POTSDAM. Mehr als zwei Drittel der Jugendlichen sind mit den Corona-Beschränkungen weitgehend einverstanden; eine Mehrheit sieht auch den Distanzunterricht positiv – die Hälfte will sogar, dass es dieses Lernformat nach der Corona-Krise weiterhin gibt. Dies sind die zentralen Ergebnisse einer Jugendstudie zu den Auswirkungen der Corona-Pandemie, die das Brandenburger Bildungsministerium bei der Universität Potsdam in Auftrag gegeben hatte. «Diese Akzeptanz reicht in Abstufungen vom Distanzunterricht über die Kontaktbeschränkungen bis hin zu den Freizeitmöglichkeiten», sagte Studienleiter Prof. Dietmar Sturzbecher bei der Vorstellung der Ergebnisse.
Die Befragung, die von September bis Dezember lief, richtete sich an Schülerinnen und Schüler ab der 7. Klasse und Auszubildende in Brandenburg. Teilgenommen haben 17.156 Jugendliche. Alle Altersgruppen, Schulformen und Regionen sind in der Erhebung vertreten, deren Ergebnisse damit repräsentativ für das Land sind. Die Studie ist eine Sondererhebung der Zeitreihenstudie „Jugend in Brandenburg“, die das von Sturzbecher geleitete Institut für angewandte Familien-, Kindheits- und Jugendforschung e.V. an der Universität Potsdam (IFK) seit 1991 turnusmäßig durchführt.
Sturzbecher beschreibt “drei Kernbotschaften”, die die aktuelle Studie vermittele: “Erstens gehen mehr als zwei Drittel der brandenburgischen Jugendlichen vorbildlich mit der Corona-Pandemie um; sie kennen und akzeptieren die Corona-Regeln und lehnen zu frühe Lockerungen genauso wie Verschwörungstheorien ab. (…) Zweitens rücken die meisten Familien in der Corona-Zeit auch sozial näher zusammen; viele Eltern unterstützen die Kinder bei Schulproblemen oder Einsamkeit. Drittens bleibt trotz aller Belastungen bei den meisten Jugendlichen der Zukunftsoptimismus ungebrochen!“
Wenn die Jugendlichen verstehen, warum welche Maßnahmen gelockert oder verschärft werden, fühlen sie sich weniger belastet
Überblick über die Ergebnisse in den einzelnen Bereichen:
Lebenszufriedenheit und Zukunftsoptimismus: Die in der Jugendstudie von 2017 festgestellte hohe Zufriedenheit der Jugendlichen mit ihrer Lebenssituation ist von der Corona-Pandemie nicht grundlegend beeinträchtigt worden. Gesunken ist die Zufriedenheit während der Pandemie insbesondere bei Freizeitmöglichkeiten, der Schul- bzw. Ausbildungssituation sowie den Beziehungen zu Freunden und Bekannten.
Familienklima: Fast alle Jugendlichen (2020: 93,6 Prozent; 2017: 94,4 Prozent) berichten, sich „völlig“ oder „teilweise“ auf die Familie verlassen zu können. Jeweils etwa ein Viertel der Jugendlichen hat während der Corona-Pandemie Probleme wie eine schwierige finanzielle Situation oder weniger Arbeit der Eltern erlebt. Offenbar besitzen viele Familien eine hohe Kompetenz, sich erfolgreich mit Belastungen auseinanderzusetzen. 80,6 Prozent der Jugendlichen wurden von beiden leiblichen Eltern noch nie geschlagen (2017: 67,5 Prozent). Von den Jugendlichen, die angeben „oft“ von mindestens einem Elternteil geschlagen zu werden (3,7 Prozent), berichten 35,7 Prozent von einer Zunahme der Gewalt während der Corona-Pandemie; 44,6 Prozent erfuhren eine Abnahme der Gewalt.
Belastung durch Corona-Maßnahmen: Eine deutliche Mehrheit der Jugendlichen stimmt zu, dass das Tragen einer Maske bei der Eindämmung der Corona-Pandemie hilft („stimmt völlig“: 28,4 Prozent; „stimmt teilweise“: 40,3 Prozent) und das Ansteckungsrisiko durch das Treffen vieler Personen erhöht wird („stimmt völlig“: 47,5 Prozent; „stimmt teilweise“: 34,3 Prozent). Ein Fünftel der Jungen und Mädchen fühlt sich vom Abstandsgebot und von den Quarantäneregelungen „sehr stark“ oder „stark“ belastet. Jeder dritte Jugendliche empfindet den Distanzunterricht und Geschäftsschließungen als belastend. Deutlich häufiger fühlen sich die Jugendlichen – insbesondere die Mädchen – vom Kontaktverbot belastet.
Wenn die Jugendlichen verstehen, warum welche Maßnahmen gelockert bzw. verschärft werden, fühlen sie sich weniger belastet. Aber auch ein hohes Verständnis für die Einschränkungen des sozialen Lebens schützt die Betroffenen kaum vor emotionalen Belastungen. Jeweils zwei Drittel der Jungen und Mädchen stimmten der Aussage „Ich würde mich gegen das Corona-Virus impfen lassen, wenn ein Impfstoff zur Verfügung stehen würde“ völlig oder teilweise zu. Jugendliche, die eine Impfung ablehnen (21,2 %), bezweifeln eine schnelle Ausbreitung des Virus, haben keine Angst vor einer Ansteckung und misstrauen stärker dem Gesundheitssystem als andere Jugendliche.
Den Schülerinnen und Schülern fehlten während des Distanzunterrichts insbesondere soziale Aspekte der Schule
Zufriedenheit mit dem Distanzunterricht: Mehr als die Hälfte der Schülerinnen und Schüler stimmt der Aussage „Mir hat der Distanzunterricht gefallen“ zu („stimmt völlig“: 20,5 Prozent; „stimmt teilweise“: 36,4 Prozent; „stimmt kaum“: 21,5 Prozent; „stimmt nicht“: 21,6 Prozent). Knapp die Hälfte der Jugendlichen „hätte gern auch zukünftig Distanzunterricht“. Ältere Jugendliche und insbesondere Auszubildende an beruflichen Schulen (OSZ) bewerten den Distanzunterricht kritischer als andere Jugendliche. Die Schulformen unterscheiden sich zudem hinsichtlich der Art und Weise der Aufgabenverteilung an die Schüler.
Die Lernwirksamkeit des Distanzunterrichts wird – nicht zuletzt von Jugendlichen, die zuhause nicht ungestört lernen konnten – im Vergleich zum Präsenzunterricht als verbesserungsbedürftig eingeschätzt. Insgesamt stimmten rund 60 Prozent der Befragten der Aussage zu, dass ihnen „aufgrund des Distanzunterrichts Lernstoff fehlt“.
Es wurden zu zwei offenen Fragestellungen 11.000 Vorschläge geäußert, wie der verpasste Lernstoff aufgeholt (z. B. fakultativer Zusatzunterricht) und der Distanzunterricht künftig besser gestaltet werden könnten (z. B. vermehrte Nutzung hybrider Unterrichtsformen; Verbesserung der Möglichkeiten zur Kommunikation mit den Lehrkräften; verbesserte Technikausstattung bei Lehrkräften und Schülern). Diese Vorschläge sollen in den kommenden Wochen weiter ausgewertet werden.
Unterstützung beim Distanzunterricht: Den Schülerinnen und Schülern fehlten während des Distanzunterrichts insbesondere soziale Aspekte der Schule („Meine Mitschülerinnen und Mitschüler haben mir gefehlt“). 41,2 Prozent der Jugendlichen fühlten sich während des Distanzunterrichts „oft“ oder „manchmal“ einsam. Vielen Jugendlichen bereitete das selbstständige Bearbeiten der Schulaufgaben „oft“ (14,8 Prozent) oder „manchmal“ (45,9 Prozent) inhaltliche Probleme. Mehr als zwei Drittel der betroffenen Jugendlichen erhielten Hilfe. Hierbei spielten – neben Eltern und Freunden – auch Lehrkräfte eine entscheidende Rolle.
Abgesehen von der Lehrkompetenz und dem Engagement der Lehrkräfte, stellt die technische Ausstattung der Lernenden eine wichtige Voraussetzung für das Gelingen des Distanzunterrichts dar. Technische Probleme beim Distanzunterricht erlebten 30,1 Prozent der Jugendlichen „oft“ oder „manchmal“. Nur 41,8 Prozent der oft oder manchmal Betroffenen erhielten Hilfe. Bei jeweils mehr als 40 Prozent der Betroffenen bezogen sich die Probleme auf die eigene Internetverbindung (44,5 Prozent), die Internetverbindung der Schule (41,2 Prozent) oder Softwarefehler (40,4 Prozent). Etwa ein Fünftel der Jugendlichen mit technischen Problemen hatte keinen Zugriff auf ein benötigtes Gerät (20,6 Prozent).
Akzeptanz von Corona-Maßnahmen: Die Jugendlichen zeigen großes Verständnis für die Maßnahmen zur Pandemie-Bekämpfung. Die meisten Jugendlichen kennen die geltenden Regeln, zwei Drittel verstehen sogar, „warum welche Maßnahmen gelockert wurden oder auch nicht“. Die überwiegende Mehrheit der Jugendlichen zeigt „völlig“ oder „teilweise“ Verständnis im Hinblick auf das Abstandsgebot, die Quarantäneregeln und die Maskenpflicht. Weniger Verständnis herrscht für die Ausgangsbeschränkungen, die Kontaktverbote und die Geschäftsschließungen: Jeweils rund 40 Prozent der Befragten lehnen diese drei Maßnahmen ab.
Viele Jugendliche stellen der Politik während der Corona-Pandemie kein sehr gutes Zeugnis aus – aber…
Zustimmung zu Verschwörungstheorien und Informationsverhalten: Mehr als die Hälfte der Jugendlichen stimmt zu, dass die Politik die Corona-Berichterstattung kontrolliert. Fast jeder fünfte Jugendliche meint, dass das Virus nicht existiert. Über 40 Prozent halten das Virus mehr oder weniger für eine normale Grippe, mehr als ein Drittel der Jugendlichen vermutet eine Absicht hinter der Virusentstehung. Die Akzeptanz für die verschiedenen Corona-Maßnahmen fällt unter den Anhängern von Verschwörungstheorien unterdurchschnittlich aus. Diese empfinden die Maskenpflicht viel stärker als belastend und lehnen sie daher auch viel entschiedener ab.
Jugendliche schenken „klassischen“ Medienangeboten mehr Vertrauen als vielen sozialen Medien. Dies hält sie jedoch nicht davon ab, sich über soziale Medien zum Thema „Corona“ zu informieren. Für Verschwörungstheorien empfängliche Jugendliche haben ein geringes Vertrauen in klassische Medien und vertrauen stattdessen eher auf Informationen aus den sozialen Medien.
Bewertung der Corona-Politik und politische Teilhabe: Viele Jugendliche stellen der Politik während der Corona-Pandemie kein sehr gutes Zeugnis aus. Nur wenige Jugendliche (8,6 Prozent) stimmen „völlig“ zu, dass Politiker in Bezug auf Corona „im Interesse der Bürgerinnen und Bürger“ handeln („stimmt teilweise“: 49,5 Prozent; „stimmt kaum“: 24,2 Prozent; „stimmt nicht“: 17,6 Prozent). Wenn Jugendliche daran glauben, dass Politiker im Hinblick auf Corona im Interesse der Bürgerinnen und Bürger handeln, akzeptieren sie auch eher die Corona-Maßnahmen und insbesondere die Maskenpflicht.
Anhänger von Verschwörungstheorien haben in der Vergangenheit mehr Gewalt gegen fremdes Eigentum oder Personen angewandt als andere Jugendliche. Darüber hinaus zeigen Anhänger von Verschwörungstheorien eine unterdurchschnittliche politische Partizipationsbereitschaft und ein geringeres politisches Interesse als andere Jugendliche.
Bildungsministerin Britta Ernst (SPD), deren Haus die Studie mit rund 112.000 Euro gefördert hatte, erklärte: „Ich freue mich sehr über die hohe Akzeptanz der notwendigen Maßnahmen zur Eindämmung. Die Schülerinnen und Schülern haben vorwiegend in ihrer Freizeit die Fragebögen für die Studie ausgefüllt. Ihre Antworten zeigen, dass sie mit Mut und Zuversicht an diese schwierige Situation herangehen.” Sie werde sich dafür einsetzen, dass die besondere Situation der jungen Menschen bedacht werde – und sie wolle noch mehr mit Jugendlichen über die schwierige Situation und die notwendigen Entscheidungen sprechen. Und zwar konkret: Als erstes plane sie ein Gespräch mit der Landesschülervertretung. News4teachers / mit Material der dpa
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