BERLIN. Am Wochenende resümierten Experten bei einer Tagung 15 Jahre Ganztagsschulforschung. Bietet die Ganztagsschule tatsächlich – wie erhofft – Lösungen für die schulischen Probleme in Deutschland? Der Bericht eines Forschungskonsortiums offenbart Licht und Schatten.
Der Ausbau der Ganztagsschulen in Deutschland schreitet voran. Lag der Anteil an Ganztagsschulen an allen schulischen Verwaltungseinheiten im Jahr 2005 noch bei 28 Prozent, sind nach aktuellen Zahlen der KMK knapp zwei Drittel aller Schulen in Deutschland ganztägig organisiert.
Seit 2005 untersucht im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung ein Forschungskonsortium die Entwicklung der Ganztagsschulen. Aktuell liegen Ergebnisse der dritten Schulleitungsbefragung vor, die von März bis Mai 2018 stattgefunden hat. An der bundesweiten Online-Befragung haben insgesamt 1.355 Schulleitungen von Ganztagsschulen (Grundschulen, Schulen der Sekundarstufe I (ohne Gymnasien) und Gymnasien) teilgenommen. Der Bericht des Konsortiums unter Federführung des DIPF, Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation liest sich beinahe wie ein Loblied der Ganztagsbetreuung.
“Die Ganztagsschule bietet eine verlässliche Betreuung”
Die Ganztagsschule bilde demnach eine zentrale Grundlage für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Neun von zehn der befragten Grundschulen böten an mindestens vier Tagen pro Woche einen Ganztagsbetrieb an, was auch auf die Mehrheit der Schulen in der Sekundarstufe zuträfe. Die Öffnungszeiten umfassten im Schnitt rund acht Stunden. Ganztagsgrundschulen, die mit einem Hort kooperieren, hätten sogar mehr als neuneinhalb Stunden geöffnet. Der Bericht bestätige damit, so die Forscher, „dass Ganztagsschulen eine verlässliche Betreuung von Kindern anbieten und damit ihre grundlegende sozial- und familienpolitische Funktion erfüllen.“
Allerdings ergäben sich besonders zu Ferienzeiten Engpässe. Zwar gebe es an der Mehrheit der Grundschulen eine Ferienbetreuung, aber die Ferienzeiten würden nicht komplett abgedeckt. Vor allem an Grundschulen fehlten außerdem noch Ganztagsplätze: An 17 Prozent dieser Schulen übersteige die Zahl der Anmeldungen das Platzangebot, auch wenn dieser Anteil gegenüber den vorherigen Befragungen gesunken sei.
DIPF-Vorstand Eckhard Klieme bezieht Ergebnisse gar auf den im Koalitionsvertrag der Bundesregierung vereinbarten Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder ab 2025: „Der Rechtsanspruch ist ein konsequenter und wichtiger Schritt für die weitere Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Er ist auch ein ambitionierter Schritt – gerade wenn man das Potenzial der Ganztagsschule für bessere Bildung in unserem Land voll erschließen will.“
Fast alle Ganztagsschulen machten sportliche (mehr als 95 Prozent) und musisch-kulturelle (mehr als 90 Prozent) Angebote. Lernunterstützung stünden ebenfalls im Fokus. Mehr als zwei Drittel der Schulen böten beispielsweise Hausaufgabenbetreuung oder spezifische Fördermaßnahmen an. Einige Angebote würden jedoch im Vergleich zu den früheren Erhebungen an weniger Schulen durchgeführt. Auffallend sei etwa der Rückgang bei den Angeboten zu Neuen Medien gewesen – um mehr als zehn Prozentpunkte gegenüber 2012. Dennoch gebe es an Ganztagsschulen nach wie vor vielfältige außerunterrichtliche Bildungsmöglichkeiten, die auch Kindern aus sozial benachteiligten Familien offenstünden.
Eltern müssen nach wie vor zahlen – vor allem für das Mittagessen
Noch immer sei die Teilnahme am Ganztagsbetrieb für Eltern mit Kosten verbunden. Das Mittagessen sei nach wie vor fast durchgehend kostenpflichtig und teurer als etwa an den Mensen von Hochschulen. Zumindest sei der Anteil der Grundschulen, die generelle Beiträge verlangen, auf knapp die Hälfte zurückgegangen und schulübergreifend fallen seltener Beiträge für einzelne Angebote. Dennoch betonen die Autoren: „Wer für breite Teilhabe und Chancengleichheit sorgen möchte, sollte auch die finanzielle Belastung von Eltern überdenken.“
An der überwiegenden Mehrzahl der Schulen sei aber eine Teilnahme am Ganztag freiwillig. Das Modell des offenen Ganztags scheine sich etabliert zu haben. Zugleich zeige der Bericht, dass an diesen weniger verpflichtenden Ganztagsschulen seltener Maßnahmen zur Weiterentwicklung des Ganztags, etwa Fortbildungen, stattfänden. Auch werden die pädagogischen Möglichkeiten nach wie vor nicht ausgeschöpft: Die Erweiterung der Lernkultur gehöre nur an etwa zwei Dritteln der Grundschulen und der Schulen der Sekundarstufe I sowie an ungefähr der Hälfte der Gymnasien zum Ganztagskonzept.
Weniger als die Hälfte der Grundschulen und nur ein Drittel der Schulen der Sekundarstufe I sähen in ihrem Konzept vor, Inklusion und Integration gezielt durch den Ganztag zu unterstützen. An Gymnasien waren es sogar nur elf Prozent. Zudem seien die Räume an den Schulen häufig nicht barrierefrei, und weniger als die Hälfte der Schulleitungen habe angegeben, eine für Integration und Inklusion geeignete Ausstattung zu haben.
Lehrer unterstützen die Weiterentwicklung des Ganztags oft nicht
Als mit Abstand größtes Problem für die Weiterentwicklung ihrer Ganztagsschulen nannten die Leitungen die Rekrutierung von geeignetem zusätzlichem Personal. Verbesserungsbedarf bestehe zudem bei der Kooperation zwischen dem Lehrerkollegium und den zusätzlichen Fachkräften. Ein Viertel aller Leitungen der Grundschulen habe sogar angegeben, dass die Lehrkräfte die Weiterentwicklung des Ganztags nicht unterstützten. An den Schulen der Sekundarstufe I inklusive der Gymnasien falle dieser Anteil mit einem Drittel noch höher aus.
„Wenn das Ziel einer qualitativ hochwertigen Bildung und Förderung an den Ganztagsschulen weiterhin verfolgt werden soll, muss das Augenmerk verstärkt auf die pädagogische Schulentwicklung und die multiprofessionelle Zusammenarbeit gelegt werden“, resümiert das Konsortium. Eckhard Klieme ergänzt: „Ein Rechtsanspruch auf ganztägige Betreuung sollte mit einer hohen Bildungsqualität verknüpft sein – im Unterricht genau wie in den außerunterrichtlichen Angeboten.“ (zab, pm)
• Der Bericht steht auf der Webseite zum StEG-Projekt zum kostenlosen Download zur Verfügung
Der Beitrag wird auch auf der Facebook-Seite von News4teachers diskutiert.
Debatte um die Ganztagsschule: Kommen und Gehen, wann Eltern wollen?
