BERLIN. Angehende Lehrkräfte benötigen in diesem Jahr vor allem eins: starke Nerven. Sowohl das Lehramtsstudium wie auch der schulpraktische Teil der Ausbildung leiden unter der Coronakrise und ihren Folgen. Auch für die Ausbilder, das macht der Verband bak Lehrerbildung deutlich, ist die aktuelle Situation schwierig. Unterrichtshospitationen – eigentlich der Kern des Referendariats – fallen aus. Die unzureichend ausgebauten digitalen Kanäle können den persönlichen Kontakt nicht ersetzen.
Kann zum neuen Schuljahr nur ein Bruchteil derjenigen, die ihr erstes Staatsexamen dann bereits absolviert haben, auch tatsächlich das anschließende Referendariat aufnehmen? Diese offene Frage besorgt Betroffene derzeit in Bayern. Zum Schuljahresbeginn werde von vielen Kandidaten kein Ergebnis vorliegen, weil die Prüfungen verschoben und dadurch die Korrekturzeiträume drastisch verkürzt worden seien, so fürchtet der Referendar- und Jungphilologenvertretung im Philologenverband – und es gilt nunmal: Ohne Ergebnis wird kein Kandidat zum Referendariat zugelassen.
Auch bei Referendaren läuft nicht alles rund
Im benachbarten Baden-Württemberg gibt es unterdessen Krach, weil das Kultusministerium kurzfristig neue – zeitnahe – Termine für die Abschlussprüfungen der Lehramts-Studierenden angesetzt hatte. Auch wenn den Kandidaten angeboten wurde, ihre Prüfungen ohne Nachteil auch auf den nächsten Durchgang im Herbst verschieben zu können, löste die Ankündigung, so die Landesastenkonferenz (LAK), „Unsicherheit, Angst bis hin zu Panik“ bei Betroffenen aus. Schließlich bringe ein um ein halbes Jahr nach hinten gerückter Prüfungstermin so manche Studienplanung ins Wanken. Ohnehin sei die Vorbereitung aufgrund der Corona-Beschränkungen extrem beeinträchtigt worden: Die LAK klagt über geschlossene Uni-Bibliotheken und die Unmöglichkeit, Lerngruppen zu bilden.
Auch bei denjenigen, die schon als Referendare – dem schulpraktischen Teil der Lehrkräfteausbildung – an Schulen beschäftigt sind, läuft bei weitem nicht alles rund, wie Helmut Klaßen, Bundesvorsitzender des Bundesarbeitskreises (bak) Lehrerbildung, gegenüber News4teachers berichtet. Sein Verband, in dem bundesweit Lehrerausbilder und -ausbilderinnen organisiert sind, sieht mit Sorge, dass sich seit Wochen die Ausbildung der Lehramtsanwärter auf das reduziert, was im Home-Office umsetzbar ist – ohne persönlichen Kontakt und vor allem ohne die wichtigen Unterrichtshospitationen.
Ausbildungsveranstaltungen finden online statt. Ausbildungsberatungen werden verschoben oder werden telefonisch oder per Videokonferenzen abgewickelt. Dabei kommt unterschiedlichste Software zum Einsatz – mal diese, mal jene. „In der Regel geschieht dies leider ohne technische Einweisung und vor allem ohne eine didaktische Reflexion zum Fernunterricht. Es wird halt ausprobiert, was geht. In einigen Ländern läuft es recht gut, in anderen eher nicht“, stellt Klaaßen fest.
Hohes Engagement der Ausbilder und Anwärter – aber…
Insgesamt sei ein sehr hohes Engagement der betroffenen Ausbilder und Anwärter zu erkennen, sich einzuarbeiten und einzubringen, sodass es trotz der widrigen Umstände zu guten Arbeitsergebnissen kommen kann. Gleichwohl bestehe das Problem, dass es „viel zu wenig Austausch unter den Kolleginnen und Kollegen gibt. Wer macht was wie? Die kollegiale Reflexion fehlt“, beklagt der bak-Bundesvorsitzende. Ergebnis: „Die didaktische Aufbereitung kommt zu kurz und bleibt auf der Strecke.“ Klaßen fordert von den Bundesländern, umgehend eine angemessene Infrastruktur zu schaffen, damit die Kommunikation verlässlich und strukturiert laufen kann – und er fordert, die Lehrerausbilder angemessen darin einzuarbeiten.
Die Bundesländer haben im Rahmen der Kultusministerkonferenz vereinbart, ihre aktuelle schulpraktische Lehrerausbildung samt Prüfungen gegenseitig anzuerkennen. Der Hintergrund: Die Kultusminister konnten sich nicht darauf einigen, wie sie in der Corona-Krise mit den Referendaren umgehen sollen. „Trotz sehr unterschiedlicher Prüfungsformate der einzelnen Bundesländer zeichnet sich im aktuellen Prüfungsdurchgang überwiegend ein einheitlicher Trend ab“, so berichtet Klaßen. „Abweichen von der eigentlichen gültigen Prüfungsordnung wird jeweils in Kauf genommen. Unterrichtspraktische Prüfungen im laufenden Prüfungsdurchgang werden in unterschiedlichen Szenarien ohne praktisch umgesetzten Unterricht geprüft, wobei die schriftliche Planung den Fokus setzt.“
Diese „Notlösung“, so Klaßen, ermöglicht es zwar, dass auch Angehörige von Risikogruppen an Prüfungen teilnehmen können. Probleme bereitet sie aber ebenfalls – auf Seiten der Ausbilderinnen und Ausbilder. Denn, so Klaaßen: „Organisatorisch ist es eine Herausforderung, wenn Hunderte von unterrichtspraktischen Prüfungen als Ersatzleistungen innerhalb von wenigen Wochen zu planen sind.“ Sein Fazit: „Die Stimmung ist insgesamt angespannt.“
Lehramtsstudierende bekommen einen “Freischuss”
Das gilt auf allen Seiten. Eine Gruppe von Lehramts-Studierenden, die sich „Ihre zukünftigen Lehrerinnen und Lehrer in Bayern“ nennt, hat sich in einem offenen Brief an Kultusminister Michael Piazolo (Freie Wähler) gewandt und sich darüber beschwert, dass „wir in der momentanen Ausnahmesituation genauso behandelt werden, als gäbe es keine Pandemie“. Stattdessen fordern sie Sonderregeln. So solle den Prüflingen „mindestens die Note gegeben werden, die zum Bestehen des Ersten Staatsexamens erforderlich ist“ sowie die Möglichkeit der Notenverbesserung am folgenden Prüfungstermin.
Piazolo hat umgehend reagiert: „Es ist mir wichtig, dass unsere angehenden Lehrerinnen und Lehrer durch diese Ausnahmesituation nicht unnötig unter Druck geraten“, sagte er – und räumte den Studierenden wenigstens einen „Freischuss“ ein: Jeder, der in diesem Jahr durch die Prüfungen zum ersten Staatsexamen fällt, darf sie ohne weitere Konsequenzen wiederholen. News4teachers
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