Worten („methodisch absolut mangelhaft und in seinen Schlussfolgerungen größtenteils hanebüchen“) hat der Philologenverband Niedersachsen den vom Kultusministerium vorgelegten Kommissionsbericht zur Lehrerarbeitszeit zurückgewiesen. Der Vorwurf: Die tatsächliche Überlastung der Gymnasiallehrer werde in der Studie verschleiert. „Tarnen, Tricksen, Täuschen scheint der Dreiklang dieses Berichts, vor allem aber seiner nicht im geringsten an den Fakten orientierten Handlungsvorschläge zu sein“, so stellt der Vorsitzende des Philologenverbandes Niedersachsen, Horst Audritz, „nach eingehender kritischer Analyse des Berichts“ empört fest.
Durch „methodische Tricks und unseriöse Bewertungen“ werde versucht, die erheblichen Unterschiede in der Arbeitszeitbelastung zwischen den Schulformen zu verwischen. So seien die meisten der veröffentlichten Tabellen in ihren Werten gemittelt und nicht schulformspezifisch ausgewiesen, was zu einem Zerrbild der tatsächlichen Arbeitszeiten in den einzelnen Schulformen führe und keine sinnvollen Folgerungen zulasse. „Es ist kein Zufall, dass das Kultusministerium die faktischen, unterschiedlichen Arbeitszeiten in seinen Betrachtungen und Pressemitteilungen unter den Teppich kehrt. Hier werden Daten bewusst manipulativ selektiert, um auf diese Weise ausschließlich die gewünschten Ergebnisse zu erzielen und die Dramatik der besonders hohen Arbeitszeit der Gymnasiallehrer zu verschleiern“, folgert Audritz und verweist in diesem Zusammenhang auch auf die einseitige Besetzung der Arbeitszeitkommission ohne gymnasiale Vertreter.
Dabei zeige die Arbeitszeituntersuchung in aller Deutlichkeit, dass die Gymnasiallehrer mit einem Plus von 3.05 Stunden über den gesetzlich vorgeschriebenen 40 Stunden die meisten wöchentlichen Überstunden leisten müssen und damit deutlich höher liegen als die Grundschullehrer (Plus 1.20 Stunden) und die Gesamtschullehrer (Plus 0,04 Stunden). „Hier reicht doch der gesunde Menschenverstand aus, um festzustellen, wo eine Verringerung der Arbeitszeit vorrangig und am umfangreichsten erfolgen muss“, unterstreicht Audritz.
Stattdessen empfehle die Kommission eine Senkung der Unterrichtsverpflichtung ausschließlich für Grundschullehrkräfte, obwohl die Arbeitszeit der Gymnasiallehrkräfte erwiesenermaßen am höchsten ist. Der von der Kommission für diese unsachgerechte und ungerechtfertigte Benachteiligung der Gymnasiallehrer bemühte Erklärungsversuch, Grundschullehrkräfte reagierten „sensibler“ auf längere Arbeitszeiten und ihr „subjektives Belastungsempfinden“ sei deutlich stärker ausgeprägt als an Gymnasien, sei haarsträubend und lasse jegliche objektive Bewertung der erhobenen Arbeitszeitdaten vermissen. „Die Vorschläge der Kommission vermischen in unsäglicher Weise psychologische Aspekte mit einer klar messbaren Arbeitszeit. Solche methodischen Unsauberkeiten darf es nicht geben. Sie sind eines Ministeriums mehr als unwürdig“, so Audritz. Es gehe aber bei der 40-Stunden-Woche für Lehrer nicht um subjektiv empfundene Belastungen, sondern einzig und allein um die „aktenkundige“ und objektiv gemessene Arbeitszeit, betont Audritz. Alles andere sei sachwidrig und eine tendenziöse Verschleierung der realen Arbeitszeit.
Die bewusste Vernebelung der arbeitszeitlichen Notwendigkeiten an verschiedenen Schulformen durch trickreiche Berechnungsmethoden und die offensichtlich gewollte Benachteiligung des Gymnasiums werde auch durch die vorgeschlagene Zuweisung eines Pools an Entlastungsstunden an alle Schulformen deutlich. Die Höhe des von der Kommission vorgesehenen Stundenpools führe dazu, dass die durchschnittliche Wochenarbeitszeit eines Grundschullehrers auf 39.30 Stunden, die eines Gesamtschullehrers sogar auf 38.00 Stunden sinken würde, während der Gymnasiallehrer nach wie vor eine Wochenarbeitszeit von über 40 Stunden haben solle. „Dies ist unzumutbar und ein Schlag ins Gesicht der Gymnasiallehrkräfte. Mit Arbeitszeitgerechtigkeit hat das absolut nichts zu tun“, bemängelt Audritz. News4teachers
Neben einer Verringerung der Unterrichtsverpflichtung der Gymnasiallehrer fordert der Niedersächsische Philologenverband, dass auch „die seit Jahren verschleppten“ Entlastungen für bestimmte Lehrergruppen angemessen berücksichtigt würden. Hier habe die Kommission für die überproportional belasteten Koordinatoren eine Erhöhung der Anrechnungsstunden konkret vorgeschlagen, was sachgerecht und begrüßenswert sei. „Aber entsprechende Vorschläge für alle anderen ebenfalls überproportional belasteten Gruppen fehlen gänzlich. Wir fordern auch hier die notwendigen Entlastungen zum Beispiel für Teilzeitkräfte sowie für Funktionsinhaber und Schulleiter, und wir fordern die von der Politik seit langem zugesagte Wiederherstellung der Altersermäßigung“, unterstreicht Audritz.
Bereits im Frühjahr hat der Philologenverband daher mehrere Klagen eingereicht, über die die Gerichte in Kürze entscheiden. Denn mehr als drei Jahre nach dem Lüneburger Urteil zur Arbeitszeit der Gymnasiallehrkräfte (News4teachers berichtete) verweigere sich das Kultusministerium weiterhin allen durchgreifenden Maßnahmen zur rechtskonformen Gestaltung der Lehrerarbeitszeit. „Sogenannte ‚gefühlte‘ Belastungen und ins politische Konzept passende Verfahren werden auch jetzt wieder über sachgerechte konkrete Lösungen gestellt. Wenn der Minister als ein seiner Fürsorgepflicht genügender Dienstherr und nicht wieder als Verlierer eines Arbeitszeitprozesses in die Geschichte eingehen will, dann muss er jetzt das Steuer seiner ‚Arbeitszeitpolitik‘ gegen alle Widerstände herumreißen und Arbeitszeitgerechtigkeit für alle Lehrer herstellen“, betont Audritz.