MÜNCHEN. Eltern machen gegen das streng nach Noten ausgerichtete bayerische Übergangsverfahren auf die weiterführende Schule mobil. So hat sich eine „Bürgerinitiative für die Abschaffung der verbindlichen Schulempfehlung in Bayern“ formiert, die die scheinbar objektive Auswahl nach Noten kritisiert – aus gutem Grund: Wie eine Erhebung der Initiative zeigt, fällt der prozentuelle Anteil der Kinder mit einer Empfehlung für das Gymnasium zwischen den verschiedenen Landkreisen extrem unterschiedlich aus. Ist die schulische Leistungsfähigkeit von Kindern tatsächlich regional derart unterschiedlich ausgeprägt? Oder fehlt es schlicht an einem einheitlichen Bewertungsmaßstab? Auch der Bayerische Elternverband zeigt sich unglücklich mit dem Verfahren.
Die Quoten der Viertklässler mit Gymnasialempfehlung reichen von 38 Prozent in Schweinfurt bis zu 71 Prozent in Starnberg. Ähnlich ungleich verhält es sich mit der festgestellten Realschuleignung – hier schwanken die Zahlen zwischen 12,4 Prozent (Hof Stadt) und 20,1 Prozent (Wunsiedel). „Bemerkenswert ist, dass diese Unterschiede zwischen den Landkreisen stabil sind“, meint der Mathematiker und Psychologe Prof. Dr. Michael Zehetleitner, der die Daten ausgewertet hat. „Es gibt innerhalb der Landkreise keinen wesentlichen Aufwärts- oder Abwärtstrend.“ Einen Zusammenhang erkennt der Wissenschaftler mit dem Bildungshintergrund der Eltern. Den größten Einfluss auf die Eignungsquote habe der Akademikeranteil im Landkreis: Je größer der sei, desto größer falle der Anteil der Kinder aus, die eine Gymnasial- oder Realschulempfehlung bekämen.
„Das Kultusministerium preist immer wieder das bayerische Übertrittsverfahren als objektiv und valide an. Dass das Übertrittszeugnis mit seiner Empfehlung oft prinzipiell mit großer Unsicherheit und Fehlern behaftet ist, beweisen die Schüler, die mittels Probeunterricht auf eine höhere Schulart wechselten“, so heißt es in einer Pressemitteilung der Initiative.
Schüler, die mit dem Übertrittszeugnis nicht an ihre Wunschschule übertreten dürfen, können in Bayern einen dreitägigen Probeunterricht am Gymnasium oder an der Realschule absolvieren. Und, so betont die Initiative: „Von diesen Kindern, die den Probeunterricht am Gymnasium gemacht haben, bekommen im Schnitt 70 Prozent die Möglichkeit auf das Gymnasium überzutreten. Von den 3500 Schülern, die pro Jahr durch den Probeunterricht auf eine höhere Schulart übertreten, verlassen im Schnitt nur 150 Schüler nach der 5. Klasse die Schule wieder. Das Übertrittsgutachten bescheinigt damit 3350 Schülern pro Jahr, dass sie nicht für eine höhere Schulart geeignet sind – obwohl sie dann offensichtlich auf der höheren Schule bestehen.“
Vergiftetes Klima zwischen Eltern und Lehrern
Fazit von Gabriele Elsinger, Sprecherin der Initiative: „Die Eignungsempfehlungen sind nicht ausreichend objektiv, verursachen eine Bildungsungerechtigkeit und vergiften die Bildungspartnerschaft zwischen Eltern und Lehrern. Leidtragende sind hierbei vor allem die Kinder, aber auch die Eltern und die Lehrer, die sich oft voller Misstrauen begegnen. Daher fordert unsere Bürgerinitiative die Abschaffung der verbindlichen Schulempfehlung, sodass die Entscheidung über den weiteren Bildungsweg des Kindes letztendlich die Eltern nach einer ausführlichen Empfehlung und Beratung durch die Grundschulen treffen können.“
Weiter betont sie: „Die Erfahrung aus den anderen Bundesländern zeigt: Den Eltern das letzte Wort bei der Wahl der weiterführenden Schule zu lassen, zieht keine Bildungskatastrophe nach sich. Denn die meisten Eltern richten sich nach den unverbindlichen Schulempfehlungen der Grundschulen.“
Dass die Empfehlung für die weiterführende Schulart allein an Noten fest gemacht werde, kritisiert auch der Bayerische Elternverband (BEV). Noten bildeten nur einen geringen Teil der Stärken eines Kindes ab. „Dass eine derart einseitige Sicht auf ein Kind so weitreichende Folgen nach sich zieht, ist nach wie vor nicht zufriedenstellend“, kritisiert BEV-Vorsitzender Martin Löwe – und spricht von „großem Druck, der das ganze Familienleben überschatten kann“. Er rät trotzdem zu Gelassenheit. „Eltern sind gut beraten, ihr Kind nicht unter allen Umständen und mit knappstem Notendurchschnitt dem Druck einer möglichst ‘hohen’ Schulart auszusetzen“, sagt Löwe.
Politisch streitet der Verband allerdings dafür, die Entscheidung über die weiterführende Schule nach hinten zu verschieben – dafür hätten sich in einer Umfrage des Verbands im vergangenen Jahr 85 Prozent der befragten Eltern ausgesprochen. Agentur für Bildungsjournalismus
Auf change.org wurde eine Petition zur Freigabe des Elternwillens bei der Wahl der weiterführenden Schule in Bayern gestartet. Unter dem Titel „Gerechtigkeit für Kinder – freie Schulwahl jetzt“ sammelt die Initiatorin, die Mutter Nathalie Tews, ab sofort Unterschriften. „Die Anforderungen von Schule zu Schule, teilweise von Klasse zu Klasse, sind nicht gleich! Die einen Kinder müssen mehr leisten als andere für gleiche Noten“, so schreibt sie zur Begründung.
„Wir Mütter unterhalten uns und unsere Kinder gehen auf verschiedene Grundschulen in Bayern in die gleichen Klassen. Die Proben sind unterschiedlich und der Stoffumfang und die Aufbereitung variiert“, so erklärt sie. Weiter heißt es: „Die Übertrittszahlen sind unterschiedlich und dies kann nicht daran liegen, denke ich, dass die Kinder an bestimmten Orten so viel intelligenter bzw. weniger intelligent sind.“ Eltern sollten ihre Kinder nicht in Watte packen. Sie hätten ihre Kinder auch schon vor einem Druck zu schützen, der zu psychischen Erkrankungen führen könne.
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