BERLIN. Sämtliche Hoffnungen auf ein Ende der Corona-Krise hängen mit der Entwicklung eines Impfstoffs gegen das Virus zusammen. Obwohl der noch längst nicht in Sicht ist, marschieren Impfgegner bereits auf. Mittendrin: die AfD. Tatsächlich hat sich Baden-Württembergs Kultusministerin bereits für eine Impfpflicht ausgesprochen. Das Beispiel Masern zeigt, dass Freiwilligkeit beim Impfen an Grenzen stoßen kann.
Mit Transparenten wie „Gegen Mundschutz-Pflicht“ und „Nein zur Zwangsimpfung“ waren Hunderte Menschen erschienen. Immer wieder skandierte die Menge „Wir sind das Volk“. Teilnehmer gaben sich als Anhänger von Verschwörungstheorien zu erkennen: „Über meinen Körper bestimme ich und nicht Bill Gates“ war etwa auf einem der Schilder zu lesen. Über seine Stiftung finanziert Bill Gates die Forschung an einem Corona-Impfstoff mit.
Demonstrationen ohne Abstand – mit Kindern
So, wie gestern in Nürnberg gegen die Beschränkungen in der Corona-Krise und gegen „Zwangsimpfungen“ demonstriert wurde, gingen bundesweit mehrere Tausend Menschen auf die Straße, um gegen die aus ihrer Sicht zu strikten Infektionsschutzmaßnahmen zu demonstrieren – häufig ohne den Mindestabstand einzuhalten und ohne Mundschutz. Auch in Köln. „Ein Großteil der Demonstranten hat Unbeteiligte mehrfach dazu aufgefordert, den Mundschutz abzunehmen und ohne Maske die Geschäfte zu betreten. Dafür haben wir absolut kein Verständnis”, erklärte der Kölner Polizeipräsident Uwe Jacob. Auch Kinder waren unter den Teilnehmern. „Ich kann nachvollziehen, dass die momentane Ausnahmesituation nicht leicht zu bewältigen ist”, sagte der Polizeipräsident weiter. „Aber gezielt seine Gesundheit, die seiner Kinder und die Gesundheit unbeteiligter Menschen zu gefährden, macht es nicht besser.“
Aktuell wird versucht, Stimmung zu machen. Eine Petition will erreichen, dass „Zwangsimpfungen gesetzlich untersagt werden“. Zur Begründung wird angeführt: „Wir wollen wissen woraus die Impfstoffe zusammengesetzt sind, da es zum Teil nicht einmal die Ärzte ganz genau wissen und sie uns keine genaue Beschreibung darüber liefern können. Da die Pharmaindustrien keine Angaben über die Inhaltsstoffe machen, sollten wir uns dafür einsetzen, diese Angaben zu erhalten.“ Weiter heißt es: „Bei einem Tetanusimpfstoff in Kenia aus dem Jahre 2014 wurde seitens der katholischen Kirche vermutet, dass sich hinter einer Kampagne zur Impfung gegen Tetanus ein Programm zur heimlichen Sterilisierung von Frauen verbergen könnte. Um so etwas beweisen zu können, müsste man den Impfstoff jedoch von unabhängigen und anerkannten Gutachtern im Labor untersuchen lassen.“
Die Andeutung einer Verschwörung reicht offenbar aus, um zu verfangen: Die Petition wurde bereits von knapp 270.000 Menschen unterzeichnet.
Vorneweg bei solchen Protesten: die AfD. „Die AfD positioniert sich klar gegen derlei Verpflichtungen und setzt auf die Vernunft der Menschen – ganz im Gegensatz zur Bundesregierung und den Landesregierungen, die die Bürger drangsalieren und bevormunden wollen“, erklärt Stephan Brandner, stellvertretender Bundessprecher der Alternative für Deutschland. Die in Teilen rechtsradikale Partei sieht (so ein Statement von Fraktionschefin Alice Weidel) in Deutschland „totalitäre Betrebungen“, die Corona-Krise „zur Schaffung eines Überwachungsstaats zu missbrauchen und die Exekutive auf Kosten von Bürgerrechten zu stärken“.
Söder und Eisenmann hatten sich für Impfpflicht ausgesprochen
Tatsächlich hatten sich Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) und Baden-Württembergs Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) für eine mögliche Pflicht zur Corona-Schutzimpfung ausgesprochen. „Für eine Impfpflicht wäre ich sehr offen“, sagte Söder (um wenig später zu versichern, dass diese kaum nötig sein werde – die allermeisten Menschen würden sich sicher freiwillig impfen lassen). „Für den Fall, dass ein verträglicher und wirksamer Impfstoff in ausreichender Menge zur Verfügung steht, würde ich eine generelle Impfpflicht gegen das Coronavirus befürworten“, erklärte Eisenmann.
Dass eine Kultusministerin – und damit die Verantwortliche für Schulen und Kitas in ihrem Land – diese Position vertritt, hat gute Gründe, wie das Beispiel Masern zeigt. Masern sind hochansteckend und gefährlich. Und noch immer gibt es die Krankheit in Deutschland, weil sich nicht genug Menschen freiwillig impfen lassen. Immer wieder gab es Masern-Ausbrüche an Kitas und Schulen, die daraufhin geschlossen werden mussten.
Impfquote bei Masern: nur 73,9 Prozent
„Die bundesweite Impfquote für die von der Ständigen Impfkommission (STIKO) empfohlene zweite Masernschutzimpfung bei Kindern im Alter von 24 Monaten liegt nur bei 73,9 Prozent. Für eine erfolgreiche Eliminierung der Masern sind mindestens 95 Prozent nötig. Dies bedeutet für die betroffenen Kinder ein erhöhtes Erkrankungsrisiko“, so heißt es beim Bundesgesundheitsministerium. Die Konsequenz: die zum 1. März 2020 erlassene Masern-Impfpflicht. Eltern müssen nun vor der Aufnahme nachweisen, dass ihre Kinder geimpft sind. Für Kinder, die schon zur Kita oder zur Schule gehen, muss der Nachweis bis zum 31. Juli 2021 erfolgen. Bei Verstößen drohen bis zu 2500 Euro Bußgeld.
„Damit soll der Impfschutz dort erhöht werden, wo eine Masernübertragung sehr schnell stattfinden kann, wenn nicht genügend Personen gegen Masern immun sind“, so schreibt das Bundesgesundheitsministerium. „In Gemeinschaftseinrichtungen wie Kindergärten und Schulen sollen vor allem Personen geschützt werden, die nicht selbst gegen Masern geimpft werden können. Sie sind darauf angewiesen, dass sich andere solidarisch verhalten und sich impfen lassen.“ Das betrifft etwa Menschen mit geschwächter Immunabwehr, mit Allergien oder Schwangere.
Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht gegen Masern-Impfpflicht
Ob die Masern-Impfpflicht allerdings Bestand hat, ist offen. Vertreter mehrerer Familien mit Kleinkindern haben beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe Eilanträge und Verfassungsbeschwerden gegen das Gesetz zur Masern-Impfpflicht abgegeben. Sie wenden sich nicht gegen die Impfungen an sich, sondern gegen den Zwang, der eine selbstbestimmte Entscheidung auf der Basis „sachgerechter, unabhängiger und neutraler Informationen“ nicht mehr zulasse. „Wir sehen das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit der Kinder, das Erziehungsrecht der Eltern und Gleichheitsgrundsätze verletzt“, sagte einer ihrer Verfahrensbevollmächtigten, der Bayreuther Staatsrechtler Stephan Rixen. Die Eltern werden von der „Initiative freie Impfentscheidung“ und dem Verein „Ärzte für individuelle Impfentscheidung e. V.“ unterstützt. Wann das Bundesverfassungsgericht über die Eilanträge und die Verfassungsbeschwerden entscheidet, ist noch nicht absehbar.
Klar scheint allerdings: Sollte die Masern-Impfpflicht von Karlsruhe gekippt werden, wird es auch keine Corona-Impfpflicht geben – mit der Aussicht, dass die Epidemie in Deutschland sich noch lange weiter ausbreiten kann. In Deutschland gibt es nach Großbritannien die meisten strikten Impfgegner, wie eine europäische Vergleichsstudie dem Wissenschaftsmagazin „Scinexx“ zufolge ergab. Rund drei Prozent der Eltern hierzulande lehnen demnach jede Impfung ihrer Kinder ab – egal gegen welche Krankheit. Das sind rund 350.000 Familien. News4teachers
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GEW: Verwaltungsaufwand um die Masern-Impfpflicht sorgt für Ärger in den Schulen
