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„Ritt auf der Rasierklinge“: Gebauer zwingt Stadt mit Inzidenzwert von 240, die Schulen für Präsenzunterricht zu öffnen

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DÜSSELDORF. Die Corona-Zahlen steigen wieder – offenbar auch aufgrund der ansteckenderen Mutante B.1.1.7. In Nordrhein-Westfalen treibt Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) trotzdem die Öffnungen der weiterführenden Schulen voran. Kommunen, die aufgrund von besonders hohen Inzidenzzahlen den Distanzunterricht hatten beibehalten wollen, wurden von ihr nun gezwungen, die Schulen zu öffnen. Die Landeselternschaft der Gymnasien – der mitgliederstärkste Elternverband in Deutschland – sieht Gebauers Kurs kritisch. Er spricht von einem „Ritt auf der Rasierklinge“.

«Ritt auf der Rasierklinge»: NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP), hier bei einer Pressekonferenz im Januar. Foto: Land NRW

Die Schulöffnungen in NRW werden am Montag trotz zuletzt wieder steigender Corona-Infektionszahlen mit dem nächsten Schritt fortgesetzt. Nach Monaten des Distanzunterrichts kehren viele Kinder und Jugendliche der weiterführenden Schulen zumindest tageweise in die Klassenräume zurück. Damit sollen bis zu den Osterferien in zwei Wochen nun wieder alle Schüler und Schülerinnen im Land Präsenzunterricht erhalten in einem Wechselrhythmus mit dem Lernen zuhause. Vor drei Wochen machten die Grundschüler und Abschlussjahrgänge in den Schulen den Anfang.

Der Kreis Düren hatte wegen der Infektionslage beantragt, von der weiteren Schulöffnung in den zwei Wochen bis zu den Osterferien ausgenommen zu werden. Das Schulministerium lehnte das am Freitag aber ab. Es gebe derzeit keine Hinweise darauf, dass Schulen in den betroffenen Kommunen in besonderem Maß für das Infektionsgeschehen verantwortlich seien, hieß laut dem Kreis aus dem Ministerium. Schulschließungen oder die Einschränkung des Schulbetriebes kämen demnach erst als letztes Mittel in der Pandemiebekämpfung infrage.

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“Es ist für mich unverständlich, warum zwei Wochen vor den Osterferien noch weitgehender Präsenzunterricht vorgesehen ist“

«Wir bedauern das, weil es gute Gründe gibt für den Antrag», erklärte der Sprecher des Kreises mit Verweis auf viele Corona-Neuinfektionen. Nach den Daten des RKI vom Freitag liegt die Zahl der Neuinfektionen je 100.000 Einwohner binnen sieben Tagen im Kreis Düren bei 138,3. In der Stadt Düren liege der Wert aktuell bei rund 240. Etwa zwei Drittel der Corona-Neuinfektionen gehen nach Angaben des Kreises Düren hier bereits auf die zuerst in Großbritannien entdeckte Coronavirus-Variante zurück, die als noch ansteckender gilt.

Dürens Landrat Wolfgang Spelthahn (CDU) hatte vor wenigen Tagen in einem an die Bürger gerichteten Video deutlich gemacht, dass 14 weitere Tage des Distanzunterrichts an den weiterführenden Schulen helfen könnten in der aktuellen Infektionslage und dabei, Lösungen in den Schulen vor Ort zu finden. Die Ausweitung des Präsenzunterrichts bedeute unter anderem auch mehr Kontakte auf dem Weg zur Schule.

Neben dem Kreis Düren wurde auch der Oberbergische Kreis bei der Landesregierung wegen der weiteren Schulöffnung in Zeiten steigender Corona-Infektionen vorstellig. Die Schulleitungen der Oberbergischen Gymnasien hätten sich in einem Schreiben an Landrat Jochen Hagt (CDU) besorgt geäußert anlässlich des weiteren Öffnungsschrittes an diesem Montag und angefragt, ob der Präsenzunterricht der Stufen fünf bis zehn vor den Osterferien weiter ausgesetzt werden kann, wie eine Sprecherin des Kreises am Montag mitteilte. Das daraufhin eingeschaltete Gesundheitsministerium habe mitgeteilt, eine Aussetzung des nächsten Öffnungsschrittes für den Schulbereich nicht mitzutragen.

Vier weitere Kommunen aus Nordrhein-Westfalen mit hohen Inzidenzwerten wollten die Schulöffnungen aussetzen – wurden aber ebenfalls vom Schulministerium ausgebremst, wie die „Rheinische Post“ berichtet. „Es ist für mich unverständlich, warum zwei Wochen vor den Osterferien noch weitgehender Präsenzunterricht vorgesehen ist“, so schreibt Michael Joithe, Bürgermeister von Iserlohn in einem Brief an Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP). Auch Lüdenscheid, Halver und die Gemeinde Ruppichteroth hätten die Öffnungen verhindern wollen, vergeblich.

Die NRW-Landesregierung sieht keinen Anlass, die Schulen nicht weiter zu öffnen. Tests für Lehrer und Schüler würden «eine Menge Sicherheit in den Unterricht» bringen, hatte am Donnerstag Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) erklärt. Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) hatte mehrfach erklärt, dass es dabei um Bildungserfolg und Bildungsgerechtigkeit sowie um den Schutz im Schulleben gehe.

“Im Rückblick war es richtig, so lange wie möglich am Präsenzunterricht festzuhalten”

«Im Rückblick war es richtig, so lange wie möglich am Präsenzunterricht festzuhalten. Das erste Schulhalbjahr konnte unter Wahrung der strengen Vorgaben für den Infektionsschutz weitestgehend im Präsenzunterricht durchgeführt werden», sagte sie. Davon profitierten die Schüler und Schülerinnen nun, zum Beispiel bei der Vorbereitung auf ihre Abschlussprüfungen. «Und obwohl in den vergangenen Wochen in den Schulen eine zunehmende Professionalisierung des Distanzunterrichts zu beobachten war, ist es nun ebenfalls richtig, Schritt für Schritt den Präsenzunterricht für weitere Klassen wiederaufzunehmen.»

Nach Ansicht der Landeselternschaft der Gymnasien bleibt das Thema Schule in der Corona-Pandemie «ein Ritt auf der Rasierklinge». «Es ist verständlich, wenn Eltern in Regionen mit einer hohen Inzidenz Bedenken haben, ihr Kind in die Schule zu schicken», erklärte Vorstand Franz-Josef Kahlen. Die Lage werde mit den steigenden Neuinfektionen wieder kritischer, während sich an den Schulen in Sachen Gesundheitsschutz kaum etwas getan habe. «Der Schritt in den Präsenzunterricht am Montag läuft nicht parallel mit neuen, zusätzlichen Schutzmaßnahmen, die seit langer Zeit gefordert werden.»

Die weiterführenden Schulen sollen ab Dienstag die ersten von 1,8 Millionen Selbsttests erhalten, die bis zu den Osterferien verteilt werden. Die Schüler und Schülerinnen können sich dann laut Schulministerium einmal pro Woche freiwillig selbst unter Aufsicht in der Schule testen. In Bergisch Gladbach beginnt schon einen Tag vor den anderen Kommunen am Montag die Verteilung von Spucktests an Schüler. Nach Ansicht der GEW kommen für die Durchführung der Selbsttests bei den Schülern nicht die Lehrkräfte infrage. Die Gewerkschaft fordert klare Richtlinien auch bei der Frage, was bei positiven Tests folgt. Auch das Beachten der AHA-Regeln und das Lernen in festen kleinen Gruppen seien wichtig.

“Der Unterricht im Wechselmodell kann nicht dem Unterricht in vollem Umfang entsprechen”

«Anders als im Herbst des letzten Jahres kehren die Schülerinnen und Schüler nur eingeschränkt an die Schulen zurück und werden in einem Wechselmodell unterrichtet», sagte Helmut Dedy, Geschäftsführer des Städtetages NRW. Ob nach den Osterferien mehr Präsenzunterricht möglich sein werde, hängt davon ab, wie sich die Infektionszahlen entwickeln. Ähnlich sieht das auch die GEW: «Der Unterricht im Wechselmodell kann nicht dem Unterricht in vollem Umfang entsprechen, es kann nicht die volle Stundentafel abgebildet werden. Es ist also eine deutlich andere Situation als vor den Weihnachtsferien.»

Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach fordert einen Schulstopp bis zu den Osterferien. «Ich appelliere an die Länder, alle Schulen bis Ostern wieder zu schließen, auch die Grundschulen», sagte Lauterbach der «Rheinischen Post». Als Grund für seine Forderung nannte Lauterbach die Virusmutationen, die sich «insbesondere bei den Jüngeren rasant ausbreiten» (News4teachers berichtete – hier). News4teachers / mit Material der dpa

Kultusminister ignorieren zunehmend hohe Inzidenzwerte – trotz Warnungen der Wissenschaft („Dann gibt es viele Tote“)

 

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