MÜNCHEN. Während in weiten Teilen Bayerns viele Schüler schon wieder im Klassenzimmer sitzen, sind Schulen in Corona-Hotspots nach wie vor für den Präsenzunterricht dicht. Das könnte sich nun bald ändern – wenn es nach den Überlegungen von Bayerns Kultusminister Michael Piazolo geht. Er hat jetzt sogar einen “Tag des offenen Klassenzimmers” in Regionen mit Inzidenzwerten zwischen 100 und 300 angekündigt. Lehrerverbände kritisieren den Vorstoß.
Zwei Tests pro Woche, dann ab in die Schule: Nach einem Vorschlag von Kultusminister Michael Piazolo (Freie Wähler) soll Wechselunterricht so auch in Regionen mit hohen Corona-Zahlen möglich sein. «Ich könnte mir vorstellen, dass wir über die Methode des intensiven Testens auch bei Sieben-Tage-Inzidenzen über 100 mindestens die Grundschulen wieder öffnen können», sagte Piazolo.
Derzeit ist in Landkreisen und kreisfreien Städten in Bayern mit Inzidenzen über 100 lediglich Distanzunterricht möglich – das betrifft rund ein Drittel. Nur Abschlussschüler von Gymnasien und Berufsschulen sind dort schon wieder zurück im Klassenzimmer, ab kommenden Montag auch die Abschlussklassen aller anderen Schulen.
Um Schulen in Corona-Hotspots eine Perspektive zu bieten, denkt Piazolo an regelmäßige Tests zweimal pro Woche. Die genaue Art und Abfolge der Tests ließ er zunächst offen. Es seien viele verschiedene Modelle denkbar, die noch mit Wissenschaftlern besprochen werden sollen. Bislang sollen sich Schüler wöchentlich selbst testen können, Lehrkräfte zweimal pro Woche.
Jetzt hat er noch einmal nachgelegt – und einen «Tag des offenen Klassenzimmers» für Grundschulklassen angekündigt. Den soll es in Regionen mit einer Sieben-Tage-Inzidenz über 100, in denen also grundsätzlich nur Distanzunterricht erlaubt ist, geben. Grundschüler sollen an einem Tag die Möglichkeit bekommen, sich im Klassenzimmer zu treffen – aber nur auf freiwilliger Basis, “und wohl eher nicht in Regionen mit einer Inzidenz über 300”, wie es hieß.
Im Landkreis Wunsiedel (Inzidenzwert: 241) gibt es schon seit Anfang der Woche einen Pilotversuch an Schulen
Eine Test-Verpflichtung für Schülerinnen und Schüler sieht Piazolo aber skeptisch. «Die Schulen müssten die Tests verpflichtend durchführen. Aber eine Test-Verpflichtung für alle – da wäre ich im ersten Moment zurückhaltend.» Allerdings müsse sich schon ein sehr hoher Prozentsatz der Schülerinnen und Schüler beteiligen, damit man Wechselunterricht ermöglichen könne.
Geht es nach Piazolo, könnte in der Woche vor den Osterferien ein Pilotversuch in einem oder in mehreren ostbayerischen Landkreisen starten. Dort sind die Corona-Zahlen besonders hoch. Je nach Entwicklung könnte das Modell nach den Ferien dann ausgeweitet werden. «Wir machen uns schon Gedanken über den ostbayerischen Raum – wie wir es schaffen, auch dort wieder Schüler in die Schule zu bringen», betonte er.
Der Landkreis Wunsiedel im Fichtelgebirge (Inzidenzwert: 241) führt schon seit vergangenem Montag einen Pilotversuch mit Gurgeltests durch: Die Schüler der Notbetreuung geben zweimal pro Woche eine Probe ab. Ein kleine Menge wird gemischt und als ein Test pro Klasse untersucht. Nur wenn der gemeinsame Test positiv ausfällt, sei die Untersuchung der einzelnen Tests nötig. «Die Akzeptanz bei Kindern und Eltern ist sehr gut», erklärte eine Sprecherin des Landratsamts.
Auch das Landratsamt Cham (Inzidenzwert: 177) führt momentan Gespräche mit dem Kultus- und Gesundheitsministerium über einen solchen Pilotversuch. «Wir überlegen schon länger, wie wir aus der Misere rauskommen», sagt Landrat Franz Löffler (CSU). Gerade für Jüngere müssten die Schulen dringend öffnen, auch wenn die Infektionszahlen nach wie vor sehr hoch seien. «Wenn wir auch in Zeiten einer Pandemie ein Stück Normalität zurückhaben möchten, müssen wir jede Möglichkeit ergreifen, die sich bietet», bekräftigt Rita Röhrl (SPD), Landrätin im Landreis Regen (Inzidenzwert: 115). Neben den Gurgeltests müssten die Impfungen für Lehrkräfte weiter vorangetrieben werden.
«Was zu tun ist: Allen Lehrkräften aller Schularten vor allem in Corona-Hotspots sofort ein Impfangebot zu machen»
Die Tests allein reichen nicht aus, kritisiert Jürgen Böhm, Vorsitzender des Deutschen Realschullehrerverbands. «Was zu tun ist: Allen Lehrkräften aller Schularten vor allem in Corona-Hotspots sofort ein Impfangebot zu machen, Dienstleister und Organisationen wie das Rote Kreuz ins Boot zu holen und testen, testen, testen – am besten täglich.»
Die GEW nennt den Vorstoß, einen «Tag des offenen Klassenzimmers» in Corona-Hotspots zu veranstalten, eine «Wahnsinns-Idee». «Was soll diese Alibi-Aktion? Hier werden die Schulen mit unnötigem Planungsstress belastet», teilt die GEW Bayern aktuell mit. «Was außer Unruhe, Organisationsdruck und erhöhtem Infektionsrisiko für alle Beteiligten sollte dieser Tag bringen?», fragt Ruth Brenner, Mitglied im Hauptpersonalrat. Sie erklärt: «Lieber Herr Piazolo, verschonen Sie uns mit solchen Ideen und überlassen Sie den Schulen die Planungen zu Distanz- oder Wechselunterricht – ohne “Happy Days”.» Die Zeit solle lieber für eine gute Test- und Impfstrategie für Schüler und Schulpersonal genutzt werden.
Tatsächlich scheint auch Skepsis gegenüber der Einschätzung angebracht, dass Schnelltests wirklich für Sicherheit an Kitas und Schulen sorgen können. Sie könnten zwar helfen, das Infektionsgeschehen zu kontrollieren, sagt der Bioinformatiker Prof. Lars Kaderali, der die Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern berät. Kaderali verweist allerdings auf eine Studie, an der er beteiligt gewesen sei. Danach würden nur etwa die Hälfte der Infizierten tatsächlich durch einen Schnelltest als infiziert erkannt. «Die Daten bedeuten, dass bei einem Schnelltest am Eingang eines Restaurants von zwei Infizierten nur einer richtig erkannt wird.» Jeder gefundene Infizierte verringere zwar die Zahl der Folgeinfektionen, weshalb Schnelltest wichtig seien. «Aber ein „Freitesten“ ist mit den Schnelltests eben nicht möglich», sagt Kaderali. Das betrifft natürlich auch die Bildungseinrichtungen.
Das hindert stark von Corona betroffene Kommunen in Bayern allerdings nicht daran, bereits konkret für Schulöffnungen zu planen: Das Landratsamt Tirschenreuth (Inzidenzwert gestern: 187,4, Tendenz steigend) hat dafür ein eigenes Konzept vorgelegt: Schüler müssen dort eine medizinische Maske tragen. Wer Symptome habe, mit einer direkten Kontaktperson oder einer Person mit Symptomen zusammenlebe, soll nicht in die Schule kommen dürfen. «Wir versuchen die Öffnung etwas “abzusichern”», erklärte ein Sprecher. News4teachers / mit Material der dpa