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Debatte um den Sportunterricht: Trägt Völkerball dazu bei, schwächere Schüler zu demütigen? Forscher sprechen von „Mobbing“

BERLIN. Fördert das im Sportunterricht übliche Völkerballspiel Mobbing? Kanadische Forscher um die  Bildungswissenschaftlerin Joy Butler haben im Rahmen einer Studie Schüler zu Dodgeball – einer international verbreiteten Variante – befragt und sind laut „Spiegel online“ zu erschreckenden Ergebnissen gekommen: Insbesondere von schwächeren Kindern und Jugendlichen wird das Spiel als „unterdrückend“ und „entmenschlichend“ wahrgenommen. „Die Botschaft des Spiels lautet: Es ist okay, andere zu verletzen“, so erklärte Butler laut Bericht.

Alle gegen einen: Ist Völkerball (oder hier: Dodgeball) von der Grundidee her ungeeignet für den Sportunterricht? Foto: chewonki_mcs/Flickr (CC BY 2.0)

Beim Völkerball spielen zwei Mannschaften gegeneinander mit dem Ziel, die Spieler des gegnerischen Teams mit dem Ball zu treffen („abzuwerfen“), sodass sie der Reihe nach ausgeschaltet werden. Tatsächlich lässt schon die Herkunft des Spiels  erahnen, dass die Grundidee pädagogisch problematisch sein könnte. Das Völkerballspiel sei aus einem rituellen Kriegsspiel entstanden, heißt es auf „Wikipedia“.

“Der Ball ist die Angriffswaffe”

„Der ursprüngliche Spielgedanke symbolisiert die Schlacht zwischen zwei Völkern, die sich unter ihren Königen in einem Vernichtungskrieg gegenüberstehen. Die abgegrenzten Spielfelder (der Kampfplatz) sind die Territorien. Der Ball ist die Angriffswaffe. Jeder Treffer eines gegnerischen Spielers markiert einen Gefallenen, der aus dem Spielgeschehen ausscheiden muss. Als Gegenwehr stehen den Verteidigern nur das Ausweichen vor den Schüssen oder das Auffangen und damit Unschädlichmachen des Schusses zur Verfügung. Damit verändert sich der Schlachtablauf, indem die Verteidiger zu den Angreifern werden, bis der Ball wieder verloren geht. Das Spiel (die Schlacht) endet mit der vollständigen Vernichtung eines der beiden Völker“, so heißt es.

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Das sehr alte Parteienspiel zeige sich unter dieser kriegerischen Grundidee bei verschiedenen Urvölkern noch heute verbreitet. Wissenschaftler hätten „das Ausarten eines zunächst friedlichen Spiels bei den Papua in Neuguinea zu einer handgreiflichen, mit Prügeln und Dreschflegeln ausgetragenen blutigen Stammesfehde, nachdem sich die Verlierer durch den Spott und Hohn der Sieger gedemütigt sahen“, beschrieben. „Das als Völkerschlacht oder Gemetzel bezeichnete rituelle Spiel verwandelte sich in wenigen Minuten über ein Hämespiel zu einem ernsthaften Stammeskrieg (tribe-war).“

Noch bei Friedrich Ludwig Jahn, dem Schöpfer der deutschen Turnbewegung (1778–1852), habe das von ihm als Turnspiel bezeichnete Völkerballspiel einen eindeutig wehrertüchtigenden Charakter. Erst in heutiger Zeit und im westlichen Kulturkreis hätten sich die Spielregeln unter pädagogischen Gesichtspunkten gewandelt, etwa in der Form, dass sich abgeschossene Spieler vom Spielfeldrand aus durch einen eigenen Treffer wieder ins aktive Feldgeschehen zurückbringen konnten. Der symbolische kriegerische Hintergrund sei den Akteuren heute in der Regel nicht mehr bewusst, heißt es.

Meidinger: Man kann nicht alles Unangenehme aus Schule entfernen

Körperlich schwächere Schüler empfinden die spielerische Menschenjagd aber offenbar häufig als demütigend. „Völkerball ist gleichzusetzen mit legalisiertem Mobbing“, sagt auch Wissenschaftlerin Butler. Dabei solle Sportunterricht doch dazu beitragen, auch weniger bewegliche Kinder und Jugendliche an Sport heranzutragen. Von der „Bild“-Zeitung befragt, zeigt Heinz-Peter Meidinger (64), Präsident des Deutschen Lehrerverbandes und Direktor eines bayerischen Gymnasiums, wenig Verständnis für die Debatte. Man könne nicht alle unangenehmen Dinge aus der Schule entfernen, so zitiert ihn das Blatt. Denn dann werde man eines nicht erreichen: „Die Kinder darauf vorbereiten, in der späteren Berufs- und Lebenswelt zu bestehen.“

Der  Anti-Mobbing-Coach Carsten Stahl, der in Schulen Kurse für mehr Sozialkompetenz gibt, sieht das allerdings anders. „Völkerball ist eine akzeptierte Form des Mobbings, bei dem einer in der Mitte steht, und alle dreschen auf ihn ein. Und später tut das Opfer genau das Gleiche, vom anderen Spielfeldrand aus, um selbst nicht wieder zum Opfer zu werden“, so zitiert ihn „Bild“. Für Stahl beginnE Mobbing sogar schon früher – nämlich beim Wählen der Mannschaften, wo die Schwächsten am Ende allein und ungewählt am Rand stünden. News4teachers

Der Beitrag wird auch auf der Facebook-Seite von News4teachers diskutiert.

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