BERLIN. Die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Katrin Göring-Eckardt, hat der Bundesregierung schwere Versäumnisse bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie vorgeworfen. In einem am Sonntag veröffentlichten Schreiben an Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) beklagte Göring-Eckardt: «Auch ein halbes Jahr nach Beginn der Corona-Krise in Deutschland mit schmerzhaften Erfahrungen von Kita- und Schulschließungen und unkontrollierten Ausbrüchen in Corona-Hotspots fehlen klare, bundesweit einheitliche Regeln und ein verständliches Konzept.» Die Grünen-Politikerin fügte hinzu: «Das ist an Fahrlässigkeit kaum zu überbieten.» Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) sprach sich derweil für eine bundesweite Maskenpflicht an den Schulen aus.

Die Bundesregierung habe wichtige Zeit verloren und es nicht geschafft, die Bundesländer zusammenzuhalten und für einheitliche Regeln zu sorgen, so Göring-Eckardt.
Mit Blick auf den anstehenden Schulstart in mehreren Bundesländern warnte sie, für viele Eltern drohe eine neue, kaum noch tragbare Belastung, falls im Herbst Kitas und Schulen im schlimmsten Fall wieder geschlossen werden müssten. Es bestehe «akuter Handlungsbedarf». Göring-Eckardt forderte einen «Notfallplan» für eine Schul-Digitaloffensive. So sollten Geldern aus dem Digitalpakt unbürokratisch genutzt werden können. Lehrkräfte müssten Trainingsangebote erhalten sowie dienstliche Digitalgeräte, Kinder kostenlose Leihgeräte für den Fernunterricht. Der Bund sollte für Heimunterricht zudem eine Eltern-Lehrer-Hotline mit Digitalcoaches einrichten.
Bund soll verbindliche Pandemie-Schutzpläne vorlegen
Göring-Eckardt verlangte ferner einheitliche Regeln für den Umgang mit Corona-Hotspots. Derzeit gebe es im ganzen Land eine besorgniserregende Zunahme der Infektionszahlen, ohne dass die kritische Schwelle von 50 Infizierten auf 100.000 Einwohner überschritten werde. Die Bundesregierung müsse bis September zusammen mit den Ländern verbindliche Pandemieschutzpläne vorlegen, forderte die Grünen-Fraktionschefin. Nötig sei zu dem ein verbindliches Konzept für bundesweite Corona-Tests.
Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) hat sich unterdessen für eine Maskenpflicht in Schulgebäuden ausgesprochen. Es sei zwar nachvollziehbar, «wenn Länder auf Abstandsregeln in den Schulen verzichten wollen, weil die räumlichen Bedingungen ansonsten nur eingeschränkt Präsenzunterricht zulassen würden», sagte sie der «Welt am Sonntag». «Dennoch wird der Präsenzunterricht nur dann funktionieren können, wenn weitere Regelungen zur Hygiene, zum Tragen von Schutzmasken sowie zum Abstandhalten auf dem Schulhof und auf den Fluren strikt eingehalten werden.»
Mehrere Bundesländer wie Berlin, Bayern, Niedersachsen und Baden-Württemberg haben bereits angekündigt, im Kampf gegen das Coronavirus eine Maskenpflicht in Schulgebäuden einzuführen. Sie soll allerdings nicht im Unterricht gelten. In anderen Ländern wie etwa Nordrhein-Westfalen ist von freiwilligen Maskengeboten die Rede, oder es liegt – wie in Hessen oder Sachsen – im Ermessen der Schulen.
An diesem Montag startet Mecklenburg-Vorpommern als erstes Bundesland ins neue Schuljahr. Hamburg folgt am Donnerstag. In der Woche darauf geht es in Berlin, Brandenburg, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein los. Trotz der Corona-Pandemie sollen die Schulen nach den Ferien in den Regelbetrieb zurückkehren.
“Höchste Zeit, die Belange der Kinder nach vorne zu rücken”
Die Bildungsminister der Länder zeigten sich optimistisch, dass der Regelbetrieb unter Pandemiebedingungen gelingen kann. «Tourismus, Restaurants und sogar Fitnessstudios sind längst wieder geöffnet, ohne große Probleme», sagt die mecklenburg-vorpommerische Bildungsministerin Bettina Martin (SPD) der «Welt am Sonntag». «Es ist höchste Zeit, die Belange der Kinder nach vorne zu rücken.»
Auch Hamburgs Bildungssenator Ties Rabe (SPD) dringt auf Normalität. «Die Monate vor den Sommerferien waren noch zu verkraften, weitere Unterrichtsausfallzeiten sind es nicht», sagte er dem Blatt. Nordrhein-Westfalens Bildungsministerin Yvonne Gebauer (FDP) erklärte: «Der Präsenzunterricht ist und bleibt für unsere Schülerinnen und Schüler die beste Form des Lernens – und für unsere Lehrerinnen und Lehrer der beste Arbeitsplatz.»
Ähnlich äußerte sich ihre schleswig-holsteinische Kollegin Karin Prien (CDU): «Präsenzunterricht hat für uns Priorität, und wenn das Pandemiegeschehen Schulschließungen wieder notwendig machen sollte, dann regional und zeitlich begrenzt und nicht flächendeckend wie im vergangenen Schuljahr.» News4teachers / mit Material der dpa
