BERLIN. Ab morgen nehmen bundesweit die Grundschulen zunächst mit den letzten Grundschulklassen ihren Betrieb wieder auf. Wie es dann weitergeht, ist offen – erst am Mittwoch wollen Bund und Länder über ein Konzept beraten, das die Kultusministerkonferenz vorgelegt hat. Der Grundschulverband sieht „sich akut zuspitzende Problemlagen“ in den Grundschulen, für die dringend Lösungen gefunden werden müssen. Eins davon: Kinder, die im nächsten Schuljahr eingeschult werden, fehlt die sonst übliche Vorbereitung. Ein weiteres: Kinder aus bildungsfernen Familien verlieren im Fernunterricht den Anschluss.
Projekte zwischen Kindergärten und Grundschulen, die den Übergang in die Grundschule erleichtern sollen, ruhen derzeit. Zudem wurden an vielen Schulen die ärztlichen Eingangsuntersuchungen abgesagt. Die Grundschulen stehen damit vor neuen Herausforderungen, worauf die Vorsitzende des Grundschulverbandes Niedersachsen, Eva-Maria Osterhues-Bruns, hinwies. Ihr zufolge wird bei der medizinischen Vorschuluntersuchung unter anderem das Hören und Sehen getestet. Auch wenn die Lehrerinnen und Lehrer sensibel auf die Kinder eingehen und beim Schulstart genau auf mögliche Schwierigkeiten achten – für medizinische Diagnosen seien sie nicht ausgebildet.
Schwierig ist ihr zufolge auch, dass sich die künftigen Grundschüler nicht in gewohnter Weise von ihren Kindergärten verabschieden können. „Für die Kindergartenkinder ist der Übergang etwas Besonderes“, sagte Osterhues-Bruns. „Normalerweise besuchen Vorschulkinder die Schulen, es gibt bestimmte Rituale wie eine Übernachtung oder ein Schultütenfest.“ Auch für die Lehrkräfte sei es von Vorteil, die künftigen Schulkinder vorab kennenzulernen. „In den letzten Jahren hat sich das breit etabliert.“ Heißt also: Die fehlende Vorbereitung wird den künftigen Erstklässlern den Start erschweren.
Präsenzzeiten für förderbedürftige Kinder anbieten
Auch im Hinblick darauf, Kinder aus sozial schwächeren Familien zu fördern, sieht der Grundschulverband wachsenden Nachholbedarf. „Die Verantwortung der Kultusminister/innen der Länder ist es nicht nur, dem Gesundheitsschutz für Schulkinder und Lehrkräfte gerecht zu werden. Hinzu kommt die dringende Notwendigkeit, bessere Lernbedingungen für Kinder zu ermöglichen, die zuhause weder einen Arbeitsplatz noch die erforderliche Ausstattung und Ruhe für ihr Lernen haben“, so heißt es in einer Erklärung, die der Grundschulverband in dieser Woche herausgegeben hat.
Der Verband fordert deshalb: „In den Grundschulen müssen genügend Präsenzplätze für Kinder angeboten werden, deren Eltern alleinerziehend sind oder die aufgrund ihrer beruflichen Anforderungen die Betreuungsaufgaben nicht länger ausreichend leisten können.“ Der Grundschulverband empfiehlt zudem, die schrittweise Öffnung der Grundschulen nicht jahrgangsgebunden zu gestalten. Dabei könnten die Grundschulen auf ihre Erfahrungen mit jahrgangsübergreifenden Lerngruppen, individualisierten Lernformen und inklusivem Unterricht zurückgreifen und diese für das Lernen in heterogenen Lerngruppen nutzen.
Pädagogisches Konzept gefordert
Überhaupt: Der Grundschulverband sieht die Notwendigkeit, die schrittweisen Öffnungen der Grundschulen mit einem pädagogischen Konzept zu unterlegen. Dieses müsse unter anderem folgende Aspekte beinhalten:
- Ein kontinuierlicher Kontakt zwischen Kindern und Schule, der auch das Lernen zuhause besser unterstützen kann, muss gesichert werden.
- Raumkapazitäten und die Abstands- und Hygieneanforderungen erfordern kleinere Lerngruppen von maximal 8 bis 10 Kindern.
- Eine feste Zuordnung der Lehrkräfte zu jeweils einer Lerngruppe muss trotz des Lehrermangels umgesetzt werden, damit sowohl die Anzahl der Kontakte minimiert als auch verlässlich überschaubar gehalten wird, falls es zu Ansteckungen kommen sollte.
- Eine einseitige Priorisierung von Unterricht in Deutsch und Mathematik wird vermieden. Gerade während der Krise muss das besondere Potenzial der ästhetischen Bildung genutzt werden. Krisenbedingten Einschränkungen muss mit einem Mindestmaß an Möglichkeiten der ästhetischen Auseinandersetzung und Gestaltung begegnet werden. Musisch-künstlerische, forschende und sportliche Anforderungen und Vorhaben sind gerade in dieser Zeit wichtig.
- Klassenarbeiten, „Proben“ und Zeugnisse sind in der bisherigen Form bis zum Schuljahresende auszusetzen. Zeugnisse in der bisherigen Form zum Jahresende entbehren angesichts der Situation jeglicher pädagogischer Legitimation. An die Stelle von Noten können Berichte der Lehrer/innen als Rückmeldeform an die Schülerinnen und Schüler treten. Schüler/innen und Eltern sollten das Recht haben, die Berichte zu kommentieren und zu ergänzen. So entsteht ein lebendiger Dialog aller Beteiligten, der Selbstreflexion und Selbstwirksamkeit ermöglicht und die derzeitige krisenhafte Situation, insbesondere die häuslichen Situationen, berücksichtigen hilft.
Die Kultusminister haben sich im Kern auf drei Eckpunkte verständigt: Eine schrittweise Rückkehr zum Präsenzunterricht wird angestrebt. Regulären Schulunterricht wird es bis zu den Sommerferien nicht mehr geben. Der Schulbesuch soll für wechselnde Lerngruppen tageweise oder im Wochenrhythmus organisiert werden (hier berichtet News4teachers ausführlich über das Konzept). Der Grundschulverband meint dazu: „Diese Ausgangslage lässt Vieles offen und ermöglicht sowohl bundeslandbezogene als auch schulform- und schulstandortbezogene Lösungen. Das ist auch zwingend erforderlich, denn die Erfahrungen aus der Zeit der Schulschließungen zeigen eindeutig, dass Konzepte des Wiedereinstiegs auf das Alter der Kinder und damit auf altersbezogene Bedürfnisse ausgerichtet sein müssen.“ News4teachers / mit Material der dpa