BERLIN. Berlin hat als erstes Bundesland angekündigt, CO2-Messgeräte für Klassenräume anzuschaffen. Sie sollen Lehrern künftig erkennen helfen, wann es Zeit zum Lüften ist. Die GEW begrüßt das. Warum kommt die Ankündigung aber so spät? Bereits Mitte Juli – noch vor dem Beschluss des Senats, die Schulen ohne Abstand und Maske zu öffnen –, war Beate Stoffers, Staatssekretärin von Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD), ausdrücklich auf die Gefahr durch Corona-belastete Aerosole hingewiesen worden. Immerhin: Auch der Einsatz von Luftreinigern in Berliner Schulen ist jetzt im Gespräch.
Lüften sei während der Corona-Pandemie wichtig, heißt es seitens der Bildungsverwaltung. Frische Luft senke das Risiko, sich mit dem Covid-19-Virus zu infizieren. «Wenn der CO2-Gehalt in der Raumluft steigt, verfärbt sich die Anzeige von Grün über Gelb auf Rot», erklärt Martin Klesmann, Sprecher der Senatsbildungsverwaltung, den Lesern der «Berliner Morgenpost». Spätestens bei Gelb-Rot sollten die Fenster geöffnet werden, möglichst auch die Tür, damit Durchzug entsteht.
Kosten und Anzahl der Geräte, die jede Schule bekommen soll – sind offen
Offenbar ist bei der Bildungsverwaltung mit dem herannahenden Herbst die Erkenntnis gereift, dass es draußen zunehmend kalt wird – und deshalb die Wahrscheinlichkeit sinkt, dass die Fenster in Schulen regelmäßig geöffnet werden. Die Kohlendioxid-Messgeräte sind den Angaben zufolge kaum größer als ein Wecker. Die Anschaffung laufe über die Senatsbildungsverwaltung. Kosten und Anzahl der Geräte, die jede Schule bekommen soll, sind noch offen. Bis zur Anschaffung und Verteilung der Geräte werden also noch Wochen vergehen. Laut Bildungsverwaltung bekommt auch nicht jeder Klassenraum ein eigenes CO2-Messgerät; infrage kämen etwa besonders große Lerngruppen oder Räume, die sich schlecht lüften lassen.
Pikant zudem: Der Hinweis, dass CO2-Messgeräte helfen könnten, die Gefahr durch Corona-belastete Aerosole in Klassenräumen zu senken, stammt von Martin Kriegel, Professor an der TU Berlin und Leiter des Hermann-Rietschel-Instituts für Energietechnik, der mit einer Studie zur Verteilung von Aerosolen in geschlossenen Räumen für Aufsehen sorgte. Und Kriegel hatte Bildungsstaatssekretärin Beate Stoffers bereits im Juli vor der Gefahr durch Aerosole insbesondere im Herbst gewarnt.
Fünf Minuten Klassenraum-Fenster öffnen? Reicht auf keinen Fall
Fünf Minuten lang ein Fenster offen stehen zu lassen, wie es in vielen Unterrichtsräumen wohl bei kühlen Außentemperaturen praktiziert werde, reichen nämlich auf gar keinen Fall – sagt Kriegel. „Durchzug beschleunigt den Prozess. Geht Lüften nur einseitig, dauert es länger. Es müssten mindestens 10 bis 15 Minuten nach einer Schulstunde gelüftet werden. Aber mit voll aufgerissenen Fenstern und leerem Klassenzimmer!“ Am besten wären dem Wissenschaftler zufolge dauerhaft geöffnete Fenster, das aber sei spätestens im Herbst unrealistisch. Den Professor beunruhigt, dass der Musterhygieneplan keine genauen Lüftungszeiten nennt: „Die meisten Leute haben keine Ahnung, wie lange es dauert, bis wirklich die gesamte Raumluft ausgetauscht ist“, sagt er. „Die denken, es sei vollständig gelüftet, sobald es kalt wird oder die Luft frisch riecht. Aber das stimmt nicht.“ (Hier geht es zu einem umfassenden Beitrag über Kriegels Erkenntnisse.)
Weil es keine einfache Möglichkeit gibt, Aerosole im Raum zu messen, empfiehlt Kriegel in Klassenzimmern den Einsatz von CO2-Messgeräten – als Notlösung. Eigentlich hält er den Regelbetrieb an Schulen, wie er derzeit durchgeführt wird, für kaum verantwortbar. „Ich verstehe die Entscheidung nicht, auf Masken und Abstand zu verzichten.“ Stoffers gegenüber habe er dringend davon abgeraten – ohne Erfolg. Der Forscher betont: „Es kann Regelbetrieb in Schulen geben, aber nicht unter den alten Bedingungen. Die aktuellen Vorgaben finde ich nicht gut umgesetzt. Ein erster Schritt wären längere Pausen, um mehr lüften zu können.”
GEW: CO2-Ampel am besten für jedes Klassenzimmer
Tom Erdmann, Vorsitzender der Berliner GEW, begrüßt gleichwohl den Einsatz der Geräte. «Ich halte das für eine gangbare Möglichkeit», sagt er. Aber besser wäre natürlich, sie in größerer Anzahl zu haben, «am besten in jedem Klassenzimmer». Landeselternsprecher Norman Heise schätzt das ähnlich ein: «Warum kann man das nicht flächendeckend machen?»
Der Einsatz von Luftreinigern mit Filtern in Klassenräumen, wie er in mehreren Bundesländern diskutiert wird, soll jetzt in Berlin wenigstens getestet werden. An einigen Berliner Schulen startet nach Angaben der Bildungsverwaltung ein Pilotprojekt mit Hepa-Filtern, die auch Viren aus der Luft entfernen sollen. Wie effektiv das sei, müsse überprüft werden, sagt der Sprecher der Senatsverwaltung. Die Zahl der belastbaren Studien zu dem Thema sei überschaubar.
Ein Team vom Institut für Strömungsmechanik und Aerodynamik an der Universität der Bundeswehr München hatte einen Raumluftreiniger untersucht, mit dessen Filterkombination selbst sehr kleine Aerosol-Partikel zu 99,995 Prozent aus der Raumluft abgeschieden werden. In einem 80 Quadratmeter großen Raum könne die Aerosolkonzentration in sechs Minuten halbiert werden. Weil die Aerosole rausgefiltert werden, würden die Geräte auch nicht zur Virenschleuder, hielten die Forscher fest. Sie empfehlen Raumluftreiniger ausdrücklich für Schulen. (News4teachers berichtete über die Studie – hier geht es zu dem Beitrag.) News4teachers / mit Material der dpa