BERLIN. Die Ergebnisse des IQB-Bildungstrends – des Nachfolgers des PISA-Bundesländervergleichs – haben unlängst für Wirbel gesorgt. Alles in allem haben sich die Leistungen der getesteten Neuntklässler in Deutschland gegenüber 2012 in den MINT-Fächern nicht verschlechtert. Das ist angesichts einer zunehmenden Heterogenität in den Klassenzimmern, bedingt durch Inklusion und Zuwanderung, keine Selbstverständlichkeit (News4teachers berichtete). Der genauere Blick zeigt allerdings: Manche Bundesländer kommen damit offenbar besser zurecht als andere. Unser Gastautor, der Psychologe und Bildungsforscher Prof. Dr. Rainer Dollase, sieht in den Ergebnissen einen Beleg dafür, dass klar gegliederte Schulsysteme besser geeignet sind, Anfangsunterschiede auszugleichen.
Von Sachsen, Bayern, Thüringen und Sachsen-Anhalt lernen, heißt siegen lernen – die Ergebnisse des IQB-Bildungstrends 2018
Von Prof. Dr. Rainer Dollase
An Bildungsberichten und -rankings herrscht in Deutschland seit Beginn der 2000er Jahre kein Mangel mehr: Die OECD, das DIPF, die Bertelsmann Stiftung oder auch das IQB in Berlin (Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen) versorgen die deutsche Öffentlichkeit in regelmäßigen Abständen mit Bildungs – Vergleichsstudien.
Interessant daran ist, welche Ergebnisse das Licht der Schlagzeilen erblickt. Die eigentliche Sensation des letzten Bildungstrends 2018 (2019 publiziert) des IQB ist die immer ähnliche Reihenfolge unserer Spitzenländer, die sich vom Rest signifikant und in allen möglichen Indikatoren, absetzen – die wurde so gut wie nie erwähnt.
Deshalb hier die Reihenfolgen nur der in den einzelnen Testen signifikant besten Länder:
- Mathematik Globalskala: 1. Sachsen 2. Bayern 3. Thüringen
- Biologie Fachwissen: 1. Sachsen 2. Thüringen 3. Bayern 4. Sachsen-Anhalt
- Biologie Erkenntnisgewinn: 1. Sachsen 2. Bayern 3. Thüringen
- Chemie Fachwissen: 1. Sachsen 2. Bayern 3. Thüringen
- Chemie Erkenntnisgewinn: 1. Sachsen 2. Thüringen 3. Bayern 4. Sachsen-Anhalt
- Physik Fachwissen: 1. Sachsen 2. Bayern 3. Thüringen 4. Sachsen-Anhalt
- Physik Erkenntnisgewinn: 1. Sachsen 2. Bayern 3. Thüringen 4. Sachsen-Anhalt
Gewonnen wurden diese Erkenntnisse mit einer Stichprobe von 44.941 SchülerInnen (9.Klässler), die in einem mehrstündigen Test die entsprechenden vom IQB konstruierten Fragebögen (hunderte Aufgaben) beantwortet haben. (Die Erhebung wurde von der International Association for the Evaluation of Educational Achievement, IEA Hamburg, durchgeführt). Die Tests enthalten Aufgaben zu den verschiedenen Bereichen, sind also keine Meinungsumfragen und geben auch nicht die Noten der Lehrkräfte wieder. Es sind „harte“ Testresultate – echte Kompetenzen. Die schweren Aufgaben kann ich persönlich nur mit Vorbereitung und Hilfe lösen.
Wir verschwenden ganz kurz einen Blick auf die in allen Tests typischen Verlierer: Da ist immer Berlin, Bremen und Hamburg dabei, auch schon mal NRW, Saarland, Hessen oder Schleswig-Holstein. Die anderen Bundesländer liegen im Mittelfeld und unterscheiden sich voneinander kaum, d.h. nicht signifikant.
Spitzenländer in der naturwissenschaftlichen Bildung
Überraschend an diesen Reihenfolgen ist also die mediale Nichtberücksichtigung der Sieger-Länder, die arroganterweise öfter schon mal als „Dunkeldeutschland“ (rechtspopulistisch, konservativ, rückständig) zusammengefasst werden. So als gönne man es den konservativen Ländereien in der Bundesrepublik nicht, dass ausgerechnet sie ein modernes und leistungsfähiges Schulsystem haben. Möglicherweise möchten Berichterstatter solcher Ergebnisse ihre Leser*innen vor kognitiven Inkonsistenzen bewahren bzw. deren pubertäre Intoleranz gegenüber ambivalenten Informationen bedienen. Was schlecht ist, kann ja nicht irgendwo positiv sein. Nicht wahr?Tatsache ist, das ausgerechnet diese Länder in den für ein Industrieland zentralen MINT-fächern optimal abschneiden – aber in der öffentlichen Meinung so nicht präsentiert werden.
Es hilft nichts: Bayern, Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt sind Spitzenländer in der naturwissenschaftlichen Bildung und eine Gratulation ist angebracht. Und wenn man denn gemäß des „Best-Practice“ Prinzip etwas lernen möchte, dann sollte man den Ländern auf den letzten Plätzen empfehlen, mal in den entsprechenden Schulministerien der Sieger-Länder zu hospitieren und zu lernen, wie man erfolgreiche Schul- und Bildungspolitik macht.
Nun zum weniger ärgerlichen Teil der Rezeption des Bildungstrends 2018. Es ist völlig verständlich, dass sich die Lehrerverbände, allen voran der Philologenverband auch in den Länder-Untergliederungen und auch insgesamt kritisch zu den Ergebnissen bzw. mehr zu den Fehlinterpretationen der Ergebnisse geäußert hat (News4teachers berichtete). Natürlich spielt der Umgang mit dem Lehrermangel, die Überbürokratisierung, die Selbstherrlichkeit von Schulaufsicht und Schuladministration, die den Schulen die Zeitsouveränität und den Gestaltungswillen austreiben, für das ein oder andere durchschnittliche oder miserable Resultat eine Rolle.
Die fehlende Ursachensicherheit ist das Hauptproblem solcher Rankings und das wird von den vier Herausgebern/innen (Petra Stanat, Stefan Schipolowski, Nicole Mahler, Sebastian Weirich, Sofie Henschel – alle haben Psychologie studiert), auch ohne weiteres erkannt. Sie bieten außer der Ranking Information auch noch kriteriale Vergleiche und Trendvergleiche (zur Erhebung 2012) als mögliche Quellen für Ideen zur Verbesserung der Schul- und Bildungspolitik an.
Denn: Kausal belastbar ist eine solche Studie nicht, d. h. man kann daraus nicht lernen, wie man einen besseren Unterricht macht, man kann es nur vermuten. So wurde gleichzeitig – mithilfe von Befragungen von Schülern, Eltern und Lehrern – herausgefunden, dass etwa der Unterricht in Sachsen durch deutlich weniger Störungen, durch hohe Strukturiertheit und eine hohe kognitive Aktivierung im Unterschied zu Verlierer-Ländern ausgezeichnet ist.
Es wird Zeit, mehr praxisnahe Forschung für besseren Unterricht zu betreiben
In keinem Fall kann man aber aus den Ergebnissen zwingend ableiten, welche Schul- und Bildungspolitik nun im Lande erfolgreich wäre – es gibt Hinweise, aber die Tatsache, dass nach so vielen Jahren der regelmäßigen Bildungsberichterstattung die Ergebnisse nicht rasant besser werden, zeigt, dass der Beitrag der Outputsteuerung zur Qualitätssteigerung unzureichend ist. Die Länder stochern im Nebel und baden in Vermutungen, was helfen könnte. Sie sind unsicher, ob sie die wirklich falschen Maßnahmen abschaffen und die wirklich richtigen ergreifen. Es wird Zeit, dass mehr Gewicht und Geld auf besseren Input und mehr praxisnahe Forschung (action research) für den besseren Unterricht gelegt wird. Daraus ergeben sich dann auch die guten schulpolitischen Maßnahmen.
Man muss also die Outputsteuerung, die Kompetenzorientierung, die im Bildungstrend 2018 auf Geheiß der KMK geprüft wird, nicht mögen bzw. sie für einen falschen Weg halten, der hinsichtlich der Qualitätsverbesserung exakt durch diese Studie desavouiert wird. Aber dennoch sind in Umrissen erfolgreiche Wege für ein erfolgreiches Schulsystem zu erkennen: die Siegerländer haben meinen Erfahrungen nach im Vergleich zu den Verliererländern ein eher pragmatisches Verhältnis zum Unterricht. Dort muss etwas gelernt werden – die Lehrkraft ist Experte/in und verfügt über das Wissen und die Fähigkeit, den Schülern und Schülerinnen auch komplexe und komplizierte Sachverhalte interessant zu vermitteln. Was anderes hat bislang keine empirische Forschung herausgefunden.
Da die Frage, wodurch die guten Ergebnisse der immer gleichen Siegerländer in Mathematik und Naturwissenschaften erreicht werden, eine offene Frage ist, sollte man vielleicht mal etwas gründlicher und ungewöhnlicher darüber nachdenken.
In einem Talkshowunterricht kann keine wirkliche Qualität entstehen
Die einfachsten Gedanken wären: Die Siegerländer haben schlauere Schüler/innen und die Lehrkräfte machen einen konventionellen und deshalb besseren Unterricht. In einem solchen Unterricht lernt man mehr. Bei der Betrachtung moderner Unterrichtsreformen in den Westländern fiel vor Jahren schon auf, das die „mündliche Mitarbeit“ also das Melden im Unterricht und die Beiträge zum Unterricht notenrelevant sind. Das ist in Sieger-Ländern kaum der Fall bzw. es ist streng geregelt, damit eine individuelle Zurechnung der Leistung auch tatsächlich möglich ist – was bei der Bewertung der mündlichen Mitarbeit nur selten objektiv ist. In einem Talkshowunterricht kann keine wirkliche Qualität entstehen.
Auch muss man wirklich darüber nachdenken, warum in Bayern mit dem gegliederten Schulsystem der Sozialgradient keinesfalls so miserabel ist – eher im Gegenteil eher günstig, also gerechter – wie auch andere Untersuchungen gezeigt haben. Ein gegliedertes System ist am besten geeignet, um Anfangsunterschiede auszugleichen. Bei einer solchen These fallen viele meiner KollegInnen sofort in Ohnmacht. Ein Meinungsterror der a priori finalen Besserwisser ist aber dort, wo man sowieso nicht genau weiß, was die finale Wahrheit ist, absolut dumm und unangemessen. Deswegen sollte man sich keine gedanklichen Verbote auferlegen, wenn es um die Ursachensuche für die Dominanz im naturwissenschaftlichen Unterricht von Bayern, Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt geht.
Dr. Rainer Dollase war bis zu seiner Emeritierung im Jahr 2008 Professor in der Abteilung Psychologie und am Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld. Die Vorschulerziehung stellte dabei einen seiner Arbeits- und Veröffentlichungsschwerpunkte dar. Später hat er sich einen Namen in der G8/G9-Debatte gemacht – als wortgewaltiger Gegner des Turbo-Abiturs. Dollase war Mitglied des Teams “Schule und Kultur” der nordrhein-westfälischen CDU im Vorfeld der Landtagswahl im Mai.
Der Beitrag wird auch auf der Facebook-Seite von News4teachers diskutiert.
IQB-Bildungstrend: Bildungsforscherin identifiziert drei Handlungsfelder