HAMBURG. Die AfD hat mit ihren „Meldeportalen“, über die Schüler und Eltern anonym parteikritische Lehrer melden sollen, bundesweit für Schlagzeilen und Empörung gesorgt. Viele Kollegien haben sich öffentlich gegen die „Aufforderung zum Denunziantentum“ zur Wehr gesetzt – so auch eine Schule in Hamburg-Schnelsen. Doch statt die Lehrer, die den offenen Brief unterzeichnet haben, zu unterstützen, hat die Hamburger Schulbehörde eine Entfernung des Schreibens von der Schulhomepage angeordnet. Eine Veröffentlichung verstoße gegen das Neutralitätsgebot, denn eine Schule dürfe als staatliche Organisation keine Meinung vertreten, erklärte eine Sprecherin der Schulbehörde. Die AfD frohlockt.
Anlass für die Entscheidung der Behörde war eine AfD-Anfrage an den Hamburger Senat. 120 Lehrer hätten auf der Homepage unter anderem das Meldeportal der AfD zur neutralen Schule kritisiert, moniert die AfD-Fraktion in dem Schreiben. Wohlgemerkt: Dass sich Lehrer gegen ein AfD-„Meldeportal“ zur Wehr setzen, nimmt die AfD als Beleg dafür, dass ihre Aktion gerechtfertigt gewesen sei. Die Lehrer der Schule hätten „mit Unterstellungen und Falschaussagen in unsachlicher und abwertender Weise gegen die AfD-Bürgerschaftsfraktion und gegen die AfD“ agitiert. So sei das „Informationsportal der Hamburger AfD“ als „Zensurversuch“ diffamiert worden. An anderer Stelle hätten die unterzeichnenden Lehrer die AfD in die Nähe der nationalsozialistischen Ideologie gerückt, „die zum zweiten Weltkrieg und der Massenvernichtung von Millionen von Menschen führte“.
„Allen Unkenrufen zum Trotz: Unser AfD-Informationsportal ‚Neutrale Schulen Hamburg‘ wirkt! Wir begrüßen das Vorgehen des Schulsenators Rabe und seiner Behörde gegen diesen offenkundigen Verstoß gegen das Neutralitätsgebot“, erklärte Fraktionschef Alexander Wolf. Das Vorgehen der Lehrer sei eine „bodenlose Unverschämtheit“. Wolf: „Es zeigt sich: Unser Informationsportal ist berechtigt und notwendiger denn je!“
Was hat das Kollegium denn tatsächlich geschrieben? Wir dokumentieren den offenen Brief an die AfD-Fraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft im Wortlaut: „Auf Ihrer Website bieten Sie die (anonyme) Möglichkeit Lehrerinnen und Lehrer zu melden, bei denen ein ‚Anfangsverdacht‘ besteht, das schulische Neutralitätsgebot nicht zu beachten. Sie schrecken vor dem Zynismus nicht zurück, dies mit dem Kampf „für Meinungsfreiheit und damit für eine lebendige Demokratie” zu begründen. Wir sind der Auffassung, dass Sie das Neutralitätsgebot an Schulen missverstehen und versuchen uns dadurch einzuschüchtern. Wir begreifen Ihr Portal als Aufforderung zum Denunziantentum und lehnen diesen Zensurversuch als politische Unkultur entschieden ab.
Hiermit beanspruchen wir folgende Punkte für uns:
- Wir informieren sehr kritisch über die Inhalte und Strategien von Parteien und Gruppierungen mit demokratiefeindlichen Absichten.
- Wir erarbeiten die Grundprinzipien der FDGO und auch, aus welchen Richtungen dieser Gefahren drohen können. Dazu gehört auch, dass wir mit den Schülerinnen und Schülern analysieren, ob es in Teilen der AFD oder anderer Parteien ablehnende Haltungen gegenüber Pressefreiheit, Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit gibt.
- Die JLS ist eine Schule mit Schüler/inne/n unterschiedlichster Herkünfte. Vielfalt ist für uns selbstverständlich. Wir sprechen an, dass wir dieses Prinzip durch Parteien gefährdet sehen, deren Führungspersonal etwa in Deutschland lebende Türkinnen und Türken als “Kameltreiber” bezeichnet und Politikerinnen in Anatolien “entsorgen” möchte.
- Wir diskutieren im Unterricht über die unterschiedlichen Spielarten der menschenfeindlichen Ideologie des Rassismus, die die aktuellen politischen Debatten und das gesellschaftliche Klima vergiften.
- Wir untersuchen und analysieren die Rhetorik aktueller politischer Parteien auch im Hinblick auf die Rhetorik, die zum zweiten Weltkrieg und der Massenvernichtung von Millionen von Menschen führte – was von Führungspersonen der AfD als “Vogelschiss” in der deutschen Geschichte aufgefasst wird.
- Wer in der Schule seine politische Meinung frei ausspricht, muss sich der Diskussion stellen und keinerlei Sanktionen oder Einschüchterungen erwarten. Dieses Prinzip gilt in erster Linie für die Schülerinnen und Schüler, aber unter Beachtung des Beutelsbacher Konsens auch für uns Lehrkräfte.
- Wir hetzen nicht. Wir bilden die politische Debatte um den Charakter der AfD in unserem Unterricht ab und beziehen dazu Stellung (Beutelsbacher Konsens). Wir sind der Überzeugung, dass es unsere Pflicht ist, unsere Schülerinnen und Schüler über die Instrumentarien einer wehrhaften und lebendigen Demokratie aufzuklären und sie zu ermutigen, sich an diesem Prozess zu beteiligen.
Wir handeln dabei nicht entgegen den Grundsätzen unseres Berufsstandes, sondern folgen unserem Diensteid, in dem wir uns verpflichten, das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, die Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg und alle in der Bundesrepublik Deutschland geltenden Gesetze zu wahren. Wir möchten mit diesem offenen Brief diejenigen Kolleginnen und Kollegen stärken, die durch Ihre Beschwerden bereits unter Druck geraten sind und rufen alle Kollegien der Hamburger Schulen dazu auf, es uns gleich zu tun. Ferner rufen wir die Schulbehörde dazu auf, die von den Angriffen der AfD betroffenen Kolleginnen und Kollegen in größtmöglichem Umfang zu schützen.“
Letzteres geschieht offenbar nicht. News4teachers
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