BERLIN. Die Corona-Krise belastet Kitas und Schulen zusehends. Wer Kinder betreut, sollte in der Impf-Rangfolge weiter nach vorne rücken – meinen immer mehr Stimmen aus der Politik. NRW-Familienminister Stamp fordert mit Blick auf die beschränkte Empfehlung des AstraZeneca-Vakzins: «Wenn der Impfstoff gerade für Unter-65-Jährige geeignet ist, sollte eine schnelle Impfung derjenigen erfolgen, die unsere Kinder bilden und betreuen», unterstrich Stamp. Auch Bremen setzt sich für eine Anpassung der Impfempfehlungen der Ständigen Impfkommission an das aktuelle Infektionsgeschehen ein. Beschäftigte in Kitas und gegebenenfalls auch in Schulen sollten einer vorrangigeren Prioritätsstufe zugeordnet werden, heißt es dort. Baden-Württemberg kündigt bereits Konsequenzen an.
Pfiffige Studierende haben einen “Corona-Impfterminrechner” entwickelt. Anhand persönlicher Angaben wie Alter, Beruf und Vorerkrankungen soll er vorhersagen, wo in etwa man sich in der Warteschlange für eine Impfung gerade befindet. Ergebnis für eine fiktive 45-jährige Lehrkraft ohne Vorerkrankungen oder engen Kontakt zu Risikopatienten: „Bei einer Impfrate von 669.998 pro Woche und einer Impf-Bereitschaft von 54%, können Sie erwarten, Ihre erste Impfdosis von 15.8.2021 bis 15.2.2022 zu erhalten. Die zweite Impfdosis sollten Sie dann vom 5.9.2021 bis 8.3.2022 erhalten.“ (Hier geht es zum „Omni-Calculator“). Deutlich wird: Lehrer und Erzieher genießen keine besondere Priorität beim Impfen.
Das soll sich ändern – meinen jedenfalls immer mehr Politiker. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) müsse umgehend mit einer Veränderung der Impf-Reihenfolge auf die erwartete Zulassung durch die EU-Arzneimittelbehörde EMA reagieren, sagte NRW-Familienminister Joachim Stamp (FDP). «So könnte in Schulen, Kitas und Kindertagespflege der Weg zur Normalität erleichtert werden.»
“Lehrer und Erzieher sind ultra-systemrelevante Berufe. Die sollten früher ein Impfangebot bekommen als geplant”
Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner sekundierte: «Bei der Impf-Priorisierung sollten Lehrer und Erzieher vorgezogen werden. Das sind ultra-systemrelevante Berufe. Die sollten früher ein Impfangebot bekommen als geplant» sagte Lindner am Donnerstag dem Fernsehsender phoenix. Dies sei notwendig, um möglichst zeitnah Schulen und Kitas wieder zu öffnen. «Daran hängen die Bildungschancen der Kinder und die Betreuungssituation in den Familien.»
Die GEW begrüßte den Vorstoß. «Wenn Kitas bis zu 80 Prozent belegt sind, stehen die Erzieher*innen unter enormem Druck», stellte die NRW-Landesvorsitzende Maike Finnern fest. Gleiches gelte für Lehrkräfte, wenn die Schulen wieder öffneten. «Impfungen geben Sicherheit.» Klar sei aber auch: «Beschäftigte, die nah am Menschen, in Pflege und medizinischer Versorgung arbeiten, haben natürlich Priorität.»
Warum eigentlich? Auch Erzieherinnen und Erzieher arbeiten nah am Menschen, wie die Caritas München und Oberbayern als Kita-Träger feststellt. Die Caritas fordert eine möglichst rasche Impfung von Beschäftigten in Kindertagesstätten. Momentan seien sie in der Impfreihenfolge der Priorisierungsstufe 3 zugeordnet, kritisierte Gabriele Stark-Angermeier, Vorständin des Caritasverbandes der Erzdiözese München und Freising am Montag in München. Kinderpfleger und -pflegerinnen würden überhaupt nicht gelistet, obwohl sie genauso eng mit Kindern arbeiteten. «Wir sehen eine Anhebung dieser Berufsgruppen in die Prioritätsgruppe 2 als dringend geboten an», verlangte die Expertin.
Laut Caritas geht aus den Statistiken der AOK hervor, dass das Kita-Personal besonders von Krankschreibungen im Zusammenhang mit dem Coronavirus betroffen ist – tatsächlich gibt es keine Berufsgruppe in Deutschland, bei der mehr Corona-Diagnosen gestellt werden, auch bei Gesundheits- und Pflegeberuf nicht, wie eine Erhebung der Krankenkasse (über die News4teachers ausführlich berichtete) aufzeigt. Das belege, so Stark-Angermeier, dass das Infektionsrisiko in den Kitas zumindest erhöht sei. Dennoch gingen die Beschäftigten mitten im Lockdown ihrer Arbeit nach, könnten dabei aber nicht immer Abstand halten, «denn sie wickeln Babys und nehmen Kleinkinder in den Arm, wenn sie sie trösten müssen», berichtete Birgit Weiß aus der Geschäftsleitung der Caritas-Zentren Oberbayern. Die Caritas forderte auch, die Kita-Berufe ebenso als wichtigen Dienst an der Gemeinschaft wertzuschätzen wie die pflegenden Berufe.
In Baden-Württemberg sollen Lehrer und Mitarbeiter der SBBZ bevorzugt geimpft werden
Baden-Württemberg zieht bereits Konsequenzen – allerdings in beschränktem Umfang. Nach anhaltender Kritik am Gesundheitsschutz in Schulen für Kinder mit körperlichen und geistigen Behinderungen werden die Lehrer und Mitarbeiter dieser Einrichtungen früher geimpft. «Die Impfreihenfolge wird sich ändern», kündigte die baden-württembergische Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) am Freitag an. Das Personal der Sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentren (SBBZ) und den entsprechenden Schulkindergärten werde in der Impfstrategie des Landes bevorzugt behandelt und vorgezogen.
Die Mitarbeiter betreuten und pflegten Kinder und Jugendliche mit einem hohen oder sehr hohen Risiko für einen schweren oder tödlichen Krankheitsverlauf nach einer Corona-Infektion, sagte Eisenmann. «Deshalb sollten sie auch bei den Impfungen wie Pflegekräfte in Behinderteneinrichtungen oder Pflegeheimen behandelt werden.»
Bislang war beim Personal an den bereits seit Mitte Januar geöffneten SBBZ die Risikobeurteilung an den Regelschulen zugrunde gelegt worden. Lehrer und Betreuer hatten daraufhin in einer Petition auf die besonderen Umstände an den Einrichtungen aufmerksam gemacht. Sie hatten unter anderem gefordert, die Schulen an SBBZ nur dann zu öffnen, wenn der Gesundheitsschutz gewährleistet ist.
„Für mich spricht einiges dafür, dass Erzieher und Lehrer schneller geimpft werden, als die Pläne es derzeit vorsehen“
«Gerade diese Kinder brauchen Struktur und Grundlagen», verteidigte Eisenmann die Entscheidung am Freitag. Im vergangenen Jahr habe es größte Probleme gerade in diesem Bereich gegeben, sagte sie und verwies auf Rückmeldungen von Eltern. «Es gibt ja keine Präsenzpflicht. Und Notbetreuung wäre sowieso zulässig gewesen.» Die SPD sieht das anders: «Das Versprechen einer höheren Priorität beim Impfen hilft den Mitarbeitern vor Ort aktuell noch überhaupt nicht weiter», sagte deren bildungspolitischer Sprecher Stefan Fulst-Blei. Auch die SBBZ müssten geschlossen werden. «Oder soll der Infektionsschutz bei den verletzlichsten Kindern gar keine Rolle spielen?», fragte der SPD-Politiker.
Abseits dieses Streits sprach sich Eisenmann dafür aus, Lehrer und Erzieher grundsätzlich früher zu impfen. „Für mich spricht einiges dafür, dass Lehrerinnen und Lehrer schneller geimpft werden, als die Pläne es derzeit vorsehen“, sagte Eisenmann der „ Zeit“. Dies gelte gleichermaßen für Erzieherinnen und Erzieher. Mit ihrem Vorstoß stellt sich Eisenmann gegen die Linie der Landesregierung. Sozialminister Manfred Lucha (Grüne) sagte, dass man bei der Impfpriorisierung Lehrern und Erziehern nicht entgegenkommen werde. „Im Augenblick halten wir uns streng an die Vorgaben der Ständigen Impfkommission, da sind die Erzieherinnen nicht in der höchsten Priorität.“ News4teachers / mit Material der dpa
Schulleitungsverband: Lehrer nicht erst „irgendwann im Sommer“ impfen