BERN. Für den Erfolg beim Homeschooling sind andere psychologische Faktoren bedeutsam als in der Schule, haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Uni Bern ermittelt.
Präsenzunterricht ist durch Homeschooling nur schwer zu ersetzen. Ein Diktum, das Lehrerinnen und Lehrer im Zuge der aktuellen Pandemie praktisch vielfach bestätigen können. Wissenschaftler der Universitäten Bern und Konstanz sowie der FernUni Schweiz sind Faktoren auf den Grund gegangen, die den Befund theoretisch bestätigen können. In einer Studie zeigten sie, dass große Langweile und geringe Selbstkontrolle mit mehr Schwierigkeiten von Schülerinnen und Schülern im Homeschooling während der COVID-19-Pandemie zusammenhängen.
Das weitgehend selbstorganisierte Lernen und Arbeiten im Homeschooling stelle zusätzliche Anforderungen an die Selbstkontrolle und an den effektiven Umgang mit Langeweile. «Verglichen mit dem typischen Unterricht in der Klasse ist es plausibel, dass das Homeschooling den Schulstoff als langweiliger erscheinen lässt, weil mehr verlockende Ablenkungen verfügbar sind. Schülerinnen und Schüler im Homeschooling sind daher möglicherweise in besonderem Masse von der Pandemie und den einhergehenden Beschränkungen betroffen», sagt Wanja Wolff, Studien-Mitautorin vom Institut für Erziehungswissenschaft der Universität Bern. Es bedürfe entsprechend mehr Selbstkontrolle, um den Schulstoff dennoch zu bearbeiten.
In ihrer Studie zu Homeschooling kommen die Forschenden zu dem Schluss, dass Langeweile und Selbstkontrolle mit den selbstberichteten Schwierigkeiten der Schülerinnen und Schüler während des Homeschoolings in der Tat zusammenhängen: Hohe Selbstkontrolle ging mit geringeren Schwierigkeiten und mit einer besseren Umsetzung der Aufgaben im Homeschooling einher. Bei Langeweile wurde der umgekehrte Zusammenhang gefunden: Große Langeweile ging mit vermehrten Schwierigkeiten und einer schlechteren Umsetzung der Aufgaben einher. Damit bestätigten die Ergebnisse der Studie theoretische Annahmen zur Relevanz von Selbstkontrolle und Langeweile für das Verhalten.
Im Klassenraum hingegen, so zeigen die Studien der Berner Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, war die Neigung zur Langeweile kein statistisch bedeutsamer Prädiktor mehr für Lernschwierigkeiten. Auch der Zusammenhang von Selbstkontrolle mit den Schwierigkeiten beim Lernen war geringer ausgeprägt. «Eine vorsichtige Interpretation dieses Befunds ist, dass das strukturiertere Umfeld des Klassenraums mit Lehrkräften, Mitschülerinnen und Mitschülern sowie mit etablierten Regeln die Anforderungen hinsichtlich Selbstkontrolle und des Umgangs mit Langeweile für die Schülerinnen und Schüler reduziert», sagt Wanja Wolff. Dies erleichtere den Schülerinnen und Schülern offenbar, sich den Schulstoff effizienter anzueignen.
Die Ergebnisse decken sich nach Angaben des Forschungsteams mit weiteren Befunden, die zeigen, dass große Langeweile und geringe Selbstkontrolle auch eine geringere Einhaltung der pandemiebedingten Verhaltensrichtlinien vorhersagen. Langeweile und Selbstkontrolle komme eine wichtige gemeinsame Rolle bei der Steuerung zielgerichteten Verhaltens zu. Die Tendenz, sich häufig und schnell zu langweilen, erschwere demnach das Befolgen der pandemiebedingten Verhaltensrichtlinien. Die Tendenz, Selbstkontrolle aufzubringen, erleichtere dagegen den Umgang mit diesen Schwierigkeiten und habe somit eine Schutzfunktion.
Den Ergebnissen liegen mehrere empirische Befunde zugrunde. In einer ersten Studie, für die 895 erwachsene US-amerikanische Personen befragt wurden, fanden die Forscherinnen und Forscher Belege für ihre Vorhersagen und konnten die Befunde in einer weiteren Studie mit 574 US-amerikanischen Erwachsenen prospektiv über den Zeitraum von einer Woche replizieren. Überdies zogen die Wissenschaftler eine Befragung von 138 Schweizer Schülerinnen und Schülern zwischen 6 und 21 Jahren heran. Dabei belegten sie auch die besondere Wichtigkeit spezifischer Selbstkontrollstrategien in Form von Wenn-Dann-Plänen auf.
Die Ergebnisse aller Studien deuteten zusammenfassend darauf hin, dass Langweile und Selbstkontrolle wichtige Einflussfaktoren für den individuellen Umgang mit den Herausforderungen der Pandemie seien. Insbesondere im Hinblick auf die Relevanz von Langeweile seien diese Ergebnisse noch weitgehend neu, so die Forscher. «Die neu gewonnenen Erkenntnisse zeigen, dass Langeweile sowohl für Erwachsene als auch für Schülerinnen und Schüler den Umgang mit der Pandemie erschwert», fasst Wanja Wolff zusammen. Besonders hervorzuheben sei der umgekehrte Zusammenhang zwischen Langeweile und Selbstkontrolle: Personen mit hoher Neigung zur Langeweile zeigten häufig auch eine geringere Selbstkontrolle. Übertragen auf die aktuelle Pandemie könne das bedeuten, dass es Personen, denen es aus Langweile schwerer fällt, sich an die Verhaltenseinschränkungen zu halten, häufig auch noch an der nötigen Selbstkontrolle mangelt, um mit den durch Langeweile ausgelösten Impulsen wirksam umzugehen.
Für den Fernunterricht hat Psychologin Wolff einen naheliegenden Tipp parat: «Schlussfolgerungen für den Schulalltag könnten daher sein, die Homeschooling-Situation möglichst ablenkungsfrei zu gestalten und den Gebrauch einfacher Selbstregulationsstrategien einzuüben», fomuliert sie und ergänzt: «Allgemein sollte insbesondere Personen mit stärkerer Tendenz zur Langeweile besonders unterstützend zur Seite gestanden werden». News4teachers
Gastbeitrag: Warum Distanzunterricht als Möglichkeit in die Schulgesetze gehört
