„Hi! Wie geht ihr damit um, wenn euch ein Schüler vor versammelter klasse anschreit, frech wird und unschöne Sätze fallen? Ich habe einen sehr aufbrausenden Schüler, der auch bei anderen Lehrern das Verhalten zeigt. Bekommt auch regelmäßig Strafen aber mehr passiert da nicht. Was würdet ihr in der Situation selbst tun? Ich war ein wenig perplex und hab es ignoriert aber fühle mich dabei nach 3 Tagen Abstand immer noch nicht gut“, so fragt eine Referendarin in die Runde einer Selbsthilfegruppe auf Facebook – und bekommt Dutzende Antworten. Der Chat gibt einen anschaulichen Einblick in Situationen, denen Lehrkräfte heutzutage ausgesetzt sind.
Eine Kollegin gibt Rat: „Ein ruhiges ‚bist du jetzt fertig?‘ Vielleicht muss man ihm den Wind aus den Segeln nehmen.“ Die Reaktion der Fragestellerin: „Mein ‚bist du fertig‘ würde man bei dem Geschrei nicht mal hören.“ Weiter führt sie aus: Wenn dem Schüler – 10. Klasse – etwas nicht passe, etwa die Sitzordnung, werde er sofort aggressiv und laut. Seine Mutter sei alleinerziehend und selbst überfordert. Niemand in der Schule stelle sich dem Jugendlichen entgegen. „Scheinbar hat er alle in der Hand.“ Sie selbst, so die Junglehrerin, habe Angst, vor der Klasse die Autorität zu verlieren. „Ich versuche, beim nächsten Mal zu signalisieren, dass ich alles unter Kontrolle habe.“
- Ein Sonderpädagoge an einer Hauptschule empfiehlt: „Die Eltern einbestellen und ein klärendes Gespräch führen. Dort solltest du den Erziehungsberechtigten deutlich machen, dass sein/ihr zukünftiger Chef in der Arbeitswelt wahrscheinlich anders reagieren würde, wenn er sein Verhalten nicht ändert.“
- Ein anderer Kollege meint: „Schulsozialarbeiter ins Boot holen – falls vorhanden.“
- Eine andere Lehrerin schreibt: „Souverän und professionell bleiben. Nicht aus der Ruhe bringen lassen. Vorher (machbare) Konsequenzen für so ein Verhalten ankündigen und diese dann auch durchführen.“
- In die gleiche Kerbe schlägt ein erfahrener Kollege: „Ruhig bleiben, wenn man deeskalieren möchte, oder dagegen halten und signalisieren, dass man sich durch Lautstärke nicht einschüchtern lässt. Lösen kann man die Situation so oder so nicht, sondern nur damit umgehen. Wenn ein Schüler so ein Verhalten regelmäßig zeigt, wird die eine oder andere Reaktion daran erstmal nichts ändern. Würde langfristig versuchen, die Kollegen und Eltern ins Boot zu holen und mir kurzfristig nicht zu sehr den Kopf darüber zerbrechen. Ändert auch nichts.“
- Eine vierte Lehrerin zieht ein resigniertes Fazit: „Da fragt man sich echt, warum man sich das antut. Man muss sich beschimpfen lassen und ist der Blitzableiter für überforderte Schüler. Ich finde das so schlimm für das eigene Selbstwertgefühl.“
Tatsache ist: Die Situationen, in denen Schüler mit ihrem Verhalten Lehrer an ihre Grenzen bringen – oder darüber hinaus – nehmen rasant zu. Bundesweit häufen sich die Klagen. In Mönchengladbach beispielsweise machte der Fall eines Lehrers unlängst Schlagzeilen, der einen 13-jährigen Schüler körperlich bedrängte, ihn schubste und über den Schulhof jagte („Was glaubst du denn, wer du bist? Verdammt noch mal!“). Die Szene wurde per Handy gefilmt und verbreitete sich rasant in den sozialen Medien. Die Empörung über den Lehrer war groß.
Nicht in der Szene zu sehen war allerdings das vorausgegangene Verhalten des Schülers. Der war vom Lehrer aufgefordert worden, auf den Pausenhof zu gehen – und hatte darauf mit einer Beleidigung reagiert. Eine Lehrerin, die schlichten wollte, wurde von einem Freund des Schülers als „alte Hure“ tituliert. „Die seit 35 Jahren zuverlässig und besonnen an der Schule tätige Lehrkraft hat sich in diesem Moment provozieren lassen. Sie bedauert ihr Verhalten sehr. Da es sich somit um einen einmaligen Vorfall gehandelt hat, wurde von dienstrechtlichen Maßnahmen abgesehen“, so teilte später die Schulaufsicht mit. Tatsächlich war das Geschehen kein Einzelfall. Wie später bekannt wurde, ist das Kollegium immer wieder mit aggressiven Schülern und Eltern konfrontiert.
Gekniffen, gebissen, bespuckt
„Was den Umgang miteinander betrifft, stehen Lehrer in einer Reihe mit Polizisten, Rettungskräften und Ärzten“, sagt Ruth Reinartz, Vorsitzende der GEW Mönchengladbach, gegenüber der „Rheinischen Post“. Lehrer würden mit Schimpfwörtern provoziert, mitunter auch gekniffen, gebissen und bespuckt. Entgleisungen, vor allem verbale, gebe es immer wieder. „Bei den Schülern wird es entschuldigt, bei den Lehrern nicht“, berichtet Reinartz, die selbst Lehrerin an einer Hauptschule ist.
Das Problem lässt sich weder regional eingrenzen noch ist es auf bestimmte Schulformen beschränkt. Auch Gymnasien, die früher als eher beschauliche Lernstätten galten, sind betroffen.
„Gymnasien stehen vor facettenreichen Herausforderungen“, sagt beispielsweise der Leiter eines Hamburger Gymnasiums einem aktuellen Bericht des „Hamburger Abendblatts“ zufolge. „Immer mehr Kinder, die von der Grundschule zu uns kommen, haben schulische Probleme.“ Nicht nur, dass das Leistungsniveau generell nach unten gehe. Auch komme es immer häufiger vor, dass Schüler, die Schwierigkeiten haben, mit Aggression reagierten und sich auffällig im Sozialverhalten zeigten. „Es gibt eine Verrohung im Umgang miteinander“, so zitiert das Blatt den Schulleiter.
Der Direktor eines benachbarten Gymnasiums ergänzt: „Lange hieß es, an Gymnasien braucht man keine Schulsozialarbeit. Das stimmt so nicht mehr. Das System muss sich mit veränderten Bedingungen auseinandersetzen.“ In immer mehr Familien seien beide Elternteile ganztags berufstätig. Die Folge: „Die Kinder sitzen dann den ganzen Nachmittag vor der Daddelkiste oder dem Smartphone. Sie sind komplett überfordert.“ Agentur für Bildungsjournalismus
„Mittlerweile greifen alltäglich Schlagzeilen in Deutschland Gewalt an Schulen auf – und noch immer gibt es keine wirkliche Hilfe für Lehrkräfte und Schüler“, so heißt es in einer Pressemitteilung des Verbands Reale Bildung (VRB) Saarland. „Zwar werden im Saarland mehr Schulsozialarbeiter eingestellt, doch verhindern bürokratische Vorgaben ein wirklich effektives Zusammenarbeiten aller Beteiligten. Somit gelingt es auch nicht, Lehrkräfte zu entlasten.“ Der VRB mahnt an, dass hier die Politik Wege schaffen müsse, die ein problemloses Austauschen der unterschiedlichen Behörden untereinander ermöglichen. So könne ein schnelleres Eingreifen in Gefährdungssituationen gewährleistet werden.
Aktuelle Vorfälle an Gemeinschaftsschulen zeigten, dass der Schulhof ein Bereich mit hohem Gefahrenpotential sei. „Schulfremde Personen bedrohen und beleidigen Lehrkräfte und Schüler und schrecken auch nicht vor körperlichen Angriffen zurück. Emotionale Betroffenheit verhindert nach solchen Vorfällen noch lange Zeit ein unbeschwertes Pausenverhalten bei Schülern. Die vielfältigen Gefahrensituationen stellen Lehrkräfte vor immer neue Aufgaben, die nicht zu ihrem Lehrauftrag gehören. Zunehmend respektloses Verhalten von Erwachsenen, Jugendlichen und Kindern ist mittlerweile ein gesellschaftliches Phänomen und erschwert in jeglicher Hinsicht die Gestaltung des Schullebens. Mobbing, körperliche Übergriffe und verschiedene weitere negative Verhaltensauffälligkeiten von Schülern im alltäglichen Schulbetrieb haben viele Lehrer an ihre Belastungsgrenze gebracht.“ Der VRB fordert die verantwortlichen Politiker auf, trotz der vorhandenen Sparzwänge dringend die Prioritäten neu zu setzen und eine höhere Planstellenanzahl für Lehrer zu schaffen, um eine wirkliche Entlastung für die Lehrkräfte an den Schulen zu ermöglichen.
Der Beitrag wird auch auf der Facebook-Seite von News4teachers diskutiert.
VBE-Umfrage: Gewalt gegen Lehrer an jeder vierten Schule – an Grundschulen sogar noch häufiger