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“Schulen dürfen keine Angsträume sein”: Tod einer Grundschülerin löst Debatte über Mobbing aus

BERLIN. Der Tod einer elfjährigen Schülerin schockiert Berlin. Wurde sie gemobbt? Viele Fragen sind noch offen. Trotzdem ist bereits eine bundesweite Debatte über Mobbing entbrannt. Dem Schauspieler und Anti-Mobbing-Trainer Carsten Stahl zufolge, der in der “Bild”-Zeitung zu Wort kommt, wird das Thema häufig heruntergespielt. „Dabei gibt es das Problem an allen Schulen”, sagt er.

Mobbing ist offenbar ein Alltagsphänomen an Schulen (Symbolfoto). Foto: Shutterstock

Nach dem tragischen Tod einer Berliner Grundschülerin ist eine Debatte über Mobbing entbrannt. Dabei ist bislang weder die genaue Todesursache geklärt noch sicher, ob Mobbing zum mutmaßlichen Suizid führte. Die Polizei gab am Montag noch keine weiteren Details bekannt. Die Beamten führen – wie in solchen Fällen üblich – ein sogenanntes Todesermittlungsverfahren durch.

Die Senatsbildungsverwaltung geht den Mobbing-Vorwürfen nach. Sie nehme das Thema Mobbing «sehr sehr ernst», sagte Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) am Montag im RBB-Inforadio. «Mobbing ist ein echtes Problem an Schulen, in Berlin und anderswo», erklärte Bildungsstaatssekretärin Sigrid Klebba. Aktuell sei allerdings für niemanden klar, welche Rolle es in diesem tragischem Fall gespielt habe.

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Am Samstag war der Tod der Schülerin aus dem Berliner Bezirk Reinickendorf bekanntgeworden. Sie war auf die Hausotter-Grundschule gegangen. Laut «Tagesspiegel» soll sie einen Suizidversuch unternommen haben und später an den Folgen im Krankenhaus gestorben sein. Als möglicher Hintergrund steht der Verdacht von Mobbing an ihrer Schule im Raum, Elternvertreter berichteten in Medien von einem Mobbing-Problem an der Schule. Doch bislang gibt es weder eine offizielle Bestätigung für den Suizid, noch ist der Hintergrund klar.

Schüler, Lehrer und Eltern sollen an der Schule die Möglichkeit zur Trauer und zum Austausch über des Geschehene bekommen. Das kündigte Schulleiterin Daniela Walter nach einem Gespräch mit Schulaufsicht und Bildungsverwaltung an. «Die Schule wird einen Trauerraum einrichten, in dem die Schulgemeinschaft ihre Anteilnahme zum Ausdruck bringen kann und der dem Wunsch der Familie nach einem respektvollen Umgang mit dem Tod ihrer Tochter gerecht wird», sagte Walter mit Blick auf das Ende der Ferien in einer Woche. Auch Schulpsychologen werden am ersten Schultag in der Schule sein.

Die CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus beantragte eine Anhörung zum Thema Mobbing im Bildungsausschuss, wie die bildungspolitische Sprecherin Hildegard Bentele mitteilte. «Uns geht es darum, weitere Hintergründe dieser Verzweiflungstat zu erfahren und die richtigen Schlussfolgerungen daraus zu ziehen», sagte Bentele. «Schulen dürfen keine Angsträume sein.»

Unterdessen warnte der Mobbing-Forscher Sebastian Wachs vor vorschnellen Schlüssen: «Ein Selbstmord ist eine extreme Handlung – bei Erwachsenen und auch bei Kindern. Menschen begehen ihn nicht einfach so. Oft kommen verschiedene Faktoren zusammen, monokausale Erklärungen greifen zu kurz», sagte der Erziehungswissenschaftler der Potsdamer Universität. Auch die Schulpsychologin Meltem Avci-Werning mahnt zur Vorsicht und fordert, die Themen Suizid und Mobbing «zu entkoppeln». «Mobbing muss nicht immer zu suizidalen Handlungen führen», so die Bundesvorsitzende der Sektion Schulpsychologie im Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen.

Jede Schule braucht einen Sozialarbeiter

Der Schauspieler und Anti-Mobbing-Trainer Carsten Stahl, dessen Kurse an Schulen laut Bericht rund 40.000 Schülerinnen und Schüler bereits durchlaufen haben und der für den Sender RTL II  eine Reality-TV-Serie in Schulen („Stahl:hart gegen Mobbing“) produziert, hält das Thema – unabhängig von dem aktuellen Fall – für unterschätzt. Mit Blick auf Schüler sagt er gegenüber der “Bild”-Zeitung: „90 Prozent geben an, schon selbst Opfer von Mobbing gewesen zu sein. 90 Prozent waren auch schon mal Täter oder Mittäter. Und 60 bis 70 Prozent haben zugeschaut, statt einzuschreiten.“ Trotzdem ignoriere die Politik das Problem weitgehend. Stahl fordert: „An jeder Schule muss ein Sozialarbeiter mindestens 35 Wochenstunden installiert werden.“ Außerdem müssten Lehrer besser geschult werden.

Auch der Landesschülerausschuss fordert eine offenere Debatte über Mobbing. «Das ganze Klima an den Schulen muss sich ändern», sagt die Vorsitzende Eileen Hager. Viele Schüler trauten sich nicht, sich in Mobbing-Fällen an Lehrer und Sozialarbeiter zu wenden. «Wir wissen, dass es auch schon an Grundschulen Mobbing gibt», sagte Hager (in Berlin umfasst die Grundschule die Klassen eins bis sechs). Die 18 Jahre alte Schülerin forderte vor allem auch Eltern dazu auf, sich intensiver mit dem Thema auseinanderzusetzen.

Das unterstützt auch der Vorsitzende des Landeselternausschusses, Norman Heise. Wenn sich ein Kind zurückziehe, nicht zur Schule wolle oder plötzlich schlechte Noten habe, seien das Alarmzeichen, auf die Eltern reagieren müssten. Eine große Rolle spiele Cyber-Mobbing. «Es kann nicht sein, dass sie ihren Kindern ein Smartphone schenken und den Rest dann der Schule überlassen.» Dabei sei wichtig, dass Eltern die Gefahren auch kennen, die ihren Kindern im Internet drohen.

Schulleiterin Walter hatte sich am Wochenende entschieden gegen Vorwürfe eines Vater aus dem Elternbeirat gewehrt, dass an der Schule Probleme totgeschwiegen worden seien. Natürlich gebe es Vorfälle – beispielsweise auf dem Pausenhof. Aber: «Wir haben Konfliktlotsen an Bord», sagte Walter der RBB-«Abendschau». Darüber hinaus existiere eine «sehr gut ausgestattete Schulsozialarbeit». Nichts werde vertuscht oder unter den Teppich gekehrt.

„An jeder Schule gibt es Mobbing“, sagt der Präsident des Deutschen Lehrerverbands, Heinz-Peter Meidinger Meidinger, gegenüber dem “Tagesspiegel”. „Wer das bestreitet lügt entweder oder ist unwissend.“ Meidinger empfiehlt langfristige Lösungen wie einen festen Schulpsychologen. Außerdem sei eine Achtsamkeitskultur wichtig sowie regelmäßiger Austausch zwischen den Lehrern. News4teachers / mit Material der dpa

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Anzeichen für Mobbing bei Kindern

Kommt das Kind nicht mehr mit dem Taschengeld aus? Fehlt Schulmaterial im Ranzen? Oder kommt das Kind mehrfach mit zerrissenen Klamotten nach Hause? All das können neben blauen Flecken, häufigem Bauch- und Kopfweh und fehlender Motivation Warnsignale dafür sein, dass ein Kind in der Schule gemobbt wird. Darauf weist die Sicher-Stark-Initiative hin, die sich für den Schutz von Kindern einsetzt.

Betroffene Kinder haben meist keine Lust mehr, in die Schule zu gehen. Ihnen ist ihre frühere Fröhlichkeit abhanden gekommen und sie lassen plötzlich Ehrgeiz vermissen. Bemerken Eltern solches Verhalten, sollten sie zunächst mit dem Kind reden und ganz konkrete Fragen stellen – noch bevor sie Polizei oder Anwalt einschalten oder vertrauensvolle Gespräche mit Schulsozialarbeitern, Erziehern, Lehrkräften und Schulleitung führen.

Hilfe für Mobbing-Opfer gibt es auch beim Kinder- und Jugendtelefon «Nummer gegen Kummer» unter 0800 111 0 333 oder im Netz unter www.nummergegenkummer.de.

Ein 13-jähriger Junge klärt Politiker im NRW-Landtag über Cybermobbing auf

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