DÜSSELDORF. Wie herzlos ist das? Eine Schülerin muss auch dann während der Corona-Pandemie am Präsenzunterricht teilnehmen, wenn ihr Vater an Vorerkrankungen leidet. Das hat das Düsseldorfer Verwaltungsgericht am Dienstag entschieden und mitgeteilt. Einen Eilantrag der Schülerin auf Befreiung vom Präsenzunterricht lehnten die Richter ab (Az.: 18 L 2278/20).
Die Antragstellerin (deren Alter nicht mitgeteilt wurde) habe nicht ausreichend belegt, dass das Gesundheitsrisiko für ihren Vater im Fall einer Covid-19-Infektion so groß sei, dass ihr Distanzunterricht erteilt werden müsse. Die vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen seien nicht aussagekräftig genug, befanden die Richter. Der Präsenzunterricht habe mit Blick auf den staatlichen Bildungs- und Erziehungsauftrag Vorrang vor sogenanntem Distanzunterricht. Durch die vom Gesetzgeber im Schulbereich vorgesehenen Hygiene-Maßnahmen ließen sich Infektionsrisiken auch für Angehörige von Schülern verringern.
Die AHA-Regeln, die außerhalb der Schule gelten, sind im Klassenraum weitgehend ausgesetzt
Wie weltfremd ist das? Besondere Hygiene-Maßnahmen gibt es im Unterricht praktisch nicht. Die AHA-Regeln, die außerhalb der Schule gelten, sind im Klassenraum weitgehend ausgesetzt. Kein Bundesland, auch Nordrhein-Westfalen nicht, beachtet zudem die Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts (RKI) für den Schulbetrieb. Das RKI sieht bereits ab einem Inzidenzwert von 50 für alle Schulen des betroffenen Gebiets eine generelle Maskenpflicht im Unterricht (also auch in Grundschulen) sowie eine Verkleinerung der Lerngruppen vor, damit die Abstandsregel in den Klassenräumen eingehalten werden kann (News4teachers berichtet ausführlich über die Empfehlungen des RKI für den Schulbetrieb – hier geht es hin). In Nordrhein-Westfalen liegt jede Stadt und jeder Landkreis über einem Inzidenzwert von 50, die meisten sogar über 100.
Zudem hatte die nordrhein-westfälische Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) in einem Anflug bemerkenswerter Offenheit bereits im Juli erklärt: „Wir können Menschen nicht davor schützen, an Covid-19 zu erkranken. Vielleicht muss man das auch nochmal sagen: Es wird immer Erkrankungen geben“, sagte sie mit Blick auf die Schulen. „Wir können nur alles dafür tun, dass diese Erkrankungen so glimpflich laufen wie es irgend geht. Dafür haben wir Vorsorge getroffen, dass unsere Gesundheitsämter beziehungsweise unsere Krankenhäuser darauf vorbereitet sind, dass genügend Intensivbetten zur Verfügung stehen, dass genügend Beatmungsgeräte zur Verfügung stehen. Aber wir können nicht alle Menschen schützen.“
Die chronische Erkrankung eines engen Angehörigen reicht nicht, um einen Schüler von der Präsenzpflicht zu entbinden
Zum Schutz vorerkrankter Angehöriger seien zuerst Vorsorgemaßnahmen im betreffenden Haushalt vorzunehmen, urteilten die Düsseldorfer Richter nun. Sie hatten dabei offenbar die entsprechende Richtlinie aus dem Schulministerium im Blick. Darin heißt es: “Sofern eine Schülerin oder ein Schüler mit einem Angehörigen – insbesondere Eltern, Großeltern oder Geschwister – in häuslicher Gemeinschaft lebt und bei diesem Angehörigen eine relevante Erkrankung, bei der eine Infektion mit SARS-Cov-2 ein besonders hohes gesundheitliches Risiko darstellt, besteht, sind vorrangig Maßnahmen der Infektionsprävention innerhalb der häuslichen Gemeinschaft zum Schutz dieser Angehörigen zu treffen.”
Als einzige Möglichkeit, um einen Schüler mit einem besonders gefährdeten Angehörigen vom Präsenzunterricht befreien zu können, benennt das Schulministerium: “wenn sich die oder der Angehörige aufgrund des individuellen Verlaufs ihrer oder seiner Vorerkrankung vorübergehend in einem Zustand erhöhter Vulnerabilität befindet”. Eine chronische Erkrankung reicht also dafür nicht.
Heißt im vorliegenden Fall: Der vorerkrankte Vater soll sich von seiner Tochter zu Hause isolieren. Ob und wie das möglich ist, war offenbar nicht Gegenstand des Verfahrens. Gegen den Beschluss kann noch Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalens in Münster eingelegt werden. News4teachers / mit Material der dpa
