MÜNCHEN. Eine Schulleitung wird meist eher als Primus inter Pares wahrgenommen, denn als Chefin oder Chef. Tatsächlich ist der Spielraum einer Führungskraft in der Schule deutlich kleiner als in einem Unternehmen. Dazu kommt: Das Aufgabenspektrum einer Schulleiterin oder eines Schulleiters wächst stetig. Das Gehalt ist je nach Schulform jedoch nur mäßig attraktiv. Eine echte Qualifizierung gibt es nicht. Das alles hat Folgen: Immer mehr Führungsstellen an Schulen – insbesondere an Grundschulen – sind vakant. Ein Gutachten des Aktionsrats Bildung beschreibt das als großes Problem und gibt Empfehlungen an die Politik, wie sich Abhilfe schaffen ließe.
„In der Wirtschaft ist Führungskompetenz als Erfolgsfaktor längst eine feste Größe. Die Fähigkeit, als Führungskraft eine gute und motivierende Beziehung zu den Mitarbeitenden aufzubauen, wird als Voraussetzung für eine positive Unternehmensentwicklung wertgeschätzt“, so meint Wolfram Hatz, Präsident der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw). „Führungskräfte sind in deutschen Bildungseinrichtungen viel zu oft weder ausreichend für ihre Aufgabe qualifiziert, noch verfügen sie über wirksame strukturelle Werkzeuge, mit deren Hilfe sie führen können. Das ist umso alarmierender, als die Bedeutung guter Führung für die Effektivität von Bildungseinrichtungen empirisch nachgewiesen ist: Gute Führung hat bessere Bildungsergebnisse zur Folge.“
Hatz ist zwar Unternehmer, kein Schulpraktiker also. Er weiß aber durchaus, wovon er spricht: Er und die vbw sind Träger des Aktionsrats Bildung, in dem sich renommierte Forscher alljährlich zusammenfinden, um ein Gutachten zu einem Bildungsthema herauszugeben. In diesem Jahr eben: “Führung, Leitung, Governance: Verantwortung im Bildungssystem”.
Die Mitwirkendenliste liest sich wie ein Who’s Who der empirischen Bildungsforschung: Vorsitzender ist der Erzieherungswissenschaftler Prof. Dieter Lenzen, Präsident der Universität Hamburg. Mit dabei sind der Psychologe Prof. Olaf Köller, ehemaliger Gründungsdirektor des Instituts zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen Berlin und Leiter des Leibniz-Instituts für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik in Kiel. Mit Prof. Nele McElvany, der Direktorin des Instituts für Schulentwicklungsforschung der TU Dortmund, ist Deutschlands bekannteste Grundschulforscherin dabei. Weitere Namen sind unter anderem: der Bildungsökonom Prof. Ludger Wößmann, Bettina Hannover, Professorin für Schul- und Unterrichtsforschung an der Freien Universität Berlin und langjähriges ehemaliges Mitglied der Hauptjury des Deutschen Schulpreises sowie Prof. Tina Seidel, Professorin für Pädagogische Psychologie der TU München.
„Führungskräfte in Bildungseinrichtungen verfügen über relativ wenige strukturelle Werkzeuge, mit deren Hilfe sie führen können“
Ihre Feststellung: „Pädagoginnen und Pädagogen wollen nicht geführt werden.“ Schulleitungen haben es traditionell schwer, in selbstbewussten Kollegien zu bestehen. „Führungskräfte in Bildungseinrichtungen in Deutschland verfügen über relativ wenige strukturelle Werkzeuge, mit deren Hilfe sie führen können“, so stellen die Wissenschaftler fest. Tatsächlich sind Schulleitungen in manchen Bundesländern nicht einmal Dienstvorgesetzte der Lehrkräfte an ihrer Schule – das ist dort formal die Schulaufsicht. „Diese Situation ist besonders problematisch vor dem Hintergrund, dass sie für ihre Funktion typischerweise nicht systematisch ausgebildet werden. Die Übernahme einer Führungsaufgabe ist in Deutschland nicht an ein spezifisches Zertifikat beziehungsweise eine spezifische Qualifikation gebunden. So ist z. B. die typische Schulleitung eine erfahrene Lehrperson und wird eher als Primus inter Pares wahrgenommen.“ Heißt: Eine Chef-Rolle, wie es sie in Unternehmen gibt, existiert in vielen Schulen Deutschlands nicht.
Dabei ist das Aufgabenspektrum gewaltig, dass sich mit der Funktion Schulleitung verbindet: von der pädagogischen Schulentwicklung über Führung der Mitarbeitenden über Organisation und Verwaltung des Betriebs bis hin zur Organisation des Betriebs reicht das Aufgabenspektrum. Schulleitungen müssen in viele Richtungen kommunizieren – Schüler, Eltern, Lehrer, Schulaufsicht, Schulträger, Politik – und ständig bereit sein, auf Krisen wie Corona zu reagieren. Wo das gut läuft, lässt sich das am Zustand der Schule und des Betriebs darin meist erkennen. Im Gutachten liest sich das so: „Die Auswirkungen guter Führung auf die Effektivität der Bildungseinrichtungen sind vielfach empirisch nachgewiesen worden. Gute Führung führt zu höherer Qualität, also zu besseren Bildungsergebnissen.“
“Der Posten ist häufig nur wenig attraktiv und die Schulleitungen werden oft nicht ausreichend auf die Aufgabe vorbereitet“
Das Problem: Immer öfter lassen sich keine Bewerberinnen und Bewerber auf freie Schulleitungsstellen finden. Insbesondere in den Grundschulen sind bundesweit mittlerweile Hunderte von Führungsstellen vakant. „Dies ist kaum verwunderlich, da der Posten häufig nur wenig attraktiv ist und die Schulleitungen oft nicht ausreichend auf die herausfordernde Aufgabe vorbereitet werden“, sagt Prof. Nele McElvany. „Der Führungskraft in der Schulleitung kommt jedoch eine entscheidende Rolle für den Erfolg einer Grundschule zu. Das zu erfüllende Aufgabenspektrum in den Bereichen Organisation, Personal und Unterricht ist vielfältig und anspruchsvoll. Insgesamt ist die Notwendigkeit gegeben, die Attraktivität der Position der Schulleitung an Grundschulen zu steigern – sowohl um freie Stellen besetzen als auch um eine Auswahl der Besten durchführen zu können.“
Konkret schlägt der Aktionsrat Bildung unter anderem vor:
Umfassende Vorbereitung auf und Qualifizierung für Führungsaufgaben: Aus empirischen Studien ist bekannt, dass die primäre Motivation für die Übernahme einer Führungsposition intrinsischer Natur ist. Gerade besonders engagierte Personen, die ihre Einrichtung qualitativ weiterentwickeln wollen, können durch ein umfassendes Angebot an Qualifizierungsmöglichkeiten zur Übernahme einer Leitungstätigkeit motiviert werden.
Stärkung der indirekten Führung („Führung durch Strukturen“): Um effektiv führen zu können, benötigen Führungskräfte in Bildungseinrichtungen mehr Durchgriffs- und Gestaltungsmöglichkeiten. Wichtige Führungsinstrumente wie z. B. die Honorierung besonderer Leistungen des Personals durch leistungsabhängige Vergütungsanteile sollten in Bildungseinrichtungen aller Bildungsphasen eingeführt werden. Vor allem im Bereich der Primar- und Sekundarstufe ist es als großes Defizit anzusehen, dass Schulleitungen ihr Personal überwiegend nicht selbst auswählen können.
Verbesserung der finanziellen Anreize für die Übernahme von Führungsaufgaben: Die zusätzliche Vergütung für die Übernahme einer Führungstätigkeit muss dem Mehraufwand und der damit verbundenen gestiegenen Verantwortung, z. B. in Budget- und Personalfragen, gerecht werden. Insbesondere im Bereich der Primarstufe – aber auch in den übrigen Schultypen – sind die diesbezüglichen Anreize (Gehaltsabstände zum pädagogischen Personal ohne Führungsverantwortung sowie zwischen den Leitungspositionen unterschiedlicher Ebenen) häufig zu gering. (…)
Verringerung der pädagogischen und administrativen Arbeitsbelastung: Da Führungskräfte in Bildungseinrichtungen – insbesondere im Bereich der frühen Bildung sowie in Primar-/Sekundar- und beruflichen Schulen – meist neben ihrer Leitungsfunktion in beträchtlichem Umfang aktiv in der Bildungsarbeit tätig sind, bleiben die zeitlichen Spielräume für die eigentlichen Führungsaufgaben häufig zu gering. Wirksame Mittel zur Entlastung der Leitung sind z. B. die Ausweitung der Entlastungsstunden für Führungstätigkeiten beziehungsweise die Einführung einer hauptamtlichen mittleren Führungsebene ab einer bestimmten Einrichtungsgröße.
Nele McElvany: „Die Position der Schulleitung muss attraktiv werden, schließlich sind die Aufgaben, die damit einhergehen, komplex und anspruchsvoll. Das können finanzielle Anreize sein, aber auch die Reduktion der Lehrverpflichtung für Schulleitungen wären ein effektives Mittel, um ihnen mehr Zeit für die vielfältigen Aufgaben zu geben. Zudem wäre eine Flexibilisierung der Arbeitszeitmodelle denkbar, so dass die Führungsposition auf mehrere Schultern verteilt werden könnte.“ News4teachers
Hier lässt sich das Gutachten des Aktionsrats Bildung herunterladen.