BERLIN. Es läuft, auch zwölf Jahre nach Inkrafttreten der Behindertenrechtskonvention, nicht rund mit der Inklusion in Deutschland. Doch es gibt auch Lichtblicke und Menschen wie unsere Gastautorin Bettina Krück, die sich mit viel Einsatz und vielen Ideen für bessere Bedingungen einsetzen. Die Mutter eines Kindes mit Behinderung und Initiatorin des Online-Inklusionskongresses (der vom 12. bis 18. März stattfindet – Informationen hier) erklärt im folgenden Beitrag, warum inklusive Bildung für PädagogInnen und Eltern weiterhin ein erstrebenswertes Ziel sein sollte.
„Mit Inklusion geht alles leichter“ – dieses Zitat lässt wohl viele Lehrkräfte wie auch Eltern von Kindern mit Behinderung entnervt mit den Augen rollen, schließlich sind die Medien voll von (zutreffenden!) Berichten über die mangelhaften Rahmenbedingungen für inklusive Bildung sowie die hohe Arbeitsbelastung und den Druck, dem Lehrkräfte heute ausgesetzt sind. Und auch wir Eltern tauschen uns oft aus über die vielen, vielen Hürden, die uns auf der Suche nach einem inklusiven Bildungsweg für unser Kind immer wieder begegnen.
Und doch stammt das Zitat von einer Lehrerin, die seit nunmehr Jahrzehnten in einer inklusiv ausgerichteten Schule arbeitet, und es deckt sich mit dem, was ich in vielen Gesprächen mit anderen Lehrkräften gehört habe. Doch wie komme ich, Mutter eines inzwischen neunjährigen Sohnes mit Trisomie 21, eigentlich dazu, so eine These in den Raum zu stellen?
Tatsächlich war mein „Einstieg“ in das Thema Inklusion nicht gerade leicht. Ich war auf der Suche nach einer geeigneten Schule für meinen Sohn, als ich feststellte, dass mir dabei viel Unverständnis sowie Unwissen entgegenschlug. Dass er nun trotzdem inklusiv beschult wird, haben wir zwei Sachen zu verdanken: zum einen dem Austausch mit anderen Menschen, die inklusive Wege gehen und mich beraten, ermutigen und stärken konnten. Und zum anderen meinem in dieser Zeit gesammelten Wissen darüber, was Inklusion in der Schule eigentlich bedeutet, welche Rechte und Ansprüche mein Kind hat und wie dies in unserem Bildungssystem umgesetzt werden kann.
Dieses Wissen – und vor allem auch diesen Mut, Inklusion zu wagen – wollte ich unbedingt weitergeben, und zwar so unkompliziert wie möglich. Zufällig habe ich zur gleichen Zeit das Format der Online-Kongresse entdeckt: Über einen bestimmten Zeitraum werden täglich mehrere vorab aufgezeichnete Interviews rund um ein bestimmtes Thema kostenlos im Internet gezeigt, die die Teilnehmenden bequem von zuhause aus anschauen können. Das Konzept klingt heute, ein Jahr nach Beginn der Pandemie, ganz selbstverständlich, war aber tatsächlich 2018 im Bildungsbereich noch relativ unbekannt. So entstand die Idee zum Online-Inklusionskongress, der seit 2019 jedes Jahr im März stattfindet.
Für mich heißt das, dass ich seitdem knapp 100 Interviews zum Thema Inklusion geführt und mit verschiedensten Menschen (Lehrkräften, Forschenden, Eltern, aber natürlich auch mit Menschen mit Behinderung) darüber gesprochen habe, wie Inklusion in der Schule gut umzusetzen ist. Und wenn ich aus diesen Gesprächen eines gelernt habe, dann dies: Gut umgesetzte (!) Inklusion lohnt sich für alle Beteiligten und macht vieles leichter! Und zwar aus diesen fünf Gründen:
- Inklusion gelingt in (multiprofessionellen) Teams
In meinen Gesprächen mit Lehrkräften kam immer wieder die Sprache auf das Arbeiten in multiprofessionellen Teams, das von den allermeisten als unglaublich entlastend empfunden wird. Warum? Weil ich mir die Verantwortung teilen kann, im Team meine Stärken einbringen und mich von der Dynamik der Gruppe mittragen lassen kann. Das nimmt mir die Last des Einzelkämpfers. Und wenn die Teambesprechungen fest eingeplant sind und im Deputat berücksichtigt werden, anstatt on-top zu meinen Aufgaben hinzuzukommen, ist es auch keine Belastung, sondern eine Bereicherung.
- Inklusion gelingt gemeinsam mit den Eltern und unter Einbeziehung des Sozialraums
Wir Eltern sind – nach dem Kind selbst – die Expert:innen für unser Kind. Außerdem sind wir (spätestens seit Corona!) ein unersetzbarer Partner für den Lernerfolg des Kindes. Ähnliches gilt für den Sozialraum vor Ort: Wenn die im Viertel ansässigen Unternehmen enge Kontakte zur Schule haben, gelingen die Übergänge in den Arbeitsbereich leichter und die Stoffvermittlung kann anschaulich gestaltet werden. Das neuseeländische Bildungssystem, das Verena Friederike Hasel in ihrem Buch „Der tanzende Direktor“ beschreibt, gibt zahlreiche Beispiele, wie Elternarbeit dort genutzt wird, um den Unterricht vielseitiger und Schule als Ort des sozialen Miteinanders zu gestalten.
In den allermeisten Schulen bestehen schon enge Kontakte zu Eltern sowie zur Arbeitswelt. So entstehen Bildungspartnerschaften, von denen alle profitieren – und die, wenn sie ins Unterrichtsgeschehen mit einbezogen werden, direkt zum nächsten Punkt führen:
- Inklusion führt zu mehr Vielfalt im Unterricht
Schon jetzt ist Binnendifferenzierung ein Stichwort, das aus keinem Unterrichtsbesuch mehr wegzudenken ist. Und auch in inklusiven Settings muss der Stoff so aufbereitet sein, dass jede Schülerin und jeder Schüler im Rahmen seiner Fähigkeiten aktiv am Unterricht teilhaben kann. Davon profitieren auch die Schüler:innen ohne sonderpädagogischen Förderbedarf, da so der Stoff in verschiedenen Formen dargeboten wird, was den individuellen Stärken der einzelnen Schüler:innen gerechter wird und gleichzeitig zu einer größeren Flexibilität des Lernangebots und der Unterrichtsgestaltung führt. Das wiederum hat vielen inklusiv arbeitenden Schulen den Umstieg auf den Fern-Unterricht erleichtert.
- Inklusion schafft Beziehung schafft (Selbst-)Vertrauen
Inklusion bedeutet, dass jede:r so angenommen wird, wie er ist, und einen gleichwertigen Platz in der Gesellschaft (Schule) hat. Jedes Kind, jede:r Jugendliche hat eigene Bedürfnisse und Besonderheiten. Eine Schule bzw. ein Umfeld, das dies berücksichtigt, ist für jede:n ein sicherer Ort, an dem Vielfalt willkommen ist. Zu wissen, dass jede:r dazugehört, auch wenn die eigene familiäre Situation, der eigene Körper oder die eigenen Fähigkeiten etwas anders sind als die der Mehrheit, gibt den Schülerinnen und Schülern das nötige Selbstvertrauen, das sie brauchen, um mit den Herausforderungen umzugehen, die die Welt von morgen für sie bereithält.
- „Demokratie braucht Inklusion“
So lautet das Motto von Jürgen Dusel, dem Beauftragten der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen. In der Schule von heute lernen die Erwachsenen von morgen. Geben wir ihnen die Chance, ohne Barrieren groß zu werden und schon in der Schule zu erleben, dass eine Gemeinschaft durch Vielfalt stärker und bunter wird – und es gemeinsam leichter geht!
Das mag nun zunächst sehr blauäugig klingen und ich weiß auch, dass Inklusion zunächst mit zusätzlichen Belastungen und Hürden verbunden ist. Dennoch wollte ich in diesem Artikel darstellen, warum eine inklusive Schule für alle Beteiligten ein erstrebenswertes Ziel ist. Der Weg dorthin mag weit oder vielleicht gar utopisch erscheinen. Und doch gibt es Schulen und Lehrkräfte (und ganze Länder!), die diesen Weg Schritt für Schritt gehen – alle auf ihre Weise, mit eigenen Schwerpunkten. Beispiele dafür, nützliche Tools und Reflexionen gibt es beim 3. Online-Inklusionskongress auf www.inklusionskongress.de (Teilnahme kostenlos).
Bettina Krück berät Eltern und Fachkräfte in Inklusionsfragen. Sie arbeitet seit über 15 Jahren in unterschiedlichen Bildungseinrichtungen und ist Mutter eines Sohnes mit Behinderung, der im September 2018 inklusiv eingeschult wurde.
Gemeinsam mit anderen Eltern hat sie eine Elterninitiative für Inklusion gegründet. Seit 2019 veranstaltet sie den Online-Inklusionskongress. Die kostenlose Veranstaltung hat bereits über 5.000 Pädagogen, Lehrkräfte und Eltern erreicht und bietet eine Mischung aus Praxisbeispielen und Berichten aus der Forschung. Bettina Krück ist Mitglied im Netzwerk Persönliche Zukunftsplanung und der Landesarbeitsgemeinschaft Gemeinsam leben, gemeinsam lernen Baden-Württemberg (LAG).
3. kostenloser Online-Inklusionskongress vom 12. bis 18. März – jetzt anmelden!