BERLIN. Auch wenn die Schulen zur Zeit geschlossen sind, die grundsätzlichen Probleme sind deshalb nicht erledigt. Wenn der Unterricht irgendwann weitergeht, wird es immer noch heißen: Wir haben zu wenig Lehrer. Die Lage hat sich sogar noch einmal verschärft – wie eine aktuelle Umfrage unter Schulleitungen im Auftrag des VBE belegt. „Was wir sehen, ist äußerst alarmierend. Die Antworten zeigen in beeindruckender Weise, wie die wachsende Belastung der Schulleitung sie sukzessive demotiviert“, so erklärt VBE-Bundesvorsitzender Udo Beckmann.
Über das Thema Lehrermangel wird seit Jahren in Deutschland diskutiert. Eine repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa an 1300 allgemeinbildenden Schulen, die im Januar und Februar noch vor der Corona-Krise gemacht wurde, zeigt nun: Das Fehlen von Pädagogen stellt immer mehr Einrichtungen vor Probleme.
BEFRAGT WURDEN SCHULLEITERINNEN UND SCHULLEITER
Und von denen sagen 59 Prozent, sie haben an ihrer eigenen Schule konkret mit Lehrermangel zu kämpfen. Eine deutliche Steigerung: 2019 waren es noch 50 Prozent, 2018 nur 36 Prozent, die das sagten. Besonders betroffen sind Haupt-, Real- und Gesamtschulen. Hier beklagen 72 Prozent der Schulleiter einen Mangel an Lehrkräften an ihrer Schule. Dahinter folgen die Grundschulen (50 Prozent) und Gymnasien (40 Prozent). Als Hauptgrund wird wie auch in den Vorjahren angegeben, dass es zahlenmäßig zu wenige Bewerber gibt.
DIE GRÖSSTEN PROBLEME AN DEN SCHULEN
Die Schulleiterinnen und Schulleiter nennen hier nach dem Lehrermangel spontan am häufigsten die Arbeitsbelastung und den Zeitmangel (36 Prozent) – eine Verdopplung gegenüber 2019. Häufig genannt wurden außerdem Probleme, die durch Inklusion und Integration auftreten, Probleme mit Eltern, mit der Bildungspolitik, den Behörden und mit der Ausstattung und dem Zustand der Schulgebäude.
ZUFRIEDENHEIT DER SCHULLEITER MIT IHREM JOB SINKT
2019 gaben noch fast alle Befragten (96 Prozent) an, ihren Beruf «eher gerne» oder «sehr gerne» auszuüben. Nun sind es noch 89 Prozent. Abwärts ging es vor allem im «sehr-gerne»-Bereich (minus 16 Prozent). Weniger Schulleiter würden ihren Job inzwischen weiterempfehlen. Der Chef des VBE, der diese Befragung jährlich durchführt, Udo Beckmann, sagt: «Unter steigender Belastung können Schulleitungen ihren Aufgaben nicht mehr so häufig gerecht werden, verlieren an Motivation und fühlen sich weniger unterstützt.»
Die drei größten Herausforderungen sind für die Schulleitungen mit Zustimmungswerten über 80 Prozent das stetig wachsende Aufgabenspektrum, die steigenden Verwaltungsarbeiten und dass die Politik bei ihren Entscheidungen den tatsächlichen Schulalltag nicht beachtet. 76 Prozent der Schulleitungen sehen die Überlastung des Kollegiums als Belastungsfaktor an und genauso viele verwehren sich gegen die Anspruchshaltung, dass die Schule alle gesellschaftlichen Probleme lösen soll. Hinzu kommt der Mangel an Ressourcen, Vorbereitung und Fortbildung.
IMMER MEHR QUEREINSTEIGER
An mehr als jeder zweiten Schule (53 Prozent) gibt es inzwischen Beschäftigte, die «keine vorhergehende Lehramtsqualifikation erworben» haben. 2018 gab es das nur an gut jeder dritten Schule (37 Prozent) und 2019 an 45 Prozent der Schulen. Der VBE kritisiert die Entwicklung: Als Notmaßnahme gegen den Lehrermangel sei das nachvollziehbar, sagt Beckmann. «Gleichermaßen muss uns erlaubt sein, auf die oftmals fehlende Vorqualifizierung und die mangelhafte berufsbegleitende Weiterqualifizierung hinzuweisen.» Gut jede dritte Schule habe angegeben, dass die Seiteneinsteiger keines von beidem nachweisen konnten. «Ein nach wie vor unverantwortlicher Zustand – sowohl für diejenigen, die meist motiviert und mit ihrem anderen beruflichen Hintergrund als Seiteneinsteigende in die Schulen kommen, als auch für die Kinder.»
SCHULDIGITALISIERUNG
Ein Thema, über das in der Corona-Krise besonders diskutiert wird, allerdings geht es jetzt mehr um die Fähigkeit der Schulen, Lehrer und Schüler zu vernetzen und Bildungsinhalte online anzubieten. Das wurde in der Umfrage nicht erhoben. Hier ging es um die technische Ausstattung in den Schulen selbst. Gut jede dritte Schulleitung gab an, dass es an ihrer Einrichtung für einzelne Klassen komplette Sätze an Tablets oder Smartphones gibt. Ebenso viele Schulen haben in allen Klassen- und Fachräumen Zugang zu schnellem Internet und WLAN. Die Mittel aus dem milliardenschweren «Digitalpakt Schule», über den der Bund Geld zur Anschaffung von Geräten bereitstellt, fließen bisher nur langsam, was aber auch daran liegt, dass die Regeln zur Antragsstellung in manchen Bundesländern noch nicht lange vorliegen. Mehr als die Hälfte aller Schulleiterinnen und Schulleiter (56 Prozent) hat immerhin nach eigenen Angaben schon einen Antrag zur Förderung ihrer Schule mit Mitteln aus dem Digitalpakt gestellt.
Passiert ist aber wenig: Der Anteil der Schulen, die über Klassen- und Fachräume mit Breitbandinternet und WLAN verfügen, hat sich seit letztem Jahr nicht verändert (36 Prozent). Auch die Zahl der Schulen mit Klassensätzen digitaler Endgeräte hat sich nicht deutlich erhöht (plus 3 Prozent auf 37 Prozent).
Beckmann erklärt: „Positiv ist, dass fast die Hälfte der Schulleitungen angibt, dass mindestens die Hälfte bis alle Lehrkräfte bereits an Fortbildungen zum Thema ‚Digitalisierung‘ teilgenommen haben. Zudem gibt fast ein Drittel der Schulleitungen an, dass sich Lehrkräfte ihrer Schule in informellen Netzwerken zusammenschließen. Das zeigt die hohe Bereitschaft, sich selbst im Privaten noch auszutauschen, darf aber gleichzeitig nicht zum Maß der Dinge werden. Wichtiger ist, dass qualitativ hochwertige und quantitativ ausreichende Fortbildungen innerhalb der Dienstzeit wahrgenommen werden können.“
WÜNSCHE DER SCHULLEITUNGEN
Um mit der Aufgabenfülle besser umgehen zu können, votieren über 80 Prozent der Schulleitungen für mehr Anrechnungsstunden zur Erfüllung besonderer Aufgaben, für eine bessere personelle Ausstattung mit pädagogischen Fachkräften und für eine Erhöhung der Leitungszeiten bei allen Schulen. Außerdem finden knapp drei Viertel der Schulleitungen eine gesicherte Stellvertretungsregelung und die erweiterte Schulleitung für wichtig.
Dazu stellt VBE-Chef Beckmann fest: „Wie in jedem anderen Bereich gilt auch für Schulleitung, dass Verantwortung besser getragen werden kann, wenn sie sich auf mehreren Schultern verteilt und projektbezogen weitere Expertise hinzugenommen werden kann. Dafür braucht es dann Möglichkeiten, dies aber auch finanziell wertzuschätzen.“
Die Forderungen, die der VBE aus der Umfrage ableitet, lauten:
- Entlastung der Schulleitungen von Aufgaben, auch durch Verwaltungsfachkräfte (ohne sie jedoch auf Lehrerstellen anzurechnen),
- Unterstützung durch Schulleitungsteams und finanziellen Anreizen für alle jene, die hier Verantwortung übernehmen,
- Ermöglichen, multiprofessionelle Teams zu etablieren, was sowohl Lehrkräfte als auch Schulleitung entlastet,
- Orientierung am Schulalltag bei politischen Entscheidungen und
- adäquate Unterstützung von Schulleitungen mit aktuellen Informationen zu allen Entscheidungen, die umzusetzen sind.