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Merkels “Notbremse” wird zum Corona-Beschleuniger: Nach NRW kündigt auch Baden-Württemberg Schulöffnungen an – in die 3. Welle

BERLIN. Die als Notbremse gedachte Festlegung der Bundesregierung auf Schulschließungen ab einem Inzidenzwert von 200 wird zum Bumerang: Das Gesetz ist noch nicht vom Bundestag beschlossen, da gibt schon das zweite große Bundesland seinen vorsichtigeren Kurs auf – und öffnet seine Schulen in die weiterhin stark anwachsende dritte Corona-Welle hinein. Baden-Württemberg will ab der kommenden Woche wieder Wechselunterricht anbieten. Zuvor hatte Nordrhein-Westfalen angekündigt, nächste Woche die Schulen wieder für den Präsenzunterricht im Wechsel zu öffnen.

Die Wirkung ihrer “Notbremse” dürfte sie sich anders vorgestellt haben: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Foto: 360b / Shutterstock

„Die dritte Welle rollt seit einigen Wochen unerbittlich über das Land. Die Lage ist ernst, ernster als viele glauben.“ Das haben Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) in einem Brief an ihre 14 Amtskollegen in Deutschland geschrieben – erst vor zwei Wochen. Man müsse sich über einheitliche Regelungen für die Schule verständigen, „insbesondere über eine Testpflicht an den Schulen“. „Wer keinen negativen Test hat, soll dann auch nicht am Präsenzunterricht teilnehmen können.“ Das sei vor allem deshalb wichtig, weil sich derzeit die britische Mutation unter Schülerinnen und Schülern so stark verbreite – und dann wiederum in die Familien hineingetragen werde, warnten Kretschmann und Söder.

Ein Schwellenwert von 200 für den Kita- und Schulbetrieb wird von Lehrerverbänden als zu hoch kritisiert

Die Testpflicht in Schulen soll nun bundesweit kommen – in Gestalt einer Neufassung des Infektionsschutzgesetzes, dessen Entwurf das Bundeskabinett unter Kanzlerin Angela Merkel (CDU) in dieser Woche abgesegnet hat. Gleichzeitig soll darin ein Inzidenzwert von 200 als Grenze für den offenen Kita- und Schulbetrieb festgelegt werden. Dieser Wert wird von Lehrerverbänden wie dem VBE und dem Deutschen Realschullehrerverband als zu hoch kritisiert. Tatsächlich hatten etliche Bundesländer den Präsenzbetrieb in ihren Bildungseinrichtungen bereits unterhalb dieser Schwelle weitgehend eingestellt.

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Bei einem Video-Treffen in den Osterferien war sich Kretschmann noch mit Lehrer-, Eltern- und Schülervertretern einig, dass es Schulöffnungen oberhalb eines Inzidenzwertes von 100 nicht geben kann, wie News4teachers berichtete. Jetzt plötzlich doch: Trotz weiterhin steigender Infektionszahlen – Baden-Württemberg ist mittlerweile bei 161 angekommen – schafft das Land Fakten für Kinder, Jugendliche, Lehrkräfte und Eltern. Jungen und Mädchen können in den meisten Regionen des Landes von der kommenden Woche an zumindest teilweise auch wieder regulär zur Schule gehen.

Nach Angaben des Kultusministeriums sollen die Schulen vom 19. April an in den sogenannten Wechselbetrieb aus Präsenz- und Fernunterricht oder in einen reinen Präsenzunterricht übergehen. Eine Änderung gibt es auch bei der Testpflicht: Sie gilt ab Montag unabhängig von der Corona-Belastung einer Region und nicht erst, wie bisher, ab der Schwelle von 100 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern binnen einer Woche.

“Wir wollen die Regelung für die Schulen in Baden-Württemberg bereits möglichst passend zur Bundesregelung ausgestalten”

Das Land setzt damit bereits für den Bildungsbetrieb die geplante Neufassung des Bundesgesetzes um, das noch durch den Bundestag und den Bundesrat muss. «Auch wenn nicht auszuschließen ist, dass der Gesetzentwurf des Bundes im Verlauf des Verfahrens noch Änderungen erfährt, wollen wir die Regelung für die Schulen in Baden-Württemberg bereits möglichst passend zur Bundesregelung ausgestalten», heißt es in einem Schreiben des Ministeriums an die Schulleitungen.

Der Wechselunterricht sei damit möglich für alle Jahrgangsstufen in sämtlichen Schularten und in einem Umfang, in dem die Einhaltung von Abständen und der übrigen Hygienevorgaben sowie die zur Verfügung stehenden Testangebote dies ermöglichten. Im Schreiben an die Schulleitungen macht das Land dafür einige Vorgaben: «Möglich ist zum Beispiel eine Wechselunterrichtsregelung mit mindestens zwei (optional drei) aufeinanderfolgenden Präsenztagen pro Schülergruppe sowie ein Wechselbetrieb im Wochenturnus», heißt es. Könnten die Kommune oder der Schulträger mehr Testkits zur Verfügung stellen, seien auch häufigere Wechsel der Gruppen machbar.

Sonderregelungen sind – der Bundes-“Notbremse” entsprechend – in Stadt- und Landkreisen mit einer Sieben-Tages-Inzidenz von über 200 vorgesehen. Hier müssen die Schulen verpflichtend auf Fernunterricht umstellen. Am Mittwoch lagen sieben baden-württembergische Kreise über dieser Schwelle. Die Notbetreuung in den Jahrgangsstufen 1 bis 7 soll aber auch in diesen Hochinzidenzgebieten weiter angeboten werden. Auch das erlaubt das geplante Bundesgesetz.

Man muss kein Virologe sein, um vorhersagen zu können, dass die „Notbremse“ des Bundes die dritte Welle so nicht stoppen wird

Weil die Länder vereinbarte Maßnahmen gegen die dritte Infektionswelle uneinheitlich umgesetzt hatten und die Corona-Lage zugleich mehr und mehr außer Kontrolle gerät, hatte der Bund entschieden, die «Notbremse» in einem Bundesgesetz zu verankern. In Landkreisen mit mehr als 100 wöchentlichen Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern müssen Lockerungen wahrscheinlich vom kommenden Montag an verpflichtend zurückgenommen werden. Das betrifft aktuell mehr als die Hälfte der Landkreise in Deutschland und allein 40 der 44 Stadt- und Landkreise in Baden-Württemberg. Für die Kitas und Schulen gilt allerdings eine Sonderregelung: Sie können dem Gesetzesentwurf zufolge bis zu einer Inzidenz von 200 in Präsenz arbeiten.

Auch NRW nimmt die Regelung der geplanten «Corona-Notbremse» des Bundes vorweg – und öffnet seine Schulen in der kommenden Woche jetzt doch für den Wechselunterricht, nachdem Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) Anfang der Woche noch von einer “sehr instabilen Situation” gesprochen hatte. Nach der aktuell noch laufenden Homeschooling-Woche kehrt NRW damit vom Prinzip her wieder zu dem Schulmodus zurück, der vor den Osterferien praktiziert worden war. Allerdings liegt der Inzidenzwert in NRW mittlerweile deutlich höher: Er ist binnen vier Wochen von 85 (am 15. März) auf 159 (15. April) gestiegen. Man muss kein Virologe sein, um vorhersagen zu können, dass die „Notbremse“ des Bundes diesen Trend nicht stoppen wird. Sie wird so eher zum Brandbeschleuniger. News4teachers / mit Material der dpa

Überraschung: Gebauer öffnet doch die Schulen – mit Notbremse 200

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