Lehrer wehren sich gegen AfD-Meldeportal – Schulbehörde rüffelt das als „Verstoß gegen das Neutralitätsgebot“. Die AfD frohlockt

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HAMBURG. Die AfD hat mit ihren „Meldeportalen“, über die Schüler und Eltern anonym parteikritische Lehrer melden sollen, bundesweit für Schlagzeilen und Empörung gesorgt. Viele Kollegien haben sich öffentlich gegen die „Aufforderung zum Denunziantentum“ zur Wehr gesetzt – so auch eine Schule in Hamburg-Schnelsen. Doch statt die Lehrer, die den offenen Brief unterzeichnet haben, zu unterstützen, hat die Hamburger Schulbehörde eine Entfernung des Schreibens von der Schulhomepage angeordnet. Eine Veröffentlichung verstoße gegen das Neutralitätsgebot, denn eine Schule dürfe als staatliche Organisation keine Meinung vertreten, erklärte eine Sprecherin der Schulbehörde. Die AfD frohlockt.

Der AfD-Fraktionsvorsitzende Wolf triumphiert öffentlich auf Facebook. Screenshot

Anlass für die Entscheidung der Behörde war eine AfD-Anfrage an den Hamburger Senat. 120 Lehrer hätten auf der Homepage unter anderem das Meldeportal der AfD zur neutralen Schule kritisiert, moniert die AfD-Fraktion in dem Schreiben.  Wohlgemerkt: Dass sich Lehrer gegen ein AfD-„Meldeportal“ zur Wehr setzen,  nimmt die AfD als Beleg dafür, dass ihre Aktion gerechtfertigt gewesen sei. Die Lehrer der Schule hätten „mit Unterstellungen und Falschaussagen in unsachlicher und abwertender Weise gegen die AfD-Bürgerschaftsfraktion und gegen die AfD“ agitiert. So sei das „Informationsportal der Hamburger AfD“ als „Zensurversuch“ diffamiert worden. An anderer Stelle hätten die unterzeichnenden Lehrer die AfD in die Nähe der nationalsozialistischen Ideologie gerückt, „die zum zweiten Weltkrieg und der Massenvernichtung von Millionen von Menschen führte“.

„Allen Unkenrufen zum Trotz: Unser AfD-Informationsportal ‚Neutrale Schulen Hamburg‘ wirkt! Wir begrüßen das Vorgehen des Schulsenators Rabe und seiner Behörde gegen diesen offenkundigen Verstoß gegen das Neutralitätsgebot“, erklärte Fraktionschef Alexander Wolf.  Das Vorgehen der Lehrer sei eine „bodenlose Unverschämtheit“. Wolf: „Es zeigt sich: Unser Informationsportal ist berechtigt und notwendiger denn je!“

Was hat das Kollegium denn tatsächlich geschrieben? Wir dokumentieren den offenen Brief an die AfD-Fraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft im Wortlaut: „Auf Ihrer Website bieten Sie die (anonyme) Möglichkeit Lehrerinnen und Lehrer zu melden, bei denen ein ‚Anfangsverdacht‘ besteht, das schulische Neutralitätsgebot nicht zu beachten. Sie schrecken vor dem Zynismus nicht zurück, dies mit dem Kampf „für Meinungsfreiheit und damit für eine lebendige Demokratie” zu begründen. Wir sind der Auffassung, dass Sie das Neutralitätsgebot an Schulen missverstehen und versuchen uns dadurch einzuschüchtern. Wir begreifen Ihr Portal als Aufforderung zum Denunziantentum und lehnen diesen Zensurversuch als politische Unkultur entschieden ab.

Hiermit beanspruchen wir folgende Punkte für uns:

  • Wir informieren sehr kritisch über die Inhalte und Strategien von Parteien und Gruppierungen mit demokratiefeindlichen Absichten.
  • Wir erarbeiten die Grundprinzipien der FDGO und auch, aus welchen Richtungen dieser Gefahren drohen können. Dazu gehört auch, dass wir mit den Schülerinnen und Schülern analysieren, ob es in Teilen der AFD oder anderer Parteien ablehnende Haltungen gegenüber Pressefreiheit, Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit gibt.
  • Die JLS ist eine Schule mit Schüler/inne/n unterschiedlichster Herkünfte. Vielfalt ist für uns selbstverständlich. Wir sprechen an, dass wir dieses Prinzip durch Parteien gefährdet sehen, deren Führungspersonal etwa in Deutschland lebende Türkinnen und Türken als “Kameltreiber” bezeichnet und Politikerinnen in Anatolien “entsorgen” möchte.
  • Wir diskutieren im Unterricht über die unterschiedlichen Spielarten der menschenfeindlichen Ideologie des Rassismus, die die aktuellen politischen Debatten und das gesellschaftliche Klima vergiften.
  • Wir untersuchen und analysieren die Rhetorik aktueller politischer Parteien auch im Hinblick auf die Rhetorik, die zum zweiten Weltkrieg und der Massenvernichtung von Millionen von Menschen führte – was von Führungspersonen der AfD als “Vogelschiss” in der deutschen Geschichte aufgefasst wird.
  • Wer in der Schule seine politische Meinung frei ausspricht, muss sich der Diskussion stellen und keinerlei Sanktionen oder Einschüchterungen erwarten. Dieses Prinzip gilt in erster Linie für die Schülerinnen und Schüler, aber unter Beachtung des Beutelsbacher Konsens auch für uns Lehrkräfte.
  • Wir hetzen nicht. Wir bilden die politische Debatte um den Charakter der AfD in unserem Unterricht ab und beziehen dazu Stellung (Beutelsbacher Konsens). Wir sind der Überzeugung, dass es unsere Pflicht ist, unsere Schülerinnen und Schüler über die Instrumentarien einer wehrhaften und lebendigen Demokratie aufzuklären und sie zu ermutigen, sich an diesem Prozess zu beteiligen.

Wir handeln dabei nicht entgegen den Grundsätzen unseres Berufsstandes, sondern folgen unserem Diensteid, in dem wir uns verpflichten, das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, die Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg und alle in der Bundesrepublik Deutschland geltenden Gesetze zu wahren. Wir möchten mit diesem offenen Brief diejenigen Kolleginnen und Kollegen stärken, die durch Ihre Beschwerden bereits unter Druck geraten sind und rufen alle Kollegien der Hamburger Schulen dazu auf, es uns gleich zu tun. Ferner rufen wir die Schulbehörde dazu auf, die von den Angriffen der AfD betroffenen Kolleginnen und Kollegen in größtmöglichem Umfang zu schützen.“

Letzteres geschieht offenbar nicht. News4teachers

Der Beitrag wird auch auf der Facebook-Seite von News4teachers diskutiert.

Alles erlogen? Hamburger AfD will “viele Hinweise” auf Verstöße von Lehrern gegen das Neutralitätsgebot erhalten haben – gemeldet hat sie keinen einzigen

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11 Kommentare
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xxx
4 Jahre zuvor

Die Schulbehörde macht sich einen schlanken Fuß, indem sie sich unter Bezug auf das Neutralitätsgebot jeglicher inhaltlicher Konfrontation entzieht. So gibt sie der AfD alle Trümpfe in die Hand. Viel falscher kann man nicht vorgehen…

mestro
4 Jahre zuvor
Antwortet  xxx

Wenigstens bezieht die Behörde durch den Verweis auf das Neutralitätsgebot noch Stellung und kneift nicht aus Feigheit vor dem Zeitgeist vollends die Augen zu.

xxx
4 Jahre zuvor
Antwortet  mestro

So gesehen haben Sie recht. Ein gewisses Maß an Feigheit ist es aber trotzdem.

Pit
4 Jahre zuvor
Antwortet  xxx

Stimmt! Ein erneuter Verweis auf das Neutralitätsgebot ist nicht Fisch und nicht Fleisch. Mutige Konsequenz bei Nichtachtung von Geboten sieht anders aus.

Ignaz Wrobel
4 Jahre zuvor
Antwortet  Pit

Wovor fürchtet sich eigentlich diese Schulbehörde ?
Ist sie sich nicht ihrer Aufgabe bewusst, ihre auf die Verfassung eingeschworenen Lehrer vor der politischen Einflussnahme einer Partei zu schützen und sich diesem Treiben entgegenzustellen, diese Partei in ihre Schranken zu verweisen und für Klarheit zu sorgen !

xxx
4 Jahre zuvor
Antwortet  Pit

Vielleicht fürchtet sie die Konsequenzen daraus. Wenn sie sich wie in diesem Fall gut begründet gegen ein Vorhaben der AfD stellt, müsste sie sich in ebenso gut begründeten Fällen für die AfD sowie für oder gegen Vorhaben aller anderen Parteien stellen. Damit würde die Behörde zum Spielball der Parteien, was insbesondere Einfluss auf Stellenbesetzungen und Beförderungen in den höchsten Positionen haben kann.

Feigheit, Bequemlichkeit und Desinteresse am Fußvolk (den Lehrkräften) halte ich aber für wahrscheinlicher. Notfalls sollen die Lehrer klagen. Das vermeidet Grundsatzurteile und Kosten, weil die durch Lehrer privat bezahlte Rechtsschutzversicherung die Prozesskosten übernimmt.

Andre
4 Jahre zuvor

Wegducken der Offiziellen… Wie armselig! Da möchte ich gerne mal Tucholsky zitieren an dieser Stelle
https://youtu.be/4dzQr6S_PcI

Küstenfuchs
4 Jahre zuvor
Antwortet  Andre

„Armselig“ trifft es schon ganz gut, „erbärmlich“ würde ich es nennen. Wo wird in dieser Erklärung die Neutralität verletzt?
Leider sind in Hamburg die Lehrerverbände so schwach, dass die Schulbehörde dort offenbar weniger Gegenwind befüchtet als von den Rechtsradikalen.

AvL
4 Jahre zuvor
Antwortet  Küstenfuchs

Die Schulbehörde muss sich eben neutral verhalten, sie hat aber die Möglichkeit, das Vorgehen dieser Portale zu rügen und eben von der Einflussnahme auf den Schulbetrieb auszuschließen und mit Ignoranz zu versehen.

xxx
4 Jahre zuvor
Antwortet  AvL

Dann müsste die Behörde aber auch alle anderen politisch geprägten Portale verbieten, die Bundeszentrale der politischen Bildung, die entsprechenden Landeszentralen und so ziemlich alles zur Gleichstellung eingeschlossen.

Über Diskriminierung führt kein Weg zu Toleranz in der Gesellschaft
2 Jahre zuvor
Antwortet  xxx

Ein allgemeiner Kommentar, versehentlich auf xxx bezogen:
Dass die Schulbehörde so reagierte und die Lehrer mal zurechtwies, begrüße ich als ehemalige Berufsschulerin sehr und lässt mich hoffen. Im Jahr 2019 war ich leider auch von der Indoktrination meines Erziehungswissenschaftenlehrers im Abiturjahr betroffen und kann sagen, gleichwohl ich hier wahrscheinlich eher auf Abwertung statt auf Mitgefühl treffen werde (was dann schon demokratiegefährdend wäre), dass es mir damit ganz ganz schlecht ging. Ich finde es unfassbar, welch perfider, psychischer Gewalt ich im Unterricht ausgesetzt war, weil ich dem Narrativ des Mainstreams kritisch begegnete (damals in Bezug auf Gender Mainstreamin, da landet man auch ganz schnell ungerechtfertigt in der rechten, „demokratiefeindlich“ Ecke). Der Lehrer kann dann ganz einfach, wie für dysfunktionale Strukturen ganz typisch, meine kritischen Betrachtungen als demokratiefeindlich verdrehen und abwerten und verhält sich somit selbst im höchsten Maße demokratiefeindlich (was er aber natürlich gerechtfertigt sieht), aus Angst, ich könne die anderen Schüler zum Nachdenken und zu einer kontroversen Debatte anregen. Damit können die Lehrer erfahrungsgemäß nicht umgehen. Nach meinem Erlebnis hatte ich oft Kontakt zu jungen Menschen in meiner Nachbarschaft und somit wurde leider klar, dass ich mit meinem Erlebnis nicht allein stehe. Nur trauen sich die jungen Leute oftmals nicht, für ihr Recht auf neutrale politische Bildung einzustehen, weil sie mit undemokratischen, abwertenden und ausgrenzenden, zermürbenden Methoden zum Schweigen gebracht werden. Die Eltern müssten ihren Kindern unbedingt beistehen und sich für die einsetzen, lassen sich aber zu häufig von der Schule gaslighten ( z.B. „War ja nur der Eindruck vom Schüler und nicht die Realität“) und das geht nur in einer Gemeinschaft!
Also ja, die Indoktrination an Schulen ist leider kein Ammenmärchen der AfD, sondern häufig Realität und viele junge Leute berichten. Leider! Es braucht daher ganz dringend eine Plattform für die Betroffenen!