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Der Luftfilter-Skandal: Wie das Umweltbundesamt den Einsatz der Geräte in Schulen schlechtredet – und was dahintersteckt

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BERLIN. Das Umweltbundesamt liefert aktuell eine kuriose Begründung dafür, dass es den Einsatz von mobilen Luftfiltern in Klassenräumen nicht vorbehaltlos empfiehlt: Die Geräte könnten Menschen (gemeint sind offenbar Lehrkräfte) dazu verführen, sich in falscher Sicherheit zu wiegen – und das Lüften vergessen. Das Bundesbildungsministerium berichtet von gesundheitsgefährdendem Lärm, der durch mobile Luftfilter im Unterricht entstehe. Unsinn, sagen Fachleute. Eine aktuelle Bundestagsanfrage lässt erkennen, was tatsächlich hinter diesen Vorbehalten steckt.

Luftfilter sorgen nachweislich dafür, die Atemluft weitgehend von möglicherweise Corona-belasteten Aerosolen zu befreien. Trotzdem kommen sie in Schulen kaum zum Einsatz. (Symbolbild) Foto: Shutterstock

„Die Maßnahme ‚mobile Luftreinigung als Ergänzung zum Lüften‘ hat positive und negative gesundheitliche Wirkungen“, so heißt es in der aktuellen Leitlinie zum Schulbetrieb in der Corona-Pandemie, die Bundesbildungsministerin Anja Karliczek Anfang des Monats vorstellte. Welche negativen gesundheitlichen Wirkungen denn? Darüber schweigt sich das Papier weitgehend aus.

Festgestellt wird lediglich: „Hohe Kosten bei Anschaffung, Unterhalt, Wartung und Entsorgung. Machbarkeitsprobleme, insbesondere hinsichtlich fachgerechter Installation und Wartung. Beeinträchtigung von Lehrqualität und Bildungserfolg sowie Gesundheit durch Lärm. Ökologisch: hoher Ressourcenverbrauch.“ In Sachen Gesundheit wird (außer Lärm) nur ein – positiver – Effekt angeführt: „Wahrscheinlich positive Wirkung auf den Infektionsschutz.“ Kurz: Viel Schaden, wenig Nutzen.

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Beide Forscherteams geben klare Empfehlungen für den Einsatz von mobilen Luftfiltern in Klassenräumen ab

Das liest sich bei Wissenschaftlern, die zum Thema geforscht haben, jedoch ganz anders. Zwei Studien, in denen unabhängig voneinander der Einsatz von mobilen Luftfiltern in Klassenräumen getestet wurde, kommen zu eindeutigen Ergebnissen. Atmosphärenforscher der Goethe-Universität Frankfurt ermittelten, dass Luftreiniger der Filterklasse HEPA (H13) die Aerosolkonzentration in einem Klassenzimmer in einer halben Stunde um 90 Prozent senken können. Wissenschaftler vom Institut für Strömungsmechanik und Aerodynamik an der Universität der Bundeswehr München hatten zuvor einen Raumluftreiniger untersucht, mit dessen Filterkombination selbst sehr kleine Aerosol-Partikel zu 99,995 Prozent aus der Raumluft abgeschieden werden. Beide Forscherteams geben klare Empfehlungen für den Einsatz von – ausreichend leistungsstarken – mobilen Luftfiltern in Klassenräumen ab.

Gesundheitsgefährdender Lärm? Die Geräte seien sehr leise, weil sie speziell für den Einsatz in Büro- oder Klassenräumen konzipiert worden sind, sagt Prof. Christian Kähler, Leiter der Münchner Studie. Hoher Ressourcenverbrauch? Die Geräte seien im Betrieb deutlich günstiger als das ständige Lüften der Räume – und die damit verbundenen Heizkosten. Fachgerechte Installation? Kähler: „Wenn Sie einen Föhn bedienen können, gelingt Ihnen das damit auch.“ Stecker in die Steckdose, Volumenstrom je nach Raumgröße einstellen, Startknopf drücken – läuft.

Trotzdem zeigt sich auch das Umweltbundesamt (UBA) skeptisch. „Die IRK (gemeint ist die lnnenraumlufthygienekommission des UBA, d. Red.) hält den Einsatz von mobilen Luftreinigern in Klassenräumen (…) für nicht geeignet, da sie das aktive Lüften nicht ersetzen, sondern allenfalls in Einzelfällen flankieren können“, so heißt es mit Datum vom 13. August 2020 – und beantwortet damit eine Frage, die gar nicht gestellt worden war: Niemand wollte wissen, ob mobile Luftreiniger das Lüften ersetzen – interessant war (und ist) vielmehr, ob mobile Luftreiniger Corona-verseuchte Aerosole aus der Atemluft filtern können.

Die Deutsche Physikalische Gesellschaft (DPG) warnt mittlerweile sogar davor, bei der Belüftung von Klassenzimmern nur auf offene Fenster zu setzen. Der Einsatz technischer Geräte zur Belüftung ist nach Ansicht der Fachgesellschaft jeder Art passiver Lüftung durch bloßes Öffnen von Fenster und Türen weit überlegen, da bei der technischen Belüftung der Luftaustausch bzw. die Luftreinigung in kontrollierter Art und Weise geschieht. Bei der momentan empfohlenen passiven Lüftung von Klassenräumen mit Außenluft über die Fenster sei dies in einem typischen Klassenzimmer dagegen nicht zu erreichen, da diese stark von Faktoren wie Wind, Temperatur, Fensteröffnungen oder der Lage der Heizkörper abhänge.

Warum können die Geräte in schlecht belüftbaren Klassenräumen sicher eingesetzt werden – in gut belüftbaren aber nicht?

Und wie steht das Umweltbundesamt dazu? Tatsächlich wird dort seit Kurzem die Wirksamkeit von mobilen Luftfiltern eingeräumt – widerwillig. „Je nach technischer Auslegung (Prinzip; Dimensionierung) sind sie in der Lage, Viren aus der angesaugten Luft zu entfernen bzw. zu inaktivieren“, so heißt es auf der Seite des UBA mit Datum vom 11. Februar 2021. Empfohlen wird Schulträgern die Anschaffung dennoch nur in Ausnahmefällen, nämlich für schlecht belüftbare Klassenräume. „Da mobile Luftreinigungsgeräte jedoch unter anderem kein anfallendes Kohlendioxid und keinen Wasserdampf aus der Raumluft entfernen, sind sie kein Ersatz für die in den Empfehlungen der IRK vom 12.8.2020 beschrieben Lüftungsmaßnahmen.“

Nochmal: Kein Mensch fordert von Lehrkräften, das Lüften einzustellen. Wenn mobile Luftfilter in Klassenräumen nachweislich wirken – und ja jederzeit zusätzlich gelüftet werden kann, um Kohlendioxid und Wasserdampf aus der Atemluft zu entfernen –, warum empfiehlt das Umweltbundesamt den Einsatz der Geräte nicht? Und wieso können die Geräte in schlecht belüftbaren Räumen sicher eingesetzt werden – in gut belüftbaren aber nicht? „Lüften funktioniert nun mal am besten“, sagt UBA-Präsident Dirk Messner unbeirrt gegenüber der Deutschen Presse-Agentur. Und betont: Viele Menschen hofften in der Corona-Pandemie zwar auf technische Lösungen, Luftreiniger könnten aber dazu verführen, sich in falscher Sicherheit zu wiegen.

Im Klartext: Weil Lehrkräfte so dumm sein könnten, das Lüften zu vergessen, wenn ein Luftfilter im Klassenraum läuft, werden die Geräte nicht empfohlen. Das wäre in etwa so, als würde das Kraftfahrt-Bundesamt vom Anschnallen in Autos abraten, weil ein falsches Sicherheitsgefühl die Fahrer zu schnellem Fahren verleiten könnte.

Dass hinter der Weigerung des UBA, mobile Luftfilter vorbehaltlos zu empfehlen, womöglich mehr steckt als rein fachliche Erkenntnisse, vermutet die FDP. Die Bundestagsfraktion der Liberalen hat eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung gerichtet, um Hintergründe zu erfahren – und bekam eine bemerkenswerte Antwort aus dem Bundeswirtschaftsministerium: „Das UBA hat (…) sofort anwendbare Empfehlungen formuliert, deren Umsetzung nicht von der langwierigen, öffentlichen Beschaffung von ggf. sehr kostenintensiven Geräten abhängig ist, die nach der Pandemie unter Umständen nicht mehr benötigt werden. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass das UBA den Einsatz von geeigneten Luftreinigungsgeräten nicht prinzipiell ablehnt.“

Anders ausgedrückt: Nicht die Geräte sind das Problem – die Mühe der Anschaffung und die Kosten sind es, warum in Deutschland auf eine Technik verzichtet wird, die den Schulbetrieb weitgehend sicher machen könnte. Auf rund eine Milliarde Euro wird die Ausstattung aller Klassenräume in Deutschland mit mobilen Luftfiltern geschätzt. Zum Vergleich: Allein für die Rettung der Lufthansa hat die Bundesregierung bereits neun Milliarden Euro ausgegeben.

„Die Wissenschaftler kamen überein, dass der Einsatz solcher Geräte grundsätzlich nicht nötig sei“

Den Einsatz von mobilen Luftfiltern in Schulen schlechtzureden, hat in Deutschland allerdings System. Die Kultusministerkonferenz hatte Ende September mit einer Expertenanhörung auf öffentlichen Druck reagiert, Klassenräume gegen womöglich Corona-belastete Aerosole mit mobilen Luftfilteranlagen auszustatten. Das – angebliche – Ergebnis, verkündet per anschließender Pressemitteilung: „Die Wissenschaftler kamen überein, dass der Einsatz solcher Geräte grundsätzlich nicht nötig sei.“ Diese Darstellung war nach Recherchen von News4teachers allerdings falsch. Der einzige anwesende Wissenschaftler, der zum Thema geforscht hatte (Prof. Kähler), hält den Einsatz von Luftfiltern in Schulen sehr wohl für erforderlich. Und hat das den Kultusministern in der Runde auch so erklärt. Die allerdings – blieben untätig. News4teachers

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Mehr Informationen dazu – gibt es hier.

Studie: Das Risiko, sich über Aerosole mit Corona zu infizieren, ist im Klassenraum extrem hoch – Lauterbach: Luftfilter anschaffen!

 

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