DORTMUND. Provokation durch Tabubruch oder rechtsextreme Gesinnung: Was steckt dahinter, wenn ein Schüler im Unterricht zum Beispiel den Hitlergruß zeigt? Wie sollten Pädagogen auf rechtsradikales Verhalten von Schülern und Schülerinnen reagieren? Das hänge vor allem von der Motivation der Schüler ab, sagt Dierk Borstel, Professor für praxisorientierte Politikwissenschaften an der Fachhochschule Dortmund, im Interview – und warnt vor oberflächlichen Urteilen. Borstel forscht zum Thema Rechtsextremismus und Demokratieerziehung.
Wollen Schüler, die sich rechtsextremistisch äußern, nicht oft einfach nur provozieren und Grenzen austesten? Wie findet man heraus, was dahinter steckt?
Borstel: Am Anfang steht für den Lehrer immer die Analyse: Was ist eigentlich Sache? Will der Jugendliche durch eine rechtsextreme Äußerung nur im Mittelpunkt stehen? Oder steckt dahinter ein ernsthafter Gedanke? Das kann man nur im Gespräch herausbekommen.
Was kann es denn sein?
Borstel: Die Motivationen sind unterschiedlich: Einige sind ideologisch überzeugt, den nächsten fasziniert die Kameradschaft in rechtsradikalen Gruppen. Wieder andere haben eine Sehnsucht nach Übersichtlichkeit, andere suchen den Adrenalin-Kick bei gewalttätigen Auseinandersetzungen. Man muss die Jugendlichen fragen: Wie kommst du darauf? Was willst du damit? Wohin führt das? Steckt eine Erfahrung dahinter? Daraus ergibt sich dann, welche pädagogischen Konsequenzen der Lehrer zieht.
Sind Lehrer auf rechtsextremes Verhalten von Schülern und Schülerinnen vorbereitet?
Borstel: Das kann man so pauschal nicht sagen, manche ja, manche nein. Aber grundsätzlich überfordert Radikalisierung Schulen. Radikalisierung passiert im Kopf, das müssen Lehrer erst einmal erkennen. Sie sehen oft eine Klasse von 30 Schülern nur 45 Minuten die Woche – der zeitliche Rahmen, das zu erkennen, ist oft gar nicht da. Dazu kommt, dass die Jugendkultur sich extrem ausdifferenziert. Bei Neonazis denken viele Lehrer an Springerstiefel und Glatze. Sie tragen heute aber Sneaker und Kapuzenpulli wie andere auch. Man kann es oft nur noch erkennen, indem man den Menschen genau zuhört.
Was würden Sie sich von den Schulen wünschen?
Borstel: Schule könnte ein Ort sein, um Frühradikalisierung zu erkennen. Sie erfüllt die Funktion als Ort aber noch nicht so, wie sie es könnte. Es müsste Zeit da sein, um neben der reinen Wissensvermittlung mit den Schülern ins Gespräch zu kommen. Schule allein kann außerdem kaum etwas ausrichten. Die Schulen müssen eingebunden sein in demokratische Communitys, sie müssten viel enger verbunden sein mit ihrer Nachbarschaft, den Sportvereinen und den Eltern. Interview: Kristin Kruthaup, dpa
Rechtsextreme demonstrieren ihre Gesinnung gerne in der Öffentlichkeit. Bestimmten Symbolen kommt dabei eine hohe Bedeutung zu, einige von ihnen sanktioniert der Gesetzgeber mit den Paragrafen 86 und 86a des Strafgesetzbuchs. Danach kann das «Verbreiten von Propagandamitteln» wie auch das «Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen» mit bis zu drei Jahren Haft oder einer Geldstrafe geahndet werden.
Für junge Menschen wird Jugendstrafrecht angewandt. Es gilt für Täter von 14 bis 17 Jahren. Für junge Erwachsene, die in ihrer Entwicklung verzögert und Jugendlichen vergleichbar sind, kann ein Gericht auch im Alter bis 20 das Jugendstrafrecht anwenden. Dort steht der Erziehungsgedanke im Vordergrund. Es sieht zunächst Weisungen oder Auflagen vor, die erzieherisch wirken sollen. Das können gemeinnützige Arbeit oder ein sozialer Trainingskurs sein. Diese Sanktionen kommen auch bei Propagandadelikten infrage, insbesondere wenn der Jugendliche erstmals straffällig wird.
Im Fokus der Strafgesetze stehen Zeichen, die für eine Partei oder Vereinigung mit verfassungswidriger Gesinnung typisch sind: wie Fahnen, Abzeichen und Parolen. Zu den bekanntesten verbotenen Symbolen und Grußformen gehören hierzulande das Hakenkreuz und der auf Augenhöhe erhobene gestreckte rechte Arm, der sogenannte Hitlergruß.
Werden im Nationalsozialismus adaptierte und instrumentalisierte Zeichen – wie die aus dem Germanischen stammenden Runen – in ihrer ursprünglichen Bedeutung verwendet, muss dies keine Strafe nach sich ziehen. Unbedenklich ist es, wenn rechtsextreme «Propagandamittel» zur Aufklärung über das NS-Regime eingesetzt werden, der Kunst, Satire oder Wissenschaft dienen.
Der Gesetzgeber hat aber nicht nur das Arsenal der Nazi-Propaganda im Blick: Auch Symbole verbotener islamistischer Organisationen zum Beispiel dürfen in Deutschland nicht verbreitet werden.
Das Jugendstrafrecht gilt für Täter im Alter von 14 bis 17 Jahren. Für junge Erwachsene, die in ihrer Entwicklung verzögert und Jugendlichen vergleichbar sind, kann ein Gericht auch im Alter von 18 bis 20 Jahren das Jugendstrafrecht anwenden. Das Gesetz spricht hier von Heranwachsenden. Im Jugendstrafrecht steht der Erziehungsgedanke im Vordergrund. Es sieht zunächst Weisungen oder Auflagen vor, die erzieherisch auf junge Straffällige einwirken sollen. Das können etwa gemeinnützige Arbeitsstunden oder ein sozialer Trainingskurs sein. Diese Sanktionen kommen auch bei Propagandadelikten infrage, insbesondere wenn der Jugendliche erstmals straffällig wird.
Hakenkreuz im Klassenzimmer: Wie Rechtsextremismus Schulen verunsichert